„Wie kommen Sie zu dieser ehrenvolle Aufgabe“, fragte Forte. „An Ihren fußballerischen Fähigkeiten wird es nicht liegen....“
„Das ist jetzt keine Anspielung auf meine Körperfülle.“ Brauns Miene verfinsterte sich kurz. „Während meines Studiums an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt war ich zweimal ein halbes Jahr in Angola bei den Brüdern dort. Deshalb spreche ich fließend Portugiesisch.“ Er nahm noch einen Schluck Wein. „War nicht Pfarrer Adler für diese Aufgabe vorgesehen?“
„Leider kam Heinz Adler ein Skiunfall dazwischen. Sein Pech war mein Glück. Kennen Sie den Spruch ‚Der Mensch denkt, Gott lenkt‘?“
„Ich kenne sogar die Vergangenheitsform: ‚Der Mensch dachte, Gott lachte.‘“ Braun gluckste selbst am lautesten über seine Bemerkung. „Dann wollen wir einmal mithelfen, dass die Nationalmannschaft gut abschneidet. Zu unserem Team gehören ein Sportpsychologe und eine Trainerin für Entspannungstechniken. Ich bin eigentlich fest davon ausgegangen, dass wir in diesem Jahr auch einen Imam dabei haben.“
„Ah, Sie haben sich schon bekannt gemacht!“ Eine drahtige Frau mit grauer Kurzhaarfrisur stand plötzlich neben ihnen im Gang. Forte hatte Barbara Schuster Anfang Mai bei einem Vortreffen in der Zentrale des Fußballbundes in Frankfurt als rechte Hand des Organisationschefs kennengelernt. Sie war ihm von Anfang an unsympathisch. Er wusste nicht, ob es an ihrem gebräunten Gesicht oder an ihrer herrischen Art lag.
Forte streckte sich in seinem Sitz. „Ich hoffe, unsere langen Abwehrrecken haben im Flugzeug etwas mehr Beinfreiheit. Es wäre doch schade, wenn unsere Nationalmannschaft auf dem Flug vom Verletzungspech heimgesucht wird.“
Barbara Schuster grinste. „Da können Sie ganz beruhigt sein. Unsere wertvollen Spieler haben natürlich mehr Beinfreiheit. Wie Sie wissen, sind unsere Nationalspieler schon im Trainingslager in Mexiko. Ich bin überrascht, dass Pfarrer über Humor verfügen.“
Forte schaute sie an: „Da können Sie sich noch auf einiges gefasst machen. Ab wann kommen die Nationalspieler in unser WM-Quartier?“
„In einer Woche erwarten wir sie in unserer Residenz am Atlantik. Ich gehe davon aus, dass sie beide auch zu den Spielen unserer Mannschaft wollen. So ein bisschen Beistand von ganz oben wird unseren deutschen Kickern nicht schaden.“
Kapitel 3
Mittwoch, 4. Juni, 8:15 Uhr, Favela Nova Jaguaré, São Paulo
Gabriella Gil wippte mit ihrem Fuß. Ruhig bleiben und tief durchatmen. Ohren auf Durchzug stellen und nicht aufregen. Als Kommissarin gelang es ihr in brenzligen Situationen die Ruhe zu bewahren. Als Tochter fiel es ihr schwer. Ihre Mutter hatte wieder diesen Blick drauf. Diesen „Ich-mein-es-doch-nur-gut-Blick“, den sie immer aufsetzte, wenn sie ihr Ratschläge erteilte.
„Du musst ausgehen, um endlich einen Mann kennenzulernen. Denk an dein Alter!“
Sie saß mit ihrer Mutter in der engen Küche und trank einen Espresso. Der Duft aus der kleinen Tasse erfüllte die ganze Küche.
„So einen guten Kaffee kochst nur du.“ Sie hatte einfach keine Lust auf dieses Gespräch. „Mamãe, was quälst du dich aus dem Bett. Es war gestern doch bestimmt spät.“
„Der Film hatte Überlänge. Die Herrschaften kamen erst kurz vor Mitternacht nach Hause. Der Senhor war leicht angetrunken. Deshalb hat mich die Senhora nach Hause gefahren.“
„Waren die Kinder brav?“
Andrea Gil lachte. „Manuel ist schon 14 und José bereits 12. Aber ihre alte Baba haben die beiden immer noch gern. Sie kommen mit mir besser aus als mit ihrer Mutter. Ich koche ihr Lieblingsessen und rieche nicht so streng nach Parfüm.“
„Wenigstens bezahlen sie dich ordentlich.“
Ihre Mutter nickte. „Sie zahlen sogar etwas für die Rente, so wie es die Regierung vorgesehen hat. Aber anstrengend ist es trotzdem.“
Gabriella Gil streichelte mit ihrer Hand die Wange ihrer Mamãe. Sie sah müde aus. „Du musst dich mehr um dich kümmern. Du solltest auch mal wieder ausgehen.“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Wer soll mich mit 51 noch wollen...“
„52 Jahre um ganz genau zu sein!“
„Ach, hör schon auf! Um dich mache ich mir Sorgen. Denk daran wie alt du bist. Noch siehst du gut aus, man könnte denken, dass du erst 29 bist, vielleicht sogar 28, dabei bist du doch schon 32. Und die biologische Uhr tickt. Du darfst nicht nur an deinen Beruf denken, sonst wirst du niemals einen passenden Mann finden. Geh aus! Oder geh wenigstens ins Internet oder wo auch immer man heute einen Ehemann findet.“
„Du weißt selbst am besten, dass man ganz gut ohne Mann klar kommen kann. Du hast mich ohne Vater groß gezogen.“
Andrea Gil seufzte: „Gabi hör auf! Der Blödmann hat mich sitzen lassen. Deshalb habe ich dich ganz allein groß gezogen. Du sollst nicht den gleichen Fehler machen.“
Ein kleiner Schmerz zog durch Gabriellas Unterleib. Sie musste an Luiz, das Schwein, denken. Die Geschichte ihrer Mutter wiederholte sich. Nur ohne Kind. Als kleines Mädchen hatte sie erlebt, wie ihre Mutter versuchte noch einen Ehemann zu finden und vielleicht sogar einen Vater für ihre Tochter. Aber die Geschichten gingen nie gut aus. Sie stand auf und lief ins Bad und hielt ihr Gesicht unter das Waschbecken. Seit ihrer Trennung von Luiz lebte sie wieder bei ihrer Mutter. Anfangs dachte sie nur vorübergehend. Bis Luiz wieder bei Besinnung ist. Doch ihr Ex-Verlobter kam nicht zur Besinnung, sondern heiratete dieses Miststück auch noch. Sie kam aus dem Bad und goss sich am Gasherd den Rest des Espresso ein.
„Du siehst mit deinen dunklen Haaren wirklich passabel aus.“ Ihre Mutter ließ einfach nicht locker. „Du hast meine schönen Beine geerbt, meine Intelligenz, seine Auffassungsgabe, leider auch seine etwas zu breite Nase. Du wirst aber nicht jünger!“
Eine Polizeisirene ertönte. Noch nie hatte sich Gil so sehr über ihr Diensthandy gefreut.
Capitão Paulo Mineiro war am Apparat. „Wir haben einen Einsatz im Hotel Marriott in Morumbi. Hast du schon gefrühstückt?“
Gabriella Gil lächelte: „Ich wollte mich gerade auf den Weg zum Bus machen. Was machen wir in diesem Luxushotel?“
„Frühstücken natürlich. Es ist leider dienstlich. Ein Offizieller vom Brasilianischen Fußballverband hat uns angefordert. Ich kann dich mit dem Polizeifahrzeug unterwegs auflesen. Wo können wir uns treffen?“
„Am besten an der Endstation der Buslinie 423b. Da können wir uns in einer Viertelstunde treffen.“
Mineiro räusperte sich. „Noch etwas, Gabriella. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber zieh dir was Ordentliches an. Da kannst du nicht im Kapuzenpulli kommen.“
Gil wollte eine Antwort geben, aber er hatte schon aufgelegt. Sie steckte das Handy in ihre Tasche und aß den halben Keks auf. „Ich habe einen wichtigen Einsatz.“ Sie hauchte ihrer Mutter einen Kuss neben die Wange, dann rannte sie in ihr Zimmer und riss ihren Kleiderschrank auf. Sollte sie in Polizeiuniform kommen? Irgendwo musste noch der graue Hosenanzug sein, den sie damals zum bestandenen Examen an der Polizeiakademie gekauft hatte. Als sie sich mit dem Anzug im Spiegel betrachtete, war sie stolz, dass sie seit damals noch kein Gramm zugelegt hatte.
Den Weg zur Bushaltestelle lief sie im Laufschritt. Es roch nach Zement und Bauschutt. Auf der linken Seite wurden vier neue Wohnblöcke hochgezogen. Ihre Mutter gehörte zu den glücklichen Paulistas, die in einem Neubauprojekt der Favela Jaguaré wohnten. In einer Fernsehsendung über Jaguaré nannte eine Schweizer Architektin diese städtebaulichen Maßnahmen ein „Upgrade der Favela“.
Die Leute an der Bushaltestelle glotzen sie an wie einen Alien. Sie wusste nicht, ob es an dem Hosenanzug lag oder dass sich inzwischen herumgesprochen hatte, dass sie Polizistin war. Sie grüßte eine Frau mit einem Kind, mit der sie vor vielen Jahren die Schulbank im Viertel gedrückt