Nach dem Erdbegräbnis gingen beide Schwestern noch gemeinsam in Richtung Moor.
Die Eltern wussten, sie würden später nachkommen und bräuchten sich keine Sorgen zu machen.
An einem kleinen Bachlauf standen etliche alte, sehr hohe Pappeln. Am Ufer, in einer langen Kurve des Wasserlaufs, lag ein graubrauner Felsstein, auf dem drei Menschen bequem liegen konnten. Dieses war ihr Lieblingsplatz, den die Zwillinge immer dann aufsuchten, wenn sie alleine über etwas reden wollten und wenn sie Sorgen hatten.
Der heutige Tag war ein trockener, kalter Wintertag. Es lag noch kein Schnee auf den Feldern, doch konnte man ihn bereits in der Luft spüren. „Heute Nacht wird es schneien und Tante Gesines Grab erhält eine weiße Decke“, sagte Tipke zu ihrer 20 Minuten älteren, ebenfalls 14-jährigen Schwester Mette.
„Was sagst du dazu, dass wir beide nun zum ersten Mal getrennt sein werden?“, fragte Mette, die mit ihren Gedanken ganz woanders war.
Tipke schaute ihre Schwester nachdenklich an. „Ich finde es nicht so schlimm, dass wir als Mägde auf verschiedenen Höfen in Sottrum dienen sollen. Die sind ja nicht weit auseinander und da können wir uns abends ja immer gegenseitig besuchen“, antwortete sie recht blauäugig.
„Ja, das sollten wir tun. Tante Gesine und unsere Modder haben uns ja alles beigebracht, was man so wissen muss“, sagte Mette stolz und stieß Tipke den Ellenbogen sachte mit einem verschmitzten Lächeln in die Seite. „Nur die Sache mit den Männern wollte uns Tante Gesine nicht verraten, aber das finde ich schon noch heraus“, fuhr sie schmunzelnd fort.
Sie plauderten noch eine ganze Weile, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machten.
1640-1643
Mette verabschiedete sich von ihren Eltern und den Geschwistern, denn heute war der Tag, an dem sie in Sottrum beim Untervogt ihren Dienst als Jungmagd antreten sollte.
Ihre Schwester war bereits am Tag zuvor losgezogen, ihre Stelle anzutreten.
Die beiden jungen Mädchen hatten sich zwar vorgenommen, sich abends zu besuchen, aber von der Realität eingeholt war es ihnen nicht möglich. Die Pflichten hielten sie auf den Höfen fest. So trafen sie sich regelmäßig an den Sonntagnachmittagen beim Stein oder gingen gemeinsam zu den Eltern.
Beide wechselten jeweils nach einem Jahr die Stellungen, um auf verschiedenen Höfen möglichst viel zu lernen.
Dabei konnten sie sich nicht mehr so regelmäßig sehen, weil sie nun in verschiedenen Dörfern lebten. Mette fiel diese Trennung schwerer als ihrem Zwilling Tipke.
Tipke war in Bülste bei einem Bauern in Diensten, der stolzer Vater eines Sohnes war. Dieser hatte sogleich ein Auge auf die neue Magd geworfen. Dass sie auch von einem Halbhof stammte, machte eine standesgemäße Heirat durchaus möglich, wenn da nicht diese üblen Gerüchte um deren Mutter und Großmutter gewesen wären.
Bülste war ein ganz kleiner Ort im Amt Ottersberg, wohingegen Tipke ja aus Höperhöfen, dem Nachbaramt Rotenburg stammte.
Burghardt, so hieß der junge Mann, zerstreute die Bedenken des Vaters, denn er wollte diese Frau heiraten und mit ihr Kinder haben. Da sie fleißig und redlich ihrer Arbeit nachging, gab der Vater sein Einverständnis.
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