Vernichten. Hansjörg Anderegg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hansjörg Anderegg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967526974
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eignete sich nicht für diesen ekelhaften Fall. Zudem musste sie sich allmählich angewöhnen, für zwei zu essen, selbst wenn ihr wegen der Bilder im Kopf ganz und gar nicht danach war.

      Monika Weber und ihr Partner Dieter Vogel standen vor der Pinnwand im Besprechungszimmer, wo sie die Akten studiert hatte. Der fensterlose und meist abgeschlossene Raum diente als diskrete Operationsbasis für die kleine Truppe, die den Doppelmord in Sankt Petersburg untersuchte. Die spärlichen Informationen an der Wand bedeuteten nichts Gutes. Die beiden waren offenbar noch keinen Schritt weiter bei der Ermittlung der russischen Kontakte ihrer ermordeten Kollegen. Vogel blätterte in einer Akte und schüttelte den Kopf, dann knallte er die Mappe schimpfend auf den Tisch.

      »So eine Scheiße! Entweder sind diese Russen lausige Ermittler, oder sie halten absichtlich Informationen zurück. Ich finde keinen verdammten Hinweis auf ein Handy der Opfer, noch nicht einmal die Info, man habe gesucht und keins gefunden. Das gibt‘s doch nicht.«

      »Vielleicht liegt es an der Übersetzung«, gab Chris zu bedenken.

      Monika Weber schüttelte energisch den Kopf. »Auf die Übersetzerin ist Verlass. Wir arbeiten schon jahrelang mit ihr zusammen. Für sie lege ich die Hand ins Feuer.«

      »Ihr Wort in Gottes Ohr. Ich möchte trotzdem eine Kopie des russischen Originals.«

      »Kein Problem. Im Moment können wir sowieso nur Daumen drehen, bis wir weitere Informationen aus Sankt Petersburg erhalten.«

      Der Bericht bestätigte die ersten Aussagen der russischen Kollegen. Das falsche Ehepaar Meier war ermordet worden, ein Doppelmord, der nur dank der Aufmerksamkeit des russischen Pathologen nicht als tragische Abrechnung unter Eheleuten durchging. Chris betrachtete das Bild der Tatwaffe, eines Revolvers ›Smith & Wesson‹ Modell 19, Kaliber .357, nicht gerade die gängigste Handfeuerwaffe in Russland. Die Täter hatten an alles gedacht. Es sollte wohl so aussehen, als hätten die Meiers den Revolver aus Deutschland mitgebracht.

      »Sind das Blutflecke auf dem Holzgriff?«, fragte sie unvermittelt.

      Die Kopie in der übersetzten Akte ließ keine eindeutige Interpretation zu. Monika Weber reichte ihr das Original aus dem russischen Bericht und stutzte.

      »Das sind Farbtupfer, rote Farbtupfer.«

      »Moment!«, warf ihr Partner ein. »Eine ›Smith & Wesson‹ mit roten Flecken auf dem Griff? Warum ist mir das nicht früher aufgefallen?«

      Chris hütete sich, ihm die Frage zu beantworten.

      »Sag nicht, du kennst den Revolver«, brummte Monika Weber.

      »Vielleicht«, antwortete er nachdenklich, schon an der Tür. »Augenblick.«

      Nach zehn Minuten kehrte er mit einer Fotokopie zurück, auf der ein Revolver abgebildet war, der ihrer Tatwaffe glich wie ein eineiiger Zwilling. Das Foto war nicht besonders scharf, da offenbar aus einem Schnappschuss vergrößert, aber die Farbflecke befanden sich an exakt denselben Stellen. Es konnte kein Zufall sein. Zwei fragende Augenpaare richteten sich auf Dieter Vogel.

      »Ja, es tut mir leid, dass ich nicht sofort geschaltet habe. Ein solcher Revolver ist vor einem Jahr bei einem Einbruch gestohlen worden.«

      »Seit wann beschäftigst du dich mit Einbrüchen?«, fragte seine Partnerin eingeschnappt.

      »Es war ein Einbruch in eine Galerie am Oranienburger Tor. Der Besitzer hat den Täter überrascht, wollte ihn mit so einem Revolver stellen, hat ihn sogar angeschossen, ist aber niedergeschlagen worden. Als er wieder zu sich kam, war die Waffe verschwunden. Man hat den Einbrecher nie geschnappt, den Revolver auch nicht – bis jetzt.«

      Monika Webers Gesicht verfinsterte sich um mindestens zwei Stufen.

      »Warum weiß ich nichts davon?«

      »Du warst damals im Urlaub, und der Fall nicht gerade weltbewegend. Er ist schnell zu den Akten gelegt worden.«

      »Offenbar zu schnell«, murmelte sie laut genug, damit er es hörte.

      »Was für eine Galerie war das?«, fragte Chris.

      »Die Galerie Matulis. Der Besitzer heißt so, Lukas Matulis.«

      »Der Matulis?«, fuhr seine Partnerin auf mit der Betonung auf »der«.

      Er nickte. Chris lebte offensichtlich noch nicht lange genug in Berlin oder verkehrte in den falschen Kreisen.

      »Muss man den Herrn Matulis kennen?«

      Vogel lachte verächtlich auf. »Er glaubt es jedenfalls. Der feine Herr verkehrt in den besten Kreisen der Stadt, spielt sich als der große Wohltäter und Kunstmäzen auf. Ich will gar nicht wissen, wie viele seiner Schinken im Regierungsviertel an den Wänden hängen.«

      »Das macht ihn noch nicht zum Verbrecher.«

      »Nein, aber diese aalglatten Anzug-Typen gehen mir einfach auf den Wecker.«

      »War seine Aussage denn glaubhaft?«

      »Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln. Er besaß sogar einen ordentlichen Waffenschein für den Revolver.«

      »Na also«, sagte Monika Weber. »Und wie kommt diese Waffe ins Hotelzimmer in Sankt Petersburg?«

      »Falls es tatsächlich dieselbe Waffe ist. Ist es denkbar, dass sie inzwischen doch aufgetaucht ist und die Kollegen sie aus Berlin mitgenommen haben?«

      Dieter Vogel verneinte entschieden. »Ausgeschlossen!«

      »Wir werden den Herrn Matulis noch einmal befragen«, entschied seine Partnerin.

      Chris versprach sich nicht allzu viel davon. Falls Matulis damals die Wahrheit ausgesagt hatte, würde er an der Geschichte festhalten. Andernfalls auch. Es sei denn …«

      »Ist Matulis erkennungsdienstlich erfasst worden?«, fragte sie.

      Vogel nickte. »Wir haben seine Fingerabdrücke erfasst. Sie werden uns allerdings nicht weiterbringen. Auf dem Revolver sind nur die Abdrücke der ermordeten Kathi Bach sichergestellt worden.«

      »Und auf den Patronenhülsen?«

      Davon stand nichts im Bericht aus Sankt Petersburg. Es war nur von Abdrücken auf der Tatwaffe die Rede, was immer die russischen Kollegen darunter verstanden. Monika Weber ging zum Telefon mit der Spinne für Konferenzgespräche.

      »Schadet nicht, wenn wir danach fragen«, bemerkte sie, während sie die Schaltung nach Sankt Petersburg vorbereitete.

      Sobald die Verbindung zu Colonel Gregori Makarov stand, fragte sie zuerst nach dem Befinden des Mädchens.

      »Es geht ihr gut, den Umständen entsprechend«, versicherte Makarov. »Wir haben inzwischen ihren Namen erfahren. Sie heißt Jelena. Einen Nachnamen kennt sie nicht, und wir tappen weiterhin im Dunkeln darüber, woher sie kommt.«

      Er berichtete mit monotoner Stimme, als läse er den Text ab. Chris konnte nicht beurteilen, wie offen er informierte, oder ob er Informationen zurückhielt. Dass beide Seiten sich in der Fremdsprache Englisch unterhalten mussten, trug auch nicht zur besseren Verständigung bei. Weitere Fragen zu Jelena beantwortete Makarov kurz und ausweichend.

      »Was geschieht jetzt mit dem Mädchen?«, fragte Monika Weber, bevor sie das Thema wechselte.

      Makarovs Partnerin, Sofia Yeltsova, schaltete sich ein:

      »Wir sind dabei, einen Platz in einer bekannten Familie für Jelena zu organisieren. Ich werde ein Auge auf sie haben.«

      Eine gute Nachricht, endlich, dachte Chris.

      »Wunderbar«, sagte auch Monika Weber. »Gibt es neue Erkenntnisse aus Ihren Ermittlungen?«

      Makarov antwortete:

      »Ja, zwei Dinge. Nach Aussage des Mädchens ist Jelena von einer ihr unbekannten Frau, wahrscheinlich zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, mittelgroß mit grünen Augen, ins Hotel gebracht worden. Sonst hat sie nichts vom Gesicht der Unbekannten gesehen. Kurz vor dem Betreten des Zimmers