Traumafolge(störung) DISsoziation. Zora Kauz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Zora Kauz
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783969405482
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Rolle spielt.). Denn egal wie viel wir uns auf unser großes, super-schlaues Denken (was es ja sein mag) einbilden – wirkliche Heldentaten tun Hirnareale und unser Körper, ohne dass wir willentlich mitwirken. Hätte unser Verstand so viel Einfluss auf unser Handeln wie unbewusst ablaufende Mechanismen und Prozesse, wären wir längst ausgestorben.

      Was aus der Flut an Eindrücken aussortiert wird, wie wir es im ersten Moment deuten, was Aufmerksamkeit erregt, wie wir wahrnehmen, was eine bewusste Erinnerung wird und bleibt oder als irrelevant gewertet und somit gehemmt abgelegt wird, wie und wann wir auf Gefahr reagieren und fürs Überleben sorgen, all das geht automatisch vor sich. Dann scheint unser „bewusster Verstand“ die Führung und einen Überblick zu haben, aber was er zu führen bekommt und welchen Teil er überblicken kann, das wird unbewusst entschieden.

      2 Ich beziehe mich hier primär auf Grundlegendes; Automatismen im evolutionären Sinne, die nicht willentlich beeinflussbar sind, aber unbewusst vom System für das System ablaufen. Hier konditioniert uns die Erfahrung an sich. Die resultierenden Eigenschaften und Strukturen sind nicht immer auf Anteile übertragbar, die durch gezielte Konditionierung entgegen den ursprünglichen Strategien des Organismus gelernt haben. Wobei es nicht leicht ist, den Ursprung zu erkennen, da auch Anteile, die durch die Erfahrung selbst konditioniert wurden, total entgegen den natürlichen Instinkten handeln können, weil die Extremerfahrung die biologische Notwendigkeit von bestimmten Reaktionen völlig verzerrt hat.

      3 Introjektion: Unbewusstes Einbeziehen fremder Anschauungen, Motive o. Ä. in das eigene Ich.

      4 Hierbei wird zwischen ToM und Empathie noch mal unterschieden, da das Verstehen nicht dem Mitfühlen gleicht. Allerdings wir in vielen Publikationen affektive ToM mit kognitiver Empathie gleichgesetzt, was dann das Verstehen von Emotionen beschreibt.

      5 U. a. die Inselrinde – wo Schmerzverarbeitung stattfindet und Empfindungen verarbeitet werden und der temporo-parietale Übergang; hier schreibt Neurowissenschaftlerin Rebecca Saxe dem rechten mehr Bedeutung für die Interpretation des Verhaltens anderer zu (Richardson & Saxe 2019).

      6 Gemeint sind: chemische Anhängsel, wobei die Methylierung, angehängte Methylreste, am besten untersucht ist und eine Hypomethylierung eines bestimmten Gens bei Angststörungen bedeutend sein soll, wobei dieses hypo, also „zu wenig“, von Methylierung evtl. durch Psychotherapie wieder in ein gesundes Methylierungsmuster gebracht werden kann (Ziegler et al. 2016), jedoch ist der molekulare Weg (noch) nicht klar und die Belege zu gering, um von breitgültigen Fakten sprechen zu können.

      7 Bewusstsein als das, worauf Hirnleistungen aufbauen, also primäre Prozesse der Empfindung und deren Verarbeitung, zum Objekt kognitiver Prozesse werden und die Ergebnisse aus dieser Metaanalyse repräsentiert werden und wir uns also unserer Empfindungen, Wahrnehmungen, allgemein unserer Existenz wahr sind.

      4 (K)eine Diagnose (nur für Titel-Interessierte)

      Diagnosen sind Worte auf Papier.

      Diagnosen sind dann gut und richtig und wichtig, wenn sie ihren Job erfüllen. Und den erfüllen sie in dem Kontext, in dem sie eine Begrifflichkeit sind, um Behandlungsindikationen anzuzeigen. Dafür sind sie da. Hier werden sie gebraucht (wenn sich auch außerhalb der Allgemeinmedizin wieder über die Bürokratisierung von menschlichem Leid gestritten werden könnte). Aber davon abgesehen werden sie eben oft ihrem Job entfremdet. Darum schreiben wir auch nicht ständig von uns mit dieser und jener Diagnose, sondern von uns als Mensch mit diesen und jenen Wahrnehmungen, Erfahrungen, Themen, Problematiken und Behinderungen. Diagnosen sollen ein Wegweiser sein, in welche Behandlungsrichtung es gehen sollte. Im psychiatrischen Bereich können sie als Einsicht dienen, um Dingen eine Erklärung zu geben, oder als Indikator für medikamentöse Einstellungen. Eine Diagnose ist für Betroffene wichtig, um Krankheitsbilder kennen und verstehen zu können, auch wenn eine Diagnose uns nicht uns selbst erklärt, aber manche Symptome eben. Ohne einen Begriff, um den es geht, ist Psychoedukation unmöglich, und diese kann von großer Bedeutung sein. Diagnosen geben „all dem“ einen Namen. Symptome können zugeordnet und durch Sprache greifbar werden. Zudem haben sie dann einen Grund und meist auch einen Sinn. Diagnosen können Sicherheit geben, weil alles eben nicht nur schrecklich und unkontrollierbar ist – was es schon noch ist –, aber eben nicht grundlos. Zudem können diese Titel zu Kontakt (direkten, schriftlichen oder über das Lesen von Texten Anderer) verhelfen, zu Menschen, die auch so betitelt wurden, was unglaublich wertvoll sein kann, wenn wir spüren, entgegen so manchen Glaubenssätzen, nicht mit allem ganz allein zu sein. Ich kann davon nur sehr begrenzt bzw. für einzelne Elemente im Bezug auf Bücher berichten, da außerhalb von Kliniken solche Dinge heutzutage primär online stattfinden, wir aber flimmernde Bildschirme nicht lange, bei hohem Schlafmangel gar nicht, ertragen können, ohne einen epileptischen Anfall zu provozieren. (Es besteht eine hohe visuelle Empfindlichkeit, sodass ich bspw. beim Abtippen von Texten, die immer auf Papier entstehen, den Bildschirm oft auch ausschalte oder nicht direkt darauf schaue.) Zudem bin ich irgendwie vor der Digitalisierung von Zwischenmenschlichkeit stehengeblieben, da ich auch heute noch immer eher und lieber einen Brief, als Textnachrichten per SMS verschicke. (Und ja, ich weiß, auch das ist schon wieder altmodisch.) Wir sind also nicht so viel im Austausch, wie es andere vielleicht über Foren oder Blogs sind, was manchmal schmerzt, aber weiß ich auch, dass diese Kontaktform nicht nur Entlastung bringt. So ist auch über einseitige Kommunikation von Menschen zumindest zu lesen, von denen ich das Gefühl habe, in Manchem verstanden zu werden, weil sie Dinge schreiben, die ich auch schon gedacht habe, unglaublich wertvoll, so traurig diese Momente auch sein mögen. Obwohl ich finde, dass Etiketten für Dosen und nicht für Menschen sind, können Diagnosen Halt geben, denn auch wenn wir mehr sind als solch ein Titel, ist es wichtig, damit anerkannt zu werden, weil wir eben auch das sind. Es ist, je nachdem, ein Teil von uns, oder sogar bedeutender eine Beschreibung von dem, wie unsere Informationsverarbeitung und Wahrnehmungsprozesse funktionieren, auch wenn sich das wandelt.

      Doch kein Bericht, keine Diagnose und keine Akte kann vorhersagen, welche Erfahrungen, Schwierigkeiten und Talente ein Mensch letzten Endes mitbringt. Manchmal braucht es ein Loslassen von theoretischen Schablonen und festen „Heilungsplänen“, besonders wenn eine Fehldiagnose gestellt wird und trotz Antipsychotika noch Halluzinationen da sind. Eine ausführliche Diagnostik wäre auch eine Idee. Dies ist sicherlich nicht leicht, wenn eine Diagnose-Karriere vorliegt, die primär aussagt, dass sehr viel kaputt ist, und alle eine andere Meinung haben und auch Komorbidität besteht, aber es ist nicht unmöglich, wenn gründlich hinterfragt wird.

      Laut der ISSTD, einer internationalen Gesellschaft für Traumaforschung und Dissoziation, verbringen Menschen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung fünf bis zwölf Jahre in irgendeiner/verschiedener Behandlung, bis sie eine korrekte Diagnose erhalten. Das liegt auch an der „multiplen Symptomatik“, da Einzelsymptomatiken oder auch ausreichende Diagnosekriterien für eine zusätzliche Diagnose u. a. folgender Krankheitsbilder vorliegen können: Depressionen, Ängste, Somatisierungsstörungen, Essstörungen oder Sucht sind oft ein Teil. Dabei entsprechen ab einer gewissen Komplexität der dissoziativen Struktur aber nur einzelne Anteile zusätzlichen Krankheitsbildern, andere nicht, oder sie weisen eine andere Problematik auf. Da wir oft nur sehr wenig wissen und es auch an Aufklärung im Bereich der komplexen Dissoziativen Störungen mangelt, dauert es mitunter sehr lange, bis erkannt wird, was hier vorliegt. Es handelt sich nun mal um eine individuelle Überlebensstrategie, die u. a. von den Fähigkeiten/Voraussetzungen der Person, der Umweltkonstellation, den traumatischen Ereignissen, ihrer Schwere und Wiederholungen wie auch der Beziehung zu Täter_innen abhängig ist. Das erfordert differenziertes Hinschauen und es muss generell die Möglichkeit von Dissoziation überhaupt in Betracht gezogen werden. Ich kann auch nicht beurteilen, wie wir von außen aussehen/wirken/erscheinen und konnte es schon gar nicht zu Beginn unserer ersten psychiatrischen Kontakte. Sicherlich gibt es Überschneidungen in den Kriterien von traumaassoziierten Störungen, was zu unklaren oder schwer zu treffenden Differentialdiagnosen führen kann. So gibt es beispielsweise Menschen mit einer Borderline Diagnose, die auch eine dissoziative Symptomatik zeigen (bspw. Emotionen von der Bedeutung spalten),