Kompetenzorientierter Unterricht auf der Sekundarstufe I. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035504743
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(2007) zeigt, dass für tiefes Verstehen als Ziel des Unterrichts (a) kognitiv herausfordernde, gut strukturierte Lernangebote ausschlaggebend sind, verbunden mit (b) einer lernprozessbezogenen, adaptiven Lernbegleitung und (c) einer wirksamen Klassenführung mit gutem Zeitmanagement für hohe Time-on-task-Anteile der Lernenden.

      6.5 Lernaufgaben als Dreh- und Angelpunkt des kompetenzorientierten Unterrichts

      Die Zeichen stehen spätestens nach PISA wohlbegründet auf Veränderung:

      «Noch kaum je in der Geschichte der Volksschule haben sich die Ansprüche an Schule und hat sich die didaktische Gestalt des Unterrichts so schnell und so sichtbar verändert, wie dies aktuelle Entwicklungen in Richtung eines methodisch variablen binnendifferenzierenden, individuell förderorientierten und verstärkt personalisierten Lernens manifestieren.» (Reusser 2014b, 77)

      Bei dieser «Entverselbstverständlichung» (Blumberg 1981, zit. nach: Reusser 2014b, 77) «des bis anhin selbstverständlichen Funktionierens von Schule und Unterricht» spielen Aufgaben als Aufforderung zur gezielten Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand eine zentrale Rolle. Als für das betreffende Fach bedeutsame Lernaufträge bilden sie in Form von Einstiegs-, Vertiefungs-, Übungs-, Anwendungs- und Prüfungsaufgaben als «Aktivierungs- und Gestaltungsmittel das Rückgrat» von (fach-)didaktischen Lernarrangements und eines schüleraktivierenden Unterrichts. Mit dem kompetenzorientierten Unterricht

      «sind wir bei jenem Punkt angelangt, bei dem die Funktion und Qualität von Aufgaben und ihrer angeleiteten und selbstständigen Bearbeitung in Hinsicht auf den mit heterogenen Lerngruppen zu erreichenden Bildungsauftrags hervortreten: als Lernaufgaben im Dienste des Aufbaus und der Förderung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen in allen Inhaltsbereichen und als in Tests eingebetteten Leistungsaufgaben, die der Überprüfung von Bildungsstandards bzw. der Evaluation der Zielerreichung (ob die erwünschten Kompetenzen erworben wurden, M. B.) dienen». (Ebd., 79)

      Im oben dargestellten Sinn sind Lernaufgaben Aufforderungen zur gezielten kognitiv und motivational/emotional (eigen-)aktiven (und kooperativen) Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand mit dem Ziel, Kompetenzen zu erwerben.

      Die erwähnten TIMSS Video Studies machten international bereits Jahre vor PISA Forschungskreise auf schockierende Defizite aufmerksam, auch – aber nicht nur – im deutschsprachigen Raum (Reusser u. Pauli 2003). Von nicht weniger als 15000 (!) untersuchten Aufgaben aus 700 videografierten Mathematikstunden entfielen mit Ausnahme von Japan 66 Prozent auf blosses «Using Procedures», 12 Prozent auf «Stating Concepts» und 22 Prozent auf «Making Connections», der anspruchsvollsten der drei Kategorien, bei der es um sachlogisch richtige In-Beziehung-Setzungen geht, was tiefes Verstehen und richtiges Anwenden von Wissen erfordert. Der Anteil solcher Aufgaben ist im japanischen Unterricht mit 54 Prozent wesentlich höher! Ebenfalls zugunsten Japans mit nur 17 Prozent macht der Anteil repetitiver Übungsaufgaben in der unterrichtlichen Stillarbeit dagegen 83 Prozent aus. «Die Diskussion entbrannte, was von einer mathematikdidaktischen Aufgaben(bearbeitungs)kultur zu halten ist, in der zum grossen Teil repetitive Aufgaben auf niedrigsten Komplexitätsstufen gelöst werden» (Reusser 2014b, 81). Dies und weitere Gründe (vgl. ebd.) haben dazu geführt, dass qualitativ gute Lernaufgaben der gegenwärtig prominenteste, weit über den Mathematikunterricht hinausreichende Gegenstand der fachdidaktischen Unterrichtsentwicklung sind. Reusser bringt dies wie folgt zum Ausdruck (ebd.):

      «Attraktive – inhaltlich und methodisch durchdachte – fachliche Probleme und Lernaufgaben, seien es Einstiegs-, Vertiefungs-, Übungs- oder Testaufgaben, bilden das Rückgrat eines schüleraktivierenden Unterrichts – als Quellen der Motivation und Ausgangspunkt für Schülerinnen und Schüler, sich auf Gegenstände einzulassen und dabei fachliche und überfachliche Kompetenzen auszubilden.»

      Gute Lernaufgaben nach Reusser (2013, 2014b, 81) …

      •repräsentieren fachliche Kernideen und erfordern zu ihrer Bearbeitung fachspezifische Kompetenzen,

      •eröffnen Zugänge zur Erfahrung und Übung fachspezifischer Strukturen, Standards und Denkformen und regen Lernprozesse an, die in die Tiefe des Wissens und Denkens eines Faches gehen,

      •wecken Neugier und motivieren, sich auf einen Gegenstand einzulassen (durch Handlungs- und Alltagsnähe, Anschaulichkeit, Authentizität, Spielcharakter, Überraschungsmomente, kognitiven Konflikt),

      •sind in Lernumgebungen eingebettet und funktional auf Kompetenzziele und curriculare Inhalte ausgerichtet bzw. bezogen,

      •laden ein zu tiefem Verstehen und Problemlösen und zum Austausch darüber,

      •erlauben multiple Zugänge, Denk- und Lernwege und lassen sich auf unterschiedlichen Niveaus lösen,

      •sind lerngruppengerecht, haben Differenzierungseigenschaften und eignen sich gleichermassen für schwächere und starke Schülerinnen und Schüler,

      •ermöglichen schüleraktives (individuelles und kooperatives) Lernen und trainieren damit fachliche und überfachliche (soziale, methodische, personale) Kompetenzen,

      •ermöglichen den Austausch von Ergebnissen, das Vergleichen, Strukturieren, In-Beziehung-Setzen und Einordnen von Ideen und Konzepten, einschliesslich variable Formen des Festhaltens und der Dokumentation von Erkenntnissen,

      •lassen Raum für Mitbestimmung und Mitgestaltung bei Lerninhalten und Lernwegen (enge, halboffene und offene Aufgabenstellungen).

      Darauf hinzuweisen ist, dass selbstverständlich nicht jede Lernaufgabe alle genannten Merkmale erfüllen kann und muss, einige der Merkmale so anspruchsvoll sind, «dass sie ihr Potenzial vor allem in den höheren Stufen der Bildungsgänge entfalten dürften» (ebd., 82), und dass «die angestrebten Kompetenzniveaus über die Elementarstufen des reproduktiven und des rezepthaften Könnens hinausgehen sollen; nicht Auswendiglernen, nicht das mechanische Abarbeiten von Aufgabenserien nach dem gleichen Schema ist das Ziel, sondern sich kognitiv und emotional engagiert auf die Gegenstände einlassen, nachdenklich werden, Dinge verstehen und in sie eindringen wollen» (ebd.).

      6.6 Adaptivität: Wissen und Können auf unterschiedlichen Niveaus

      «Kompetenz gibt es», wie dargestellt, «auf verschiedenen Stufen» (Ziegler, Stern u. Neubauer 2012, 14). Unterschiedliche Anspruchsniveaus liegen als wegleitende Idee bereits der «Taxonomie von Lernzielen» zugrunde, die der amerikanische Erziehungswissenschaftler Benjamin Bloom (1913–1999) 1956 vorlegte (Bloom et al. 1956). Zwar spricht er von Lernzielstufen, der Schritt hin zu Kompetenzstufen ist aus heutiger Sicht jedoch naheliegend. In aufsteigender Ordnung unterschied er (1) einfaches Erinnern und Können, (2) Verstehen, (3) Anwenden, (4) Analysieren, (5) Urteilen und (6) Entwickeln. Reusser (2014a, 329–330) entwickelt Blooms Taxonomie zu einem brauchbaren Instrument für Lernaufgaben für den kompetenzorientierten Unterricht weiter (und illustriert Blooms Idee am Beispiel des Epochenbegriffs «Weimarer Republik»). «Verallgemeinernd sind es folgende kognitive Tätigkeiten und Operationen niedrigerer und höherer Ordnung, die sich im Unterricht der meisten Fächer beobachten lassen und an deren Vorkommen und Verteilung man ablesen kann, auf welchem Kompetenzniveau sich das geistige Leben in einer Lerngruppe abspielt bzw. durch welches Niveau von Lerngelegenheiten sich eine fachdidaktische Aufgabenkultur auszeichnet» (ebd., 329):

      Einfaches Kennen und Können: Die Lernenden können Informationen abrufen und wiedergeben.

      •Wiedererkennen, Identifizieren, Abschreiben, Kopieren

      •Benennen, Abrufen, (wörtliches) Wiedergeben, Aufzählen von Fakten, Formeln, Definitionen

      •Ausführen von elementaren Automatismen, Prozeduren, Fertigkeiten

      •Auffinden von Informationen im Internet

      Verständnis im engeren Sinn: Die Lernenden verstehen eine Sache, wenn sie ihre Bedeutung rekonstruieren können.

      •Sich ein inneres Vorstellungsbild einer Situation machen

      •Eine Sache, einen Zusammenhang in eigenen Worten ausdrücken, paraphrasieren einordnen, zusammenfassen, auf den Punkt bringen

      •Erklären: