»Hey, my god, did anybody ever tell ya, that you are tall?!«, quäkt es da plötzlich von links hinten in jenem breiten Gerülpse, das in weiten Teilen der USA als Sprache anerkannt ist. Wir drehen uns um, eine kleine, dicke Amerikanerin asiatischer Herkunft grinst breit.
»Tall? Me? You’re sure?!«, antworte ich geistesgegenwärtig. Nun bin ich nicht gerade der Kleinste und falle besonders in asiatischen Ländern auf, weil ich mit meinen 2,03 Metern mühelos jeden überrage. Doch so plump hat es bisher noch niemand gebracht. Die pummelige Amerikanerin tut fortan so, als hätte sie mit uns die Wartezeit an den drei Einreiseschlangen am Flughafen verbracht, textet uns gnadenlos mit Blabla à l’americaine zu (»So fascinating, isn’t it? Überfascinating.«). Wir spielen mit, wohl wissend, dass der trendige Ami momentan die deutsche Vorsilbe »über« favorisiert (»It’s just like, you know, so unique. Überunique.«), bis die Frau dann abrupt stehen bleibt und sich mit einem: »Allright, I’ll just catch a photo right here. See you, boys.« verabschiedet. Weg ist sie.
Es ist zwar schon schwärzeste Nacht, doch noch früh am Abend, als wir endlich wieder unsere Pauschalfreunde treffen. Ry grollt nicht, weil wir den Nachmittag ohne seine Erläuterungen verbracht haben. Er bleibt die radebrechende Freundlichkeit in Person. Doch er ist verzweifelt, weil er den Programmpunkt »Sonnenuntergang von Phnom Bakheng« nicht mehr untergebracht hat. Dafür will er uns am nächsten Morgen mit einem Sonnenaufgang locken. Irgendwie sind wir alle nicht begeistert von der Vorstellung, schon wieder um 5 Uhr früh aufstehen zu müssen, und lehnen das Angebot ab. Nun schmollt Ry doch ein wenig und scheucht uns zur Strafe in einen der zahlreichen supermarktgroßen Souvenirshops, wo man nach allen Regeln der Kunst ausgenommen werden soll. Hostessen mit der Penetranz von Filzläusen und Preise jenseits der Schamgrenze verhindern jegliche Kaufgelüste. Zumal man die identischen industriegeschnitzten Buddhas, den billigen Silberschmuck und die Stoffe in Bangkok erheblich preiswerter kaufen kann. Da wir den Konsum verweigern, kann Ry vom Ladenbesitzer auch keine Provision einstreichen. Er wird uns daher am nächsten Tag noch zwei- bis dreimal hartnäckig an Souvenirsupermärkten ausladen und beschwört uns, am Abend zumindest in die Lokale zu gehen, die er uns empfiehlt.
Hier haben die anderen Gruppenmitglieder ein Herz, doch wir zwei seilen uns gewohnheitsmäßig ab und entdecken prompt, angelockt von blinkenden Leuchtketten, in einer düsteren Seitenstraße einen spottbilligen Gourmettempel. Das Geblinke ist nur von kurzer Dauer, denn kaum haben wir bestellt, gehen die Lichter aus. Totaler Stromausfall. Nun hocken wir bei Kerzenlicht. Richtig romantisch. Das finden auch die vier sehr praktisch gekleideten, kräftig gebauten Damen mit Kurzhaarfrisuren und markant maskuliner Appearance am Nebentisch, die sich nun noch verliebter gegenseitig in die Augen schauen. Sie rufen uns im derbsten Boarisch ein freundliches »Grad griabig da herin, gell. Pfiads eich, Buam!« nach, als wir, vollgewamst bis zum Anschlag, höchst zufrieden das Lokal verlassen. Auf unser »Pfiads eich aa, Madln, äh, Buam!« strahlen sie wie Honigkuchenpferdinnen.
Wir wollen ein wenig Siem Reap erkunden, doch wir finden nicht viel Erkundenswertes. Zwei kleine Schmuddelläden mit einigen interessanten asiatischen Pseudoantiquitäten ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, doch kambodschanische Ladenbesitzer haben im Gegensatz zu ihren thailändischen Kollegen sehr viel fixere und vor allem viel überzogenere Preisvorstellungen. Sie knallen uns einen obszönen Dollarpreis hin und lassen sich nicht mal annähernd in die für uns interessante Preiszone handeln. Pech gehabt, dann eben nicht.
Apropos Dollar: Kambodscha gilt als eines der ärmsten Länder der Welt, was man nirgends nachlesen muss, weil man es sofort am Straßenleben sieht. Alle Hoffnungen ruhen auf dem Tourismus, weshalb an der Straße nach Angkor ein Hotel neben dem anderen hingeklotzt wird. Von den rund 600 000 Besuchern im Jahre 2002 will sich Kambodscha auf 2,8 Millionen bis 2006 steigern. Da der kambodschanische Riel völlig unter Schwindsucht leidet, sind US-Dollar und Thai-Baht die offiziellen Zahlungsmittel. Und auf einen Dollar oder mindestens 20 Baht (ca. 50 Euro-Cent) hoffen alle Kinder und Bettler. Klar soll man nichts geben, weil man sonst die Kinder zum Betteln erzieht. Dies haben aber schon zahllose Touristen vor uns gemacht, und so hat man an jedem Tempel in Angkor und an jeder Straßenecke in Siem Reap eine Horde »One dollah«-kreischender Bälger um sich. Manche versuchen, dir für den Dollar (oder zwei oder drei) zumindest ein T-Shirt, Filme, Postkarten oder ihre Schwester anzudrehen, doch die dreisteren bieten nichts außer Hartnäckigkeit. Kaum hat man zum Beispiel die herrliche Aussicht vom Gipfel des Ta Keo genossen und küsst noch ganz trunken vor Freude den Boden, dass man wieder eine halsbrecherische Steiltreppe überlebt hat, schon klebt Miss Impertinent an dir und schreit: »Give me one dollah!«
Du ignorierst es zunächst.
Sie zerrt an dir und deinen Nerven. Moderne Künstler könnten aus dem Rhythmus der nun folgenden Endlosschleife »One dollah!« »No!« »One dollah!« »No!« »One dollah!« »No!« eine interessante Klanginstallation machen. Endlich ist der Bus erreicht, mit einem triumphierenden Lächeln schmetterst du dem Mädchen ein letztes »No!« entgegen, und willst das Gefährt besteigen, da spielt die Kleine voll auf, schleudert dir ein völlig absurdes »Okay, Sir, so you give me two dollah!« hinterher und damit hat sie dich dann.
Ähnlich gepolt ist auch der kleine Junge, dem ich vor dem sprachlos machenden Meisterwerk mittelalterlich-hinduistischer Steinmetzkunst, dem über und über mit Ornamenten verzierten Tempel Banteay Srei, in die Arme laufe. Da ich eben bei einer Kollegin die sensationell gut gemachte Bronzereplik eines stehenden Ganescha aus dem 7. Jahrhundert auf 12 Dollar heruntergehandelt habe, reagiere ich nicht auf T-Shirts, Filme, Postkarten, Drogen, Waffen und Flugzeugträger. Schließlich versucht er es mit dem plumpen »Mistah, buy something! One dollah!« und fügt ein verzweifeltes »What do you want?« hinzu.
Ich antworte: »Nothing!«
Darauf er: »Nothing? Nothing is two dollah!«
Am Nachmittag dieses zweiten denkwürdigen Tages im Pauschalhetz-Sightseeing-Marathon (okay, wir haben auch noch den Tempel Ta Som und das riesige Schwimmbecken Srah Srang besichtigt, aber unter uns: Man kann einfach nicht jedes Mal erneut in orgiastische Entzückensschreie ausbrechen, und irgendwann gehen einem einfach die Superlative aus) läuft uns in Ta Prohm wieder Lederstrumpf mit Gattin über den Weg.
»Isn’t that amazing?«
»Indeed. So überinteresting!«
»Phan-tas-tic!«
»Mar-ve-lous!«
»It’s just like, you know, gorgeous!«
»Oh my gosh! You’re damn right!«
(Wie gesagt, so war es in den Vor-»awesome«-Zeiten!)
Mittlerweile sind wir alte Profis in amerikanischem Smalltalk, wir beherrschen nicht nur die Worte, auch die Tonlage: Ein hysterisches Fiepsen im Ultraschallbereich, kurz vorm Orgasmus. So muss es sich anhören, wenn man gorgeous sagt; so kann man den immer noch urwaldüberwucherten, romantisch verwitterten Ta Prohm, sicher einer der absoluten Höhepunkte der Angkor-Tour, in einem Wort zusammenfassen. Praktisch, diese Amis. Unsereiner hätte mühsam nach Worten gerungen, um das meterhohe Wurzelwerk von Urwaldriesen zu beschreiben,