Neben Carlo und mir steigen noch zwei Stewards, der prinzessinnenhafte Stefan und der kerlige Markus, sowie die Stewardess Giovanna mit ihrem italienischen Vater (der kein Wort Deutsch spricht) ein. Wir bleiben für die gesamte Safari eine Mannschaft.
Los gehts, die Geier warten schon. Genüsslich knabbern sie an einem Gnukadaver. Sie sind die ersten Tiere, die wir sehen. Noch vor dem Hippo in der grünen Seewiese. Nach dem Hippo ziehen an uns endlose Gnu- und Zebraherden vorbei. Massenwanderungen mitten durch den Masai Mara Nationalpark im Südwesten Kenias, der unmittelbar an den Serengeti-Park in Tansania grenzt. Wir haben eine günstige Safarizeit gewählt, denn im September wandern die großen Herden von hier nach da und von da nach dort. Endlose Ströme von Zebras und Gnus. Massen, Millionen, bis zum Horizont ein einziger Fluss aus Zebra- und Gnuleibern. Ab und an kommen wir an den Überresten von Raubtiergelagen vorbei. Mein Sammeltrieb juckt mir in den Fingern. Zu gerne würde ich den einen oder anderen Schädel mitnehmen. Leider hängt an den meisten noch zu viel Fleisch, und ich glaube nicht, dass ich im Camp Gelegenheit haben werde, die Schädel auszukochen. Bei einem zerlegten Zebra, durch dessen Überreste pietätlos die Spuren zahlloser Jeeps führen, hält Joe an. Zwischen den Hufen und der halben Karkasse findet er den bestens erhaltenen Schweif. Ein kurzes Stück schwarz-weiß gestreifter Schwanz mit dicker schwarzer Quaste.
»Guter Fliegenwedel«, grinst Joe, fächelt sich mit dem Stück toten Tiers Luft zu und steigt wieder in den Wagen.
Die Sau! Wie ich ihn beneide!
Im Governor’s Camp, unserer Safari-Station, kommen wir dann doch noch zu unserem Foto mit Hippo. Denn vor dem Haupthaus liegt ein mächtiger Nilpferdschädel bleich in der Sonne. Wir hocken uns gleich fotogen daneben.
Unsere Unterkünfte im Governor’s Camp sind komfortable Zelte, die sich in einer Flussschleife aneinanderkuscheln. Der Fluss bildet eine natürliche Barriere zur wilden Savanne, nur von einer Seite kann man das Camp auf dem Landweg betreten. Gleich vor unserem Zelt befindet sich ein hölzernes Absperrgitter, und dahinter geht es mehrere Meter steil bergab. Unten rauscht der Fluss, darin tollen jede Menge Nilpferde. Gut, dass die nicht klettern können. Die Zelte im Camp sind geräumig. Zwei Betten, Schreibtisch und Schrank. Dazu eine gemauerte Open-Air-Dusche im hinteren Teil. Richtig romantisch. Richtig Tania-Blixen-mäßig.
Nach dem Mittagessen geht es los zur ersten richtigen Safari. Und kaum haben wir das Camp verlassen, stolpern wir über die ersten Löwen. Ehrlich gesagt stolpern wir nicht, zahllose andere Jeeps, darunter ein japanisches Fernsehteam, weisen uns den Weg. Die Fahrer der unterschiedlichen Camps verständigen sich per Walkie-Talkie über lohnenswerte Ziele. Das kleine Löwenrudel bietet tourismusgerecht alles, was die Fotoapparate begehren: Ein abgenagtes Gnuskelett, einen prächtigen Pascha, der döst und herzhaft gähnt, ein paar wachsam umherschleichende Löwinnen und zahlreiche putzige Babylöwen, die drollig herumtapsen und Adoptionsgelüste bei uns wecken.
Nach und nach verstreuen sich die Jeeps wieder. Nur das TV-Team bleibt, vermutlich froh, endlich in Ruhe drehen zu können. Wir düsen quer durch die Landschaft. Eigentlich sollten sich die Führer an die ausgefahrenen Pisten halten, doch Joe will uns was bieten und schürt querfeldein. Wir kommen an Dörfern vorbei, Grals, die von hohen Dornenhecken umgeben sind. Wir genießen Landschaft, Landschaft, Landschaft. Traumhafte Weiten, die man nicht vergisst. Gelegentlich sehen wir ein paar Kinder auf einsamer Flur. Sie winken uns zu. Haben wir nicht rund 200 Meter entfernt Löwen beobachtet? Egal, die Einheimischen werden sicher wissen, was sie tun. Erstaunlich oft sind alte Frauen unterwegs. Meist alleine. Ist das Afrikas Antwort auf das Rentenproblem? Mpambo, schick die Alte raus, Löwen sind in der Nähe!
An diesem ersten Tag bleiben die Löwen der Höhepunkt. Gerne hätten wir die Big Five gesehen: Löwen, Elefanten, Nilpferde, Nashörner und Kaffernbüffel. Nun denn, immerhin die Big Two. Die endlosen Paraden an Zebras und Gnus beeindrucken uns längst nicht mehr. Die ersten »Gnus raus!«- oder »Zebrafreie Zone«-Rufe ertönen in unserem Jeep.
Abends wird es zapfig kalt. Wir, die wir aus dem europäischen Sommer kommen und auf den afrikanischen Sommer gesetzt haben, ziehen alles über, was wir finden können. Dick eingemummt geht es zum Abendessen. Wir freuen uns auf Zebraschnitzel, Giraffengulasch oder Gnukeule, dazu Maniok und Yams oder Foufou. Die Enttäuschung folgt auf dem Fuß. Man kredenzt uns Schweinelendchen an Kartoffeln auf Brokkolispiegel. Wie bei Muttern. Also kippen wir an der Semi-Open-Air-Bar, vor der ein riesiges Lagerfeuer lodert, noch ein paar kenianische Biere, bevor wir in die Zelte torkeln und bibbernd vor Kälte Schlaf suchen. Am nächsten Morgen soll die erste Fahrt bereits um 6 Uhr losgehen. Da können wir uns keine durchzechte Nacht leisten.
Die Nacht ist erfüllt von tierischen Geräuschen. Vor allem die Nilpferde im Fluss vor unserem Zelt prusten und grunzen vor sich hin. Es kracht zwischenzeitlich, als würden direkt neben dem Zelt Baumfällarbeiten im Gang sein. Gerade hat man die Augen für fünf Minuten geschlossen, reißt einen schon das fröhliche »Good morning, Sirs!« aus dem Schlaf. Ein grinsender Boy steht im Zelt und serviert uns den Kaffee ans Bett. Es ist schon halb sechs, und wir müssen los.
Kaum verlassen wir das Zelt, prallen wir zurück. Vor uns baut sich ein Mann mit Gewehr auf. Überfall oder Geiselnahme, schießt es uns durch den Kopf. Der Mann verwehrt uns den Weg zur Rezeption. Unmissverständliche Gesten seinerseits fordern uns auf, zu schweigen und die andere Richtung einzuschlagen. Wie benommen folgen wir seinen Anweisungen. Mitten im Camp treffen wir auf die anderen. Verstörte Gesichter, kaum einer wagt zu flüstern. Die Gewehrmänner haben alle zusammengetrieben. Ein Rudel unausgeschlafener Bleichgesichter. Nun denn, immerhin sterben wir auf Safari. Dann erfüllt ein tosendes Krachen die Luft. Wo eben noch ein Baum zwischen den Zelten gestanden hat, stehen nun riesige dunkle Schemen.
Elefanten.
Eine kleine Herde mit vier Kühen und mehreren Kälbern ist in das Camp eingedrungen und futtert sich durch die Zeltreihen. Doch keine Einbildung, dass wir in der Nacht Baumfällarbeiten im Gang wähnten. Daher also die bewaffneten Ranger, daher also unser mit Waffengewalt erzwungenes Schweigen. Eben beginnt die Morgendämmerung, wir dürfen nicht mit Blitz fotografieren, wie sich die Kolosse sanft durch das Camp schieben und die Zelte umtanzen, während sie die Bäume brutal niedermähen. Leise pirschen wir zur Rezeption, wo die Jeeps und die Fahrer warten. Der Tag kann nach diesem Erlebnis eigentlich gar nicht mehr getoppt werden.
Dramatisch steigt eine glutrote Sonne über der endlosen Savanne auf. Tiefe Wolken künden Regen an. Kaum haben wir das Camp verlassen, treffen wir auf Löwen. Ungewöhnlicherweise kein Rudel, sondern nur ein Paar, nur er und sie. Er hat keine sandfarbene Mähne wie die Männchen am Vortag, sondern eine schwarze. Joe, unser Fahrer, verständigt per Walkie-Talkie die anderen Jeeps. Bevor die eintreffen, setzen wir unsere Fahrt fort. Nun geht es Schlag auf Schlag. Wir sind die Avantgarde, Joe muss ständig die anderen von unseren Funden in Kenntnis setzen. Erst stoßen wir auf einen mächtigen Elefanten, der mutterseelenallein in der Weite steht und sich bei bestem Licht geduldig fotografieren lässt, dann entdecken ich Giraffen, die zwischen Akazien äsen und uns fast auf Armeslänge an sich heranlassen. Anschließend weist uns der Kadaver eines gerissenen Gazellenbabys den Weg zu einem Leoparden. Den sehen wir dann allerdings nur durch ein Fernglas in weiter Ferne auf seinem Baum ruhen. Im Nachbarjeep sitzt ein einzelner älterer Herr, der den Leoparden schon länger beobachtet und sichtbar ungehalten darüber ist, dass wir Pöbel die Raubkatze ausfindig gemacht haben. Wir fahren weiter, bevor die anderen Jeeps eintreffen und der alte Mann vollends ausflippt. An einem Fluss dürfen wir aussteigen. Im Wasser unterhalb der Böschung tummelt sich eine Riesenherde Nilpferde. Dann gibt uns Joe ein Zeichen, leise und vorsichtig zu sein. Wir pirschen ein wenig näher an den Rand der Böschung heran und blicken nach unten. Direkt unter uns sonnt sich ein Krokodil von mindestens 2,50 Meter Länge. Wir prallen zurück. Ein falscher Schritt … und es geht uns so wie den Gnus, die ein