Wenn wir auch Stück für Stück mehr wissen, ist es lange keine wirkliche „Geschichte“, die wir erzählen können, da wir nur einzelne Aspekte, einzelne Teile von verschiedenen Ebenen kennen. Das, was zurückkommt, ist oft erst mal kein beschreibbares Bild, sondern einzelne Empfindungen oder kleine Teile eines Bildes, wie ein Blick in ein Kaleidoskop. Es dauert eine Ewigkeit, in der einzelne Fetzen in unser Bewusstsein gelangen und wir endlich so etwas wie klare Momente oder Zusammenhänge erkennen. Zudem ist alles nur selten absichtlich hervorzurufen, sondern kommt halt, wenn es getriggert wird, und Trigger fragen nicht, ob es gerade passt.
Wenn ich Dinge nicht weiß, mir Informationen fehlen oder ich mich frage, wie wir dies und das auf die Reihe bekommen haben, warum jenes (doch) geklappt hat, dann komme ich meist relativ schnell auf die Lösung, dass das am Viele-Sein liegt. Dissoziation kenne ich, wage ich sogar zu behaupten, einen Teil davon verstanden zu haben. Aber wenn ich jetzt plötzlich Dinge weiß, die ich eigentlich nicht wissen kann, wenn ich nicht weiß wohin, nicht wo wir sind, nicht wo oben und unten ist und mir plötzlich wer eine Karte hinhält und Orientierung gibt, die ich eigentlich nicht habe, dann ist das oft noch verunsichernd. Für mich. Ich weiß, dass es anderen anders geht. Denn die Lösung des Rätsels ist dieselbe. Jedoch ist das Bewusstsein dafür, dass wir sehr wohl zusammen funktionieren, dass wir, auch dann, wenn wir es nicht wissen, zusammen handeln, fühlen, denken, dass wir immer mitbeeinflusst werden, von den anderen, dass wir zusammen sind, nur zusammen existieren, sehr viel neuer und scheint undurchsichtiger und fragiler, als die bekannte, schwarze Fremde.
Trotz des vielem dichten Nebel, zeigen sich die gegenwärtig essentiellen Themen. Sie strecken ihre Pranken nach mir, zeigen sich in Schmerzen und anderen plötzlichen, „unerklärlichen“ Körperempfindungen, sie verfolgen mich mit kreischenden Albträumen, um mir Zeichen zu schicken. Erst pickst mich eine einzelne Krallenspitze, wenn ich diese kennenlerne und mich ihr zuwende, kann ich ihre Kratzer spüren. Nachts erwache ich aus panischem Schmerz und es zeigen sich ganze Risse. Dann bekommt sie mehr und mehr Kraft und auf einmal greift die ganze Kralle nach mir. Sie zerfetzt mich in der Luft, Wunden reißen auf, von denen ich nichts wusste, für deren Entstehung ich keinerlei Erklärung habe, weil ich mich an die Verletzungen nicht erinnere.
Trigger sind Zeichen für das, was sich hinter dissoziativen Barrieren befindet. Für Dinge, die jetzt dran sind, angeschaut und verarbeitet zu werden, Altlasten, die integriert werden wollen. Eigentlich zeigen sie nur eine Bedrohung an, sind Auslöse-Reize und wollen uns nicht quälen, indem sie uns zurück in den Schrecken des Dort-und-Dann katapultieren, noch bevor wir überhaupt einen rationalen Gedanken fassen können. Aber das ist nun mal ein Teil des Weges zu mehr Integration. Wenn wir welche kennenlernen, vermeiden wir sie zunächst meistens. Koste es, was es wolle. Wir halten das nicht aus, wir wollen nicht völlig verstört sein, Hauptsache unser Organismus wird nicht zum panischen Ekelpaket. Wir vermeiden sie lieber, weil sie uns in Zustände bringen, die wir uns nicht ausgesucht haben, die wir abscheulich finden, und wenn wir auf ihre Zeichen hören, nehmen sie uns am Ende noch alle Argumente zur Verleugnung. So sind viele Reize überfordernd, die andere gar nicht wahrnehmen, auch wenn bei uns (Außen)Wahrnehmung manchmal sehr eingeschränkt oder nur auf einen bestimmten Fokus gerichtet ist. Viele Reize sind für mich in ihrer Masse einfach „zu viel“, überlasten unser Nervensystem, aktivieren Überforderung und dann traumatische Ohnmacht, und dann ist es völlig vorbei. Und viele Reize, einzelne, die ganz subtil sein können, für Außenstehende kaum oder nicht wahrnehmbar, sind für uns Trigger, können Flashbacks, Wechsel, Panik auslösen.
Ich frage mich manchmal, wie wir eigentlich alles andere noch hinbekommen, wenn wir ständig und unaufhörlich vom Angst-Terror verfolgt und beeinträchtigt werden. (Damit es doch funktioniert, sind wir eben viele.) Aber niemand, wirklich niemand kann an unserem hochaktiven limbischen System etwas ändern, wenn wir es nicht versuchen. Es ist schrecklich, wenn jemand mitbekommt, dass wir getriggert wurden, weil wir uns schämen. Hier ist sie wieder. Die Scham. Weil wir so „übertrieben schreckhaft“ sind. Aber da ist nichts übertrieben, das ergibt alles viel Sinn, bleibt aktuell, weil es noch nicht bearbeitet und richtig einsortiert ist. „Sobald man sich in Gefahr befindet, reagiert man schon. Die Evolution denkt für dich“ (Joseph LeDoux).
Ja, danke Evolution. Kannst jetzt wieder aufhören. Die Amygdala, ist durch eine Nervenverbindung u. a. auch am motorischen System angeschlossen. Super, wenn wir bedroht werden. Blöd, weil die Evolution keinen Kalender dabei hat, um zu bemerken, dass die Angstreaktion ein bisschen spät kommt bzw. langsam Feierabend hat. Wir schämen uns, weil das doch kein Trigger sein kann. Weil wir uns nicht „zusammenreißen“ können, weil wir Anteile abstoßen und nicht haben wollen. Ich fasse mal kurz zusammen, was ein potentieller Trigger ist:
Alles.
Es gibt keinen lächerlichen Trigger. Ein Geruch, ein Wort, ein Geräusch, eine bestimmte Bewegung, die wir sehen, oder auch das Gefühl davon, bestimmte Berührungen, eine Umweltkonstellation, bestimmte Orte, Gegenstände, spezielle Klamotten, Farben – alles. Alles, weil die Dimensionen und Ebenen der Erinnerungen zerfetzt sind und es nur einen kleinen Teil geben muss, um auszulösen. Es geht nicht um den Auslöser, es geht um das, was ausgelöst wird. Unser Gehirn greift sich nur etwas, dass es greifen kann, da reicht ein kleiner Fetzen aus dem Puzzle, der aus dem Nebel ragt und mit dem Trauma assoziiert ist. Das, was schlimm ist, ist das, was von uns als Hier-und-Jetzt erlebt wird. An einer Pistole ist auch nicht der Auslöser, Englisch: Trigger, das Problem. Das ist nur ein Metall- oder Plastikstück. Das Schreckliche ist, was durch das Auslösen passiert.
Heutzutage steht oft irgendwo „Trigger-Warnung“. Ich bin dann immer ganz gespannt, was nun kommt, weil diese „Warnung“ suggeriert, dass gewusst wird, was triggert. Das finde ich schon mal interessant. Natürlich mag es „große Trigger-Situationen“ geben, die auch Außenstehende als solche identifizieren können, weil sie vermutlich sehr viele von uns triggern. Aber es ist und bleibt individuell. Natürlich gibt es Inhalte und Worte, die belasten können, aber ich unterscheide die allgemein verwendete Bedeutung von Triggern, die sich meist auf belastende Erinnerungen beziehen, von der des „echtes Zurückwerfens/Auslösens“.
Triggern bedeutet eben auslösen. Ausgelöst werden kann neben belastendem Material auch die körperliche Kettenreaktion bei Todesangst, daran gekoppelte Wechsel oder einzelne somatische Symptome. Es gibt oft zahlreiche Trigger, die wir (lange) gar nicht kennen können, da im Falle von chronischer Traumatisierung sich die Anzahl von verschiedenen Reizsituationen multipliziert. (Tageszeit, Ort, Klamotten/Geruch/Zustand der Täter_innen, weitere äußere und innere Faktoren und was sonst ein Trigger sein kann, siehe oben). Wenn schon eine gewisse Nuance in einem Geruch oder auch eine Form, die z. B. als Muster auf der Kleidung war, ein Trigger sein kann, ist offensichtlich, wie endlos viele es sein könnten, auch welche, die wir nie bewusst benennen werden können. Was diese „Warnungen“ meinen, sind meist Gewaltthemen, auch wenn Definitionen von Gewalt sehr unterschiedlich ausfallen. Es geht darum, dass Missbrauch besprochen oder Vernachlässigung diskutiert wird. Themen, die allgemein vermutlich schwer auszuhalten sind, die zudem oft als Tabu gelten, wodurch sich nichts an der Problematik oder der Belastung bessert. Diesen Warnungen ermöglichen die Entscheidung, ob wir weiterlesen oder -hören oder nicht. Das ist natürlich kein Fehler, denn belastende Erinnerungen können Scham und Machtlosigkeit hochholen und uns in einen Schmerz-Strudel ziehen. Zumindest, wenn die dissoziative Symptomatik nicht ganz so komplex ist. Denn dann ist der Bezug zu uns selbst und oder eine allgemein schmerzhafte emotionale Berührtheit meist dissoziiert. Es gibt immer welche, die auf eine solche Thematik relativ unberührt reagieren, abgesehen davon, was währenddessen innen passiert. Einerseits wenig erschüttert, weil diese Themen zu unserem Alltag gehören, in der Praxis hoffentlich gehörten. Doch sie sind eben Teil unserer Geschichte und durch