Kompetenzorientierter Unterricht auf der Sekundarstufe I. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035504743
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und zu interpretieren. «Das Konzept hebt sich somit ab von Unterrichtsmodellen, bei denen das von Schülerinnen und Schülern geforderte Verhaltensrepertoire aufmerksames Zuhören, gelegentliches Beantworten von an die Klasse gerichteten Fragen oder minutiöses Übertragen eines Tafelbildes ins Schulheft umfasst» (ebd., 133), wie es im traditionellen Klassenunterricht der Fall ist.

      3. Soziale (kooperative) Lernaktivitäten: Indem ein Austausch über fachliche Inhalte stattfindet, eröffnet sich den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und mentalen Modelle zu verbalisieren und zu vergleichen, diskursiv zu bearbeiten und auf diese Weise zu differenzieren und weiterzuentwickeln (ebd.).

      4. Adaptivität für die Heterogenität der Lernenden: Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, sich auf unterschiedlichen Anspruchsniveaus (Kompetenzstufen) und somit auf eine Art und Weise mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen, die ihren individuellen kognitiven (Wissens- und Könnens-)Voraussetzungen entspricht. Kompetenzorientierter Unterricht enthält deshalb «Aufgaben, die von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Voraussetzungen bearbeitet werden können» (ebd.).

      Die Kompetenzorientierung bedeutet die Abkehr von einem durch die mit dem Lehrplan vorgegebenen Themen und Inhalte gesteuerten Unterricht, das heisst von der Input-Steuerung (aufgrund detaillierter Vorgaben für die Unterrichtsfächer) zugunsten der Output-Steuerung durch Beurteilung, ob der Unterricht den Erwerb der erwünschten Kompetenzen möglich gemacht hat. Gefragt wird nicht mehr nur, was im Unterricht behandelt wird, sondern was dieser bei den Lernenden bewirkt und erreicht, den Erwerb welcher Kompetenzen er wie gut ermöglicht (hat). Zudem zielt der kompetenzorientierte Unterricht darauf ab, die «Schülerinnen und Schüler anzuregen, das eigene Interesse an einem Lerngegenstand zu entdecken, eigene Lösungswege für Problemstellungen zu finden und so auch mehr Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen» (ebd.). Basierend auf den sogenannten Angebots-Nutzungs-Modellen (Fend 1981; Reusser u. Pauli 2010, 18; Helmke 2012, 71), werden im kompetenzorientierten Unterricht des Weiteren die Eigenständigkeit und die Selbstreflexivität beim Lernen gefördert. Dafür wird den Lernenden ermöglicht, durch bewusstes Nachdenken über das eigene und das kooperative Lernen metakognitives Wissen für die eigenständige Steuerung ihres Lernens und soziale Kompetenzen zur problemlösenden Zusammenarbeit in der Gruppe aufzubauen.

      6.3 Bedeutung von Vorkenntnissen und weiterem Wissenserwerb

      Wissen und weiterer Wissenserwerb sind für den Erwerb von Kompetenzen von grundlegender Bedeutung: «Fachwissen und Kompetenz, Wissen und Können bilden […] keine Gegensätze. Kompetenzen beziehen sich nicht, wie absurde Zerrbilder des Begriffs der Kompetenzorientierung dies glauben machen möchten, auf inhaltsfreie kognitive Dispositionen, sondern auf wissensbasierte Fähigkeiten in fachkulturellen und lebensweltlichen Domänen. Der Kern jeden fachlichen Kompetenzaufbaus ist eine anspruchsvolle Kultur- und Wissensbildung» (Reusser 2014a, 327). Der kompetenzorientierte Unterricht ermöglicht den Lernenden deshalb,

      •sich intelligentes, weil in der kognitiven Struktur gut verankertes und vernetztes Wissen anzueignen;

      •dieses Wissen mit Können zu verbinden, indem Aufgaben oder Probleme gelöst werden, in denen dieses Wissen Verwendung findet;

      •dieses Wissen zu sichern und zu verbessern, indem auf seiner Basis variable Anforderungen auch mit steigendem Schwierigkeitsgrad zu bewältigen gelernt werden;

      •jeden Wissenszuwachs auch an Fortschritte im Können zu koppeln, indem erfahren werden kann, auf der Basis neu gelernten Wissens etwas zu können, was vorher noch nicht gekonnt wurde. (Lersch u. Schreder 2013, 42)

      Wiederholt konnte empirisch gezeigt werden (z.B. Schneider, Grabner u. Paetsch 2009), dass das domänenspezifische Vorwissen nicht nur am besten den Erfolg beim Lösen von Problemen voraussagt, sondern dass Analoges auch für den Erwerb von neuem Wissen gilt: Je mehr domänenspezifisches Wissen bereits vorhanden ist, desto einfacher gestalten sich Problemlösung und neuer Wissenserwerb (Matthäus-Effekt). Was eine Person leisten kann – so eine weitere Erkenntnis der neueren kognitionspsychologischen Forschung (u.a. der Expertiseforschung) –, hängt sehr viel stärker von ihrem reichhaltigen und gut organisierten Wissen ab als von ihrer Intelligenz. Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung kompensiert höhere Intelligenz bei anspruchsvollen Aufgaben und Problemstellungen fehlendes (Fach-)Wissen nicht (z.B. Weinert 1994, 183–205; Stern 2001). Nur bei sehr einfachen Aufgaben vermag hohe Intelligenz nicht vorhandenes (Vor-)Wissen auszugleichen.

      6.4 Kognitive Aktivierung als Voraussetzung für Lernen

      Nach der neueren Unterrichtsforschung sind die Dimensionen «Instruktionseffizienz», «Schülerorientierung», «Klarheit und Strukturiertheit» und «kognitive Aktivierung» lernwirksame Merkmale guten Unterrichts (z.B. Helmke 2012; Klieme 2012). Kleinknecht (2010) fasste die empirisch begründbaren Merkmale von gutem Unterricht mit den Dimensionen «Klassenführung/Strukturierung», «Schülerorientierung/Unterstützung» und «kognitive Aktivierung» zusammen. Guter Unterricht liegt für die «kognitive Aktivierung» dann vor, wenn die Lernenden in (eigen-)aktiver Weise vertieft Denkprozesse vollziehen, d.h. sich ihren intellektuellen und wissensmässigen Voraussetzungen entsprechend (also adaptiv) kognitiv anspruchsvoll (in Beziehung setzend) mit dem Lerngegenstand auseinandersetzen. Mit problemhaltigen Aufträgen, herausfordernden Fragen, anspruchsvollen Unterrichtsgesprächen usw., allgemein mit Lernaufgaben, veranlasst die Lehrperson die für den Lernprozess notwendige kognitive (Eigen-)Aktivität für den Aufbau von neuen Wissens- bzw. Handlungsstrukturen. Mit dem durch die Bearbeitung von Lernaufgaben in die Wege geleiteten strukturellen Lernen erweitern und differenzieren die Lernenden ihr Wissen und Können. Dabei macht die Lehrperson die Lernziele, also die angestrebte(n) Kompetenz(en), deutlich, gibt Aus- und Rückblicke, fasst die aufgebauten kognitiven Strukturen zusammen, unterstützt und begleitet mit eigenen Beiträgen die eigenständige und/oder gemeinsame (kooperative) kognitive Auseinandersetzung.

      Die TIMSS Video Studies von 1995 und 1999, bei denen der Mathematikunterricht in Japan, in Deutschland und in den USA bereits vor PISA miteinander verglichen wurde (z.B. Pauli u. Reusser 2006), weist darauf hin, dass die problem- und verständnisorientierte Ausrichtung des japanischen Unterrichts ausgeprägt mit dem heutigen konstruktivistischen, kompetenzorientierten Lehr- und Lernverständnis übereinstimmt. Kognitiv herausfordernde Problemstellungen, durch welche anspruchsvolle Denk- und Problemlöseprozesse in Gang kommen, spielen in ihm eine zentrale Rolle. Dem am wenigsten entspricht der amerikanische Unterricht mit seinem behavioristisch geprägten Einüben von Prozeduren, die von der Lehrperson vorgegeben werden, während das von Wuttke (2009) zu Recht monierte kleinschrittige lehrergeleitete Entwickeln des Stoffes (traditioneller Klassenunterricht), «das Kleinarbeiten von Aufgaben in einem eng geführten, fragend-entwickelnden Lehrgespräch» (Pauli u. Reusser 2006, 779) das Kennzeichen des deutschen gymnasialen Unterrichts ist (Seidel 2003, 2011) – aber auch des Unterrichts, der auf der Primarschulstufe in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbreitet vorgefunden wurde (Mackowiak et al. 2013; Kocher u. Baer 2013, Wyss u. Baer 2013; Baer et al. 2009, 2011, 2014, 2015). Kennzeichen dieses Unterrichts sind viele enge Lehrerfragen, die von einzelnen Schülerinnen und Schülern stichwortartig beantwortet werden, sowie eine Lehrperson, die im (zu) häufig vorkommenden fragend-entwickelnden Klassenunterricht vieles einfach erklärt, anstatt die Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken und Argumentieren anzuregen.

      Der japanische Unterricht (und vergleichbarer Unterricht an südostasiatischen und osteuropäischen Standorten) gilt nach wie vor als in hohem Masse übereinstimmend mit der konstruktivistischen, kompetenz­orientierten Vorstellung von gutem (Mathematik-)Unterricht. Seine Kennzeichen sind: (a) zeitintensive, gründliche Auseinandersetzung mit (b) wenigen, aber kognitiv anspruchsvollen, mehrheitlich komplexen Aufgaben mit Lebensweltbezug, die (c) (im Mathematikunterricht) häufig mit angewandten Aufgaben (und Beweisen) verbunden sind, (d) eine anspruchsvolle Bearbeitungsqualität (Beziehungen herstellen statt auswendiggelernte Prozeduren ausführen) und (e) ein hoher Anteil problemlösender Aktivität während der Schülerarbeitsphasen (z.B. Pauli u. Reusser 2006). Der aktuelle Forschungsstand weist aus, dass «ein kognitiv herausfordernder Unterricht [...] (er fördert die Leistungsentwicklung)» (Klieme, Steinert u. Hodweber 2010, 250) – zusammen mit einem unterstützenden Lehrerverhalten (Krammer