Vernichten. Hansjörg Anderegg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hansjörg Anderegg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967526974
Скачать книгу

      Er zuckte die Achseln, rückte etwas ab. Sie rückte nach. Andrei schien es nicht zu kümmern. Drei kurze, durchdringende Summtöne und der Blinker über dem Eingang kündeten Besuch an.

      »Sie sind da!«, rief Lider Andrei wie erlöst und sprang auf.

      »Sie?«, flüsterte Fisik ihm mit großen Augen ins Ohr.

      Sergei Churkin oder Gott, wie ihn sein Sohn nannte, trat ein, gefolgt von einem Unbekannten. Gott grüßte freundlich und stellte dem Unbekannten seine Elitetruppe mit sichtlichem Stolz vor. Der hörte sich alles mit unbeweglicher Miene an. Trotz der Hitze draußen trug er Hut und Mantel, die er auch jetzt nicht ablegte, genauso wie seine undurchsichtige Sonnenbrille. Das verblüffendste Merkmal aber war, dass er offenbar keinen Namen besaß. Churkin stellte ihn nicht vor, und trotzdem schien sich an diesem Abend alles um den Unbekannten zu drehen.

      Papa Churkin kam zur Sache und sagte:

      »Mein Freund hier hat einen Auftrag für euch.«

      Dann wandte er sich an seinen Begleiter:

      »Wenn überhaupt jemand dein Problem lösen kann, dann meine Spezialisten.«

      Der Unbekannte ignorierte die gewagte Behauptung. Zum ersten Mal öffnete er den Mund:

      »Was Sie heute Abend hören und sehen, verlässt diesen Raum nicht, und diese Besprechung hat nie stattgefunden. Haben wir uns verstanden?«

      Gott nickte für alle. Seine Spezialisten hüteten sich, etwas zu erwidern. Die Aufforderung des Unbekannten war sowieso überflüssig. Nichts, was im Bunker passierte oder gesprochen wurde, drang je nach draußen. Zu Vladimirs Überraschung zog der Unbekannte ein Mini-Tablet aus der Manteltasche, presste ein paar Buttons und legte es auf den nächsten Schreibtisch.

      »Informationen von höchster Brisanz sind in falsche Hände geraten«, bemerkte er dazu. »Hier ist Ihr Auftrag.«

      Die Truppe drängte sich um den kleinen Bildschirm wie die Touristen um Raffaels Heilige Familie in der Eremitage. Er musste den Text zweimal lesen, um zu glauben, was er sah. Die Worte blieben ihm im Halse stecken. Sie trauten sich einiges zu. An Selbstvertrauen mangelte es ihnen nicht – aber das konnte nur ein Verrückter geschrieben haben. Die Freunde schwiegen ähnlich betroffen.

      »Können Sie das?«, fragte der Unbekannte, als ginge es um eine simple Datenbankabfrage.

      Vladimir fragte sich wohl nicht als Einziger, ob der Kerl sie einfach vor Gott in die Pfanne hauen wollte. Das Gesicht des Mannes gab nichts her und Churkin wartete mit zusammengepressten Lippen auf eine Antwort. Fisik brach den Bann. Nüchtern stellte sie fest:

      »Das geht nicht ohne Unterstützung vor Ort.«

      »Die haben Sie«, antwortete der Unbekannte wie aus der Pistole geschossen.

      »Was soll das heißen?«, fuhr Vladimir auf, immer noch nicht überzeugt vom Ernst der Sache.

      Der Unbekannte ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er antwortete sachlich und emotionslos wie sein Gesicht:

      »Sagen Sie uns, was Sie vor Ort brauchen.«

      »Heißt das, Sie haben lokalen Zugriff auf die Systeme?«

      »Wenn Sie den Zugriff benötigen, bekommen Sie ihn.«

      Was der Typ behauptete war schlicht undenkbar. Der Mann wusste nicht, was er sagte. Vladimir warf seinem Boss Andrei einen warnenden Blick zu und murmelte laut genug, damit es auch der Unbekannte hörte:

      »Wir brauchen Zeit.«

      Wieder kam die Antwort des Unbekannten blitzschnell, als hätte er auf den Einwand gewartet:

      »Zeit ist das Einzige, was wir nicht haben. Es gibt ein Fenster von zehn Tagen. Dann ist es zu spät.«

      Der Kerl musste total verrückt sein. Wahrscheinlich brauchten sie nur schon zehn Tage, um einen Zugang zum System zu finden, der sich für ihre Zwecke eignete. Die ganze Truppe begann aufgeregt zu diskutieren, bis Andrei Einhalt gebot. Vorsichtshalber wandte er sich an Gott, seinen Vater:

      »Wir müssen das seriös analysieren, um endgültig zu entscheiden.«

      »Bis wann?«

      »Vierundzwanzig Stunden«, behauptete Andrei.

      Es klang überzeugend, obwohl er wie alle andern keine Ahnung haben konnte, wie lang sie tatsächlich brauchen würden, um die Machbarkeit zu untersuchen. Der Unbekannte nickte.

      »Vierundzwanzig Stunden«, bestätigte er und wandte sich zum Gehen. »Auf dem Tablet finden Sie alle notwendigen Informationen zum Auftrag.«

      Gott folgte ihm zur Tür. Bevor sie den Bunker verließen, wandte er sich nochmals an seine Elitetruppe:

      »Ich bin sicher, ihr werdet mich nicht enttäuschen – und denkt daran: Was immer ihr braucht, um den Auftrag meines Freundes auszuführen, ihr bekommt es.«

      Vanyas Mund klappte zu.

      »Was war das denn?«, fragte er ratlos, sonst nie um einen bissigen Kommentar verlegen.

      Fisik schüttelte ungläubig den Kopf. »Hat der Allmächtige irgendeine Vorstellung davon, was er gerade gesagt hat? Was immer ihr braucht – wie wär‘s mit einer neuen Serverfarm, damit wir endlich anständig Bitcoins fördern können? Von mir kriegt der eine Wunschliste länger als der Newski-Prospekt.«

      »Dein Einsatz in Ehren, meine Liebe, aber so wird es nicht funktionieren«, entgegnete Andrei.

      »Aha, und das sagt der Hardwarespezialist.«

      Vladimir versuchte, die Wogen zu glätten. Das Gezänk hinderte ihn am Denken.

      »Leute, haltet mal die Klappe. Wir haben nicht viel Zeit, also machen wir uns an die Arbeit. Überlegen wir, was wir wirklich brauchen, falls wir den Auftrag annehmen.«

      Andrei lachte ihn aus und versicherte:

      »Die Option nicht anzunehmen gibt es nicht, Freunde. Falls ihr es nicht kapiert habt: Neinsagen bedeutet Kopf ab für den Alten, und das wollt ihr nicht erleben, glaubt mir.«

      Der stille Architektor Fedor unterbrach das betroffene Schweigen, das Andreis Drohung folgte:

      »Fisik hat recht. Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, die starke Verschlüsselung zu knacken, mit der wir rechnen müssen, brauchen wir die Leistung eines Supercomputers.«

      »Die sollen uns den Lomonosov zur Verfügung stellen«, schlug Vladimir vor.

      Der Supercomputer in Moskau war vor ein paar Jahren immerhin einer der schnellsten in Europa gewesen.

      Fisik schüttelte nachdenklich den Kopf.

      »Die 30‘000 Xeons sind ja ganz niedlich, aber ich glaube, es gibt Besseres. Augenblick.«

      Sie hüpfte an ihren Arbeitsplatz. Die Finger spielten eine Weile Rachmaninow auf der Tastatur, dann verkündete sie mit breitem Grinsen:

      »Ich wusste es. T-Platforms hat das Monster in Testbetrieb genommen. Zehnfache CPU-Leistung gegenüber Lomonosov. Wir müssen nur aufspringen.«

      »Das Monster ist eine Legende«, behauptete Vanya mit einer abschätzigen Handbewegung.

      Vladimir kannte wie alle in der Szene die Gerüchte über den neuen, wassergekühlten Supercomputer, aber eben nur Gerüchte.

      »Bist du sicher?«

      »Euch ist nicht zu helfen. Überzeugt euch doch selbst.«

      Sie wandte sich beleidigt ab und widmete sich ihrem Smartphone. Auf dem mittleren der drei Bildschirme, die aus dem Chaos der Platinen, Chips, Trafos und Kabel auf ihrem Pult herausragten, konnten sie es lesen. Irgendwie war es ihr gelungen, in den geheimen Bereich des Armeenetzwerks einzudringen, wo die Pläne, Protokolle und aktuellen Berichte über die Inbetriebnahme des Supercomputers der nächsten Generation verwaltet wurden. Die Spezifikationen der Anlage rechtfertigten durchaus den Spitznamen Monster. Wenn irgendeine Maschine