„Ich gehe nun und bereite alles vor, damit es heute ein Fest zu feiern gibt“, sagte Hibbel, stand auf und verließ die Kammer.
Gesche sollte recht behalten. Am frühen Abend dieses lauen Herbsttages war es dann wirklich soweit.
Die Geburt verlief vollkommen ohne Komplikationen, barg aber sprichwörtlich eine kleine Überraschung in sich.
Sie hatte nicht nur ihre erste Tochter geboren, es waren gleich zwei. Hibbel hatte ihre Arbeit gut gemacht und es war alles zum Besten erledigt.
„So, wo ihr beiden gewaschen und angezogen seid, gebe ich euch in die Obhut eurer Mutter.“ Sie lagen nun in den Armen der glücklichen Mutter.
Ganz sanft und zärtlich berührte Gesche dabei erstmals beide Mädchen. Gesine war Hibbel die ganze Zeit zur Hand gegangen und freute sich über ihre kleinen Nichten.
„Nun kann ich die Männer ja mal reinlassen, bevor sie sich in der Diele an dem Fusel zu schaffen machen“, frotzelte Gesine und ging, ihre Verwandten zu holen.
Der alte Harm gab seinem Sohn, als Vater der Kinder, den Vortritt und trat nach ihm in die Kammer ein.
Die kleinen Fenster waren offen und ließen frische Luft und Licht in die kleine Kammer, in der vor Kurzem ein Erdenbürger das Licht der Welt erblickt hatte, dachten die Männer noch, bis sie sahen, was die Frauen für eine Überraschung für sie bereithielten.
„Es sind zwei Töchter und sie sind gesund. Es ist alles dran, was dran sein muss und nun macht den Mund wieder zu, sonst zieht es noch“, sagte Hibbel grinsend den erstaunt dreinschauenden Männern ins Gesicht.
Dann drehte sich Gesine um und machte sich auf, die beiden Jungs von Gesche zu holen. Sie fand sie bei den Hühnern - wo sonst! Hier spielten sie am liebsten, das wusste ihre Tante nur zu gut.
Cordt hatte eines der Hühner auf dem Arm und der kleine Harm saß auf seinem Hosenboden mitten zwischen dem Federvieh. Er genoss es richtig, dass sie um ihn herum pickten und scharrten.
Aus dieser Idylle holte sie die beiden: „Ihr habt jeder ein Schwesterchen bekommen. Kommt mit, ich zeige sie euch. Ihr müsst aber brav sein“, meinte sie noch. Dann fasste sie beide an den Händen und tänzelte vor Freude mit ihnen ins Haus.
„Das kenne ich schon“, prahlte Cordt zu seinem kleinen Bruder. „Da musste ich schon einmal mitgehen, als ich noch klein war. Da hatten sie dich gebracht“, meinte er altklug, folgte daher brav seiner Tante.
In der Kammer angekommen besahen sie sich die neuen Familienmitglieder ganz genau, soweit es eben etwas zu sehen gab.
„Das sind ja zwei. Kann ich mir eine aussuchen?“, fragte Cordt und die Alten lachten herzhaft. Selbst der alte Harm klopfte sich vor Freude auf seine Schenkel.
Cordt trat ganz nah an seine Schwestern heran und musterte sie sehr gründlich. Dann schaute er von einer zu anderen, wendete sich der Mutter zu, ließ den Finger aber an der Stirn eines der Mädchen und fragte: „Wer hat denn meinen Schwestern den Fleck da hingemalt?“
Hibbel trat für die Mutter ein und sagte gewandt: „Deine Schwestern sind jede mit einem Muttermal gesegnet worden. Der liebe Gott hat das so gewollt.“
Claus war es gar nicht aufgefallen und er schaute nun selbst genau nach. Beide Mädchen hatten an der Stirn, wo das Haar seinen Ansatz hat, identische, aber deutlich sichtbare Muttermale, als habe eine Kröte einen Fußab-druck im nassen Ufersand des Baches hinterlassen.
Bevor er etwas anmerken konnte, hatte sein ältester Sohn bereits eine weitere Frage gestellt.
„Wie heißen denn unsere Schwestern?“, wollte Cordt noch wissen.
Gesche sah ihren Mann fragend an und sprach: „Ich würde sie gerne nach meiner Mutter und meiner Großmutter taufen lassen, wenn du einverstanden bist?“
Joachim hatte nie den Hauch einer Chance, aber auch keinen Anlass, seiner Frau diesen Wunsch abzuschlagen.
Eigentlich hätte das ältere der Mädchen auf den Namen seiner Mutter „Adelheid“ getauft werden müssen, aber Joachim wusste, warum ihn seine Frau darum gebeten hatte.
Ihre Mutter und ihre Großmutter waren bei einem Unglück zusammen gestorben. Damals brannte das Haus auf dem Hof, wo sie zusammenlebten, lichterloh nieder. Gesches Mutter wollte ihre bettlägrige Mutter aus dem strohgedeckten Haus retten, aber es ist über ihnen zusammengestürzt, und Gesche hatte es als kleines Mädchen mit ansehen müssen.
Die Männer waren damals nicht auf dem Hof, sondern auf dem Acker gewesen. So konnten sie nicht wirklich helfen. Die Rauchschwaden alarmierten sie viel zu spät, und als sie eintrafen, fanden sie das Haupthaus zusammengebrochen und bereits lichterloh brennend vor. Die Flammen waren schon auf eines der Nachbargebäude übergesprungen. Gesche war zuvor von der Mutter mit ihren beiden Geschwistern an der Hofmauer mit der Auflage zurückgelassen worden, auf keinen Fall hier wegzugehen, bevor sie selbst ins Haus zurückrannte, um die Großmutter zu retten. Joachims Frau wurde jedes Mal wehmütig, wenn sie daran dachte, denn sie vermisste beide sehr.
„Das ist ein sehr guter Vorschlag. Vater, was meinst du dazu?“, fragte er, nachdem er sich zum Angesprochenen gewandt hatte. Er sah ihn dabei bittend, ja flehend an, zuzustimmen.
„Es ist mir Recht“, gab er als Antwort zurück, denn er kannte die tragische Geschichte der Familie seiner Schwiegertochter. Gesche fiel eine schwere Last wie ein Stein vom Herzen.
„Danke“, sagte sie und schaute den alten Harm dankbar in die Augen. Dann nahm sie zuerst das kleine Bündel von ihrer rechten Seite und reichte es dem Großvater:
„Mette, dat is dien Großvadder“.
Dann reichte sie das andere kleine Bündel ihrem Mann mit den Worten:
„Tipke, dat is dien Vadder.“
Hibbel sah Gesche an und nickte ihr zu.
„Die Zwillingsschwestern sehen wie aus einem einzigen Ei gepellt aus“, meinte Gesine zu ihrem Bruder, dem alten Harm, und klopfte ihm dabei lachend auf seine Schulter.
Er drückte nun das Kind seiner Schwester in den Arm, denn es drängte ihn mehr in die Diele zum Schnaps, als sich weiter das „Gesäusel“ und das „Weibergeschwätz“ anzuhören, wie hübsch und lieblich die Kinder anzusehen waren.
1626
Die Zwillinge waren knapp ein Jahr alt und die Bedrohung durch den seit acht Jahren währenden Krieges kam immer näher.
Die Kriegssteuern der Bauern waren erhöht worden und inzwischen immens hoch. Das Amt Rotenburg war bislang von den Kriegshandlungen verschont geblieben. Das änderte sich aber, denn die Gerüchte und Parolen gingen um, dass das katholische Heer unter Tilly nicht mehr weit von Rotenburg entfernt stand. Wenn nicht ein Wunder geschehen würde, so sagte der Pastor von der Kanzel, dann stünde hier bald wieder ein Priester.
Die Menschen fürchteten aber mehr das Leid und die Grausamkeiten, von denen sie gehört hatten und welche die eigenen Soldaten sich so erzählten, als den Priester, der den Pastor ablösen würde.
Letzteres war ihre geringste Sorge, denn Steuern erhoben beide und die Lasten der Abgaben und Frondienste würden bleiben. Seit einigen Wochen waren die Männer zur Befestigung der Rotenburger Burg abgeordnet worden und mussten damit ihre Arbeit auf dem Hof den Frauen und Alten überlassen. Junge Männer wurden auch gegen ihren Willen in die Milizen aufgenommen.
Alle erwarteten, ja fürchteten, dass der Krieg nun auch ins Amt Rotenburg Einzug halten würde.
Der Name, der selbst von den schwedischen Soldaten mit Respekt, Achtung und Furcht ausgesprochen wurde, lautete „Tilly“.
Den Führer der kaiserlichen Truppen fürchteten auch die Menschen in den Dörfern durch die Erzählungen der sich zurückziehenden eigenen Truppen.