Vernichten. Hansjörg Anderegg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hansjörg Anderegg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967526974
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er.

      Immerhin erhob er sich, versetzte dem Eimer einen Fußtritt, dass er an den Rand des Parkplatzes rollte, und folgte ihr zum Dienstwagen.

      »Was versprichst du dir von dieser Übung?«, fragte er unterwegs.

      »Darum geht es nicht. Wir müssen Matulis nochmals zur Waffe befragen. Das weißt du.«

      Er fuhr schweigend weiter. An der nächsten roten Ampel bekräftigte er seinen Vorbehalt gegen Lukas Matulis. Er wandte sich ihr zu und sagte:

      »Ich traue diesem Typen nicht.«

      »Du traust keinem Schlipsträger.«

      Die Ampel wechselte auf Grün. Der Hintermann hupte. Dieter Vogel blickte sich um und dachte nicht daran, weiterzufahren.

      »Suchst du einen Mülleimer?«

      Es war ihr einfach so entschlüpft. Zu ihrer Verblüffung brach er in Gelächter aus und fragte:

      »Hast du einen gesehen?«

      Dann trat er aufs Gas. Die Ampel stand auf Orange und wechselte auf Rot, bevor er sie hinter sich gelassen hatte. Der Hintermann musste eine Runde länger warten. Ihr Partner grinste zufrieden.

      »Na, wie habe ich das gemacht?«

      »Du bist unschlagbar«, versicherte sie trocken, da er wieder im Normalmodus operierte. »Woher stammt eigentlich deine besondere Abneigung gegen Lukas Matulis?«

      Er lachte verächtlich. »Ich bitte dich! Ein Typ, der sogar zu Hause in seiner Festung in Charlottenburg in Anzug, weißem Hemd und blauem Schlips herumläuft – mit dem stimmt doch etwas nicht.«

      »Da ist er wieder, der Schlips«, lachte sie. »Matulis ist ein litauischer Geschäftsmann mit einem Tick. Das ist alles.«

      Er schüttelte entschieden den Kopf. »Da steckt mehr dahinter, garantiert. Du wirst es erkennen, wenn du ihm ins Gesicht schaust. Er fixiert dich mit eiskalten Augen aus der Visage eines Kickboxers oder Stasioffiziers. Das ist nicht das Gesicht des biederen Geschäftsmannes, als den er sich ausgibt.«

      »Dann ist er eben ein knallharter litauischer Geschäftsmann mit einem Tick. Davon gibt‘s sicher viele.«

      »Du wirst schon sehen.«

      Das Haus am Oranienburger Tor besaß zwar einen kleinen Kundenparkplatz, doch der war an diesem Nachmittag besetzt durch Nobelkarossen, die wohl zum Preis der Kunst in der Galerie passten. Bei einer schwarzen Limousine war das Fenster auf der Fahrerseite heruntergelassen. Eine Hand mit brennender Zigarette hing heraus. Die Herrschaften leisteten sich einen Chauffeur. Vor dem Haupteingang war ein roter Teppich ausgerollt. Schlag auf Schlag trafen weitere Limousinen ein, meist mit getönten Scheiben, die keinen Blick ins Innere gestatteten. Die Wagen spien festlich gekleidete Damen und Herren im Smoking aus und entfernten sich rasch wieder.

      »Was zum Teufel ist hier los?«, brummte Dieter Vogel, während er auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Parkverbot eine Lücke suchte. »Das ist ein Aufmarsch wie bei einer verdammten Oper.«

      In Zeitungen und im Netz hatte sie nichts von einer solchen Veranstaltung gelesen. Es musste wohl ein sehr exklusiver Event sein.

      »Geschlossene Gesellschaft«, beschied denn auch der Sicherheits-Bulle mit dem Knopf im Ohr am Eingang.

      Er gab den Tarif durch, bevor sie ein Wort gesagt hatten. Kleidung und Aussehen genügten als Filter. Sie gehörten nicht dazu. Das sah ein Blinder. Dieter Vogel schenkte dem Zerberus ein schiefes Grinsen und sagte:

      »Wenn Sie so weitermachen, könnten Sie schneller recht bekommen, als Ihnen lieb ist, junger Mann.«

      Bevor der andere seine Muskeln in Bewegung setzte, beruhigte er ihn mit dem Dienstausweis.

      »Oberkommissar Dieter Vogel vom LKA. Das ist meine Kollegin, Hauptkommissarin Monika Weber. Wir müssen den Chef sprechen, den Herrn Lukas Matulis.«

      Der Türsteher im Maßanzug überlegte nur kurz, bevor er leise ins verborgene Mikro sprach. Eine Sekunde später erschien ein anderer Maßanzug, wohl der Security-Chef, um mit bedauerndem Lächeln zu verkünden:

      »Tut mir leid, meine Herrschaften. Sie kommen zur falschen Zeit. Herr Matulis ist auf Geschäftsreise.«

      »Wann kommt der denn zurück?«, fragte sie.

      Der Anzug zuckte mit den Achseln. »Ich fürchte, da müsste ich die Geschäftsführerin fragen. Sie ist aber gerade sehr beschäftigt, wie Sie sehen.«

      »Die Mühe können Sie sich sparen. Wir sprechen gerne selbst mit der Geschäftsführerin. Wie heißt die Dame denn?«

      »Roze Matulis. Sie ist die Tochter von Herrn Matulis.«

      Roze Matulis mochte um die dreißig sein, kleidete sich wie zwanzig und empfing sie sichtlich nervös. Sie geleitete sie ins Büro im Erdgeschoss, bemüht, möglichst wenig Aufsehen bei der feinen Gesellschaft zu erregen.

      »Wir führen gerade die sehr wichtige Sommer-Auktion zugunsten unserer Stiftung durch. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn sie sich kurzfassen könnten.«

      Monika Weber hatte kein Problem damit. Ihr Partner schon gar nicht. Sich kurz zu fassen war seine Spezialität.

      »Wo ist ihr Vater, Lukas Matulis?«, fragte er.

      »Auf Geschäftsreise in Holland. Hat man Ihnen das nicht ausgerichtet?«

      »Seit wann, und wann kehrt er zurück?«

      »Vorgestern ist er nach Den Haag geflogen. Wir erwarten ihn am Wochenende zurück. Was wollen Sie von meinem Vater? Worum geht es?«

      Monika Weber schaltete sich ein.

      »Es geht um den Einbruch vor einem Jahr. Sind Sie darüber im Bilde?«

      Roze nickte, abwartend.

      »Damals wurde ein Revolver gestohlen, der Ihrem Vater gehört hat. Wir vermuten, die Waffe sei wieder aufgetaucht. Können Sie sich an den Revolver erinnern?«

      »Ja sicher. Er lag immer hier im Schreibtisch – für den Notfall.«

      »Ich möchte Ihnen ein Foto zeigen.«

      Während sie das Foto der Tatwaffe von Sankt Petersburg in der Tasche suchte, fragte ihr Partner nach der Toilette. Der älteste Trick, sich in einem Haus umzusehen ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Roze überlegte kurz, dann schickte sie den unliebsamen Besucher ein Stockwerk höher, weg von den feinen Herrschaften.

      Dieter Vogel dachte nicht daran, den Weg über die Hintertreppe zu benutzen. Beim Betreten der Galerie war ihm im hinteren Teil des lang gestreckten Raums ein Balkon mit Balustrade aufgefallen, von dem aus man die Gäste, die an der Auktion teilnahmen, unauffällig beobachten konnte. Er war allerdings nur über eine leicht einsehbare, frei schwebende Treppe zu erreichen. In unregelmäßigen Abständen stiegen einzelne, meist ältere Herren hinauf und verschwanden im Dunkel des Flurs der oberen Etage. Der Weg zu den feinen Toiletten? Er schlenderte an Ikonen und vergoldeten Holzskulpturen vorbei, die niemand beachtete und eigentlich in ein abgelegenes russisches Kloster gehörten. An den Wänden hingen moderne, abstrakte Malereien, die seiner Meinung nach gar nirgends hingehörten, nicht wenige davon mit einem diskreten roten Punkt gekennzeichnet: verkauft. Die Gäste interessierten sich auch nicht für die Moderne. Er fragte sich, was hier wohl versteigert würde, oder ging es am Ende nur ums Geld, nicht um Kunst?

      Der Blick vom Balkon schaffte Klarheit. Hier wurden keine teuren Kunstwerke versteigert, sondern niedliche Kinderzeichnungen. Ein Banner an der Wand hinter dem Pult des Auktionators präsentierte unter dem Logo der Stiftung deren Leitmotiv: Wir helfen bedürftigen Kindern. Nobel, dachte er, fast ein wenig enttäuscht. Die Zeichnungen, oft nicht viel mehr als einige Strichmännchen mit einer gelben Sonne, gingen für bis zu fünfhundert Euro über den Tisch. Die Herrschaften zeigten sich großzügig zum Wohl der Kinder, ein eklatanter Widerspruch zu seinem gefestigten Vorurteil. Außer der Tatsache, dass da offenbar viel Geld zusammenkam, gab es nichts zu entdecken.

      Nach