Dürnsteiner Himmelfahrt. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990014493
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wie es bei Sonnwendfeiern leider üblich ist, mit insgesamt drei Schwerverletzten, nur einen Mordversuch in der Nähe von Gänserndorf. Messerattacke aus Eifersucht. Der Täter hat bereits gestanden. Und bei Weißenkirchen hat sich ein Kremser Kunsthändler bei einem Sturz über eine Weingarten-Mauer das Genick gebrochen. Steht auch im Tagblatt.« Er blätterte in seiner Ausgabe zur entsprechenden Seite und zeigte ihr die kurze Notiz. »Der Staatsanwalt hat vorsichtshalber eine Obduktion angeordnet, wie ich höre. Wird aber nichts herauskommen.«

      Doris streckte sich in ihrem Sessel. »So ruhig wie jetzt ist es schon lang nicht gewesen.«

      »Unsere potenziellen Mörder lesen eben alle das Niederösterreichische Tagblatt. Wollen sich nicht mit dem neuen Stern am Polizeihimmel anlegen.«

      »Aber du, wie mir scheint. Du gehst mir jetzt besser aus den Augen.«

      Spencer stand auf. Ziemlich schwerfällig, wie ihr vorkam. War aber bei seinem Gewicht nichts Neues. »Ich gehe schon. Und ich entsorge auch gleich die Rosen da auf deinem Schreibtisch. Sind ja nicht mehr zum Anschauen.« Er griff mit seiner Rechten nach den Blumen.

      Bevor er sie an sich nehmen konnte, gab sie ihm einen Klaps auf die Finger. »Das wirst du schön bleiben lassen. Die halten noch mindestens zwei Tage. Seit wann interessierst du dich überhaupt für meine Blumen?«

      Mittwoch, 22. Juni 09 Uhr 14

      Pünktlich betrat Wolfgang Marbolt das Vorzimmer. In einer Minute, um exakt 9 Uhr 15, hatte er beim Herrn Landeshauptmann zu erscheinen. Gestern am späteren Nachmittag war er davon von einer Mitarbeiterin aus diesem Büro telefonisch verständigt worden. Ohne dass ihm die Dame einen Grund für die Vorladung genannt hätte. Seinen Einwand, dass er eigentlich zu dieser Zeit nach Gmünd zu einem lang vereinbarten Besuch der dortigen Dienststelle hätte fahren wollen, hatte die Dame gestern nur mit der Bemerkung quittiert, dass man von einem Landespolizeidirektor schon erwarten könne, seine Prioritäten zu kennen. Er war nicht besonders besorgt gewesen, weil er die rauen Sitten, die im Umfeld des Landeshauptmanns herrschten, in der Zwischenzeit gut kannte. Wie hatte sein Vater doch immer gesagt? Wie der Herr, so das G’scherr. Er war aber dann doch froh, den hohen Herrn in guter Laune anzutreffen. Fast leutselig.

      »Mein lieber Freund! Ich muss mich bei dir entschuldigen, dass ich dich am Samstag nicht auf die Bühne gerufen habe, als der Minister und ich deiner Mitarbeiterin zu ihrem Geburtstag gratuliert haben. Aber der Minister wollte es so. Da konnte ich natürlich schwer Nein sagen. Auch diese Phrase vom Stern am Polizeihimmel unseres Landes ist auf seinem Mist gewachsen. Ich hätte lieber vom Stern am Marboltschen Polizeihimmel gesprochen. So ist es auch in meinem Manuskript gestanden. Aber auch das wollte er nicht. Keine Ahnung, warum. Es ist doch zwischen euch beiden alles in Ordnung?«

      Wolfgang Marbolt kannte sein Gegenüber gut genug, um zu wissen, dass man ihm besser nicht traute. Der Landeshauptmann pfiff eben immer die Melodie, von der er glaubte, dass sie seinen Zuhörern ins Ohr ging. Das Geheimnis seines Erfolgs. Daher wollte er sich nicht aus der Deckung wagen und nicht das sagen, was ihm auf der Zunge lag. Stattdessen gab er sich ganz entspannt. »Kein Grund zur Sorge, Herr Landeshauptmann. Zwischen dem Minister und mir ist alles bestens. Und die gute Doris hat sich diese Auszeichnung wirklich verdient. Hätte ich an deiner Stelle genau so formuliert.«

      »Ich sehe schon, wir verstehen uns. Aber wegen der Fahrt auf dem Schinakel will ich gar nicht mit dir reden. Unter uns gesagt muss ich mir gut überlegen, ob ich mir das nächstes Jahr überhaupt noch einmal antue. Nur Leute an Bord, die etwas von mir wollen. Oder weil sie glauben, damit in die Zeitung zu kommen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich diese Gesellschaft anekelt. Aber das muss wirklich unter uns bleiben. Nein, es geht um etwas anderes. Du hast vielleicht gelesen, dass ein Kremser Antiquitätenhändler am Wochenende tragisch verunglückt ist.«

      Der Polizeidirektor hatte den Mut, dem Landeshauptmann ins Wort zu fallen. »Natürlich. Dabei habe ich noch am Samstag bei ihm ein schönes Bild gekauft. Als Geburtstagsgeschenk für meine Frau.« Er hoffte, damit gleich zwei Botschaften senden zu können.

      Aber den Landeshauptmann schien keine von beiden zu interessieren. Er fuhr fort, als hätte der oberste Polizist des Landes gar nichts gesagt. »Den kenne ich schon seit fast dreißig Jahren. Immer wieder habe ich bei ihm gekauft. Nie ein wirkliches Schnäppchen, aber immer Topqualität. Jedenfalls hat mich gestern Nachmittag seine Frau angerufen. Ziemlich verzweifelt, muss ich sagen. Angesichts der Umstände verständlich. Außerdem ist die Dame in einem kritischen Alter. Hormone und so. Du verstehst.«

      Der Polizeidirektor nickte.

      »Sie hat mich gebeten, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit der Fall nicht einfach zu den Akten gelegt wird. Sie hält es nämlich für möglich, dass jemand bei dem Unglück nachgeholfen hat. Dieser Jemand soll schon vor vier Wochen in ihr Haus eingebrochen sein. Den Einbrecher hat man allerdings bis jetzt nicht gefunden. Ich kann natürlich der Witwe, die ich auch schon sehr lange kenne, schlecht sagen, dass mich die Sache nichts angeht. Stattdessen habe ich ihr versprechen müssen, mich darum zu kümmern. Vielleicht kannst du Frau Lenhart bitten, sich einmal den Bericht des Arztes und den lokalen Polizeibericht zu Gemüte zu führen. Nicht dass ich glaube, dass an der Vermutung von Frau Haberl etwas dran ist. War ja schließlich nicht mehr der Jüngste, der gute Mann. So jemand kann schon einmal einen falschen Schritt machen. Aber ich will ihr guten Gewissens sagen können, dass sich unsere Top-Expertin den Fall angesehen hat.«

      Wolfgang Marbolt war jetzt sicher, wer der Urheber der Phrase vom Stern am Polizeihimmel war. »Herr Landeshauptmann, ich bin dir sehr dankbar, dass du mich in dieser heiklen Angelegenheit ins Vertrauen ziehst. Wenn es dir recht ist, werde ich mich selbst um die Sache kümmern. Weil ich dafür einen persönlichen, wenn auch privaten Grund habe. Ich bin so wie du bei Doktor Haberl regelmäßiger Kunde gewesen.«

      Wolfgang Marbolt merkte gleich, dass der Landeshauptmann diesmal aufhorchte. Endlich.

      »Was, du auch? Warum sagst du mir das nicht gleich? Da sind wir zwei ja sozusagen Seelenverwandte. Mit dem gleichen guten Geschmack. Habe ich ja schon immer gewusst. Es wäre mir unter diesen Umständen sogar mehr als recht, wenn du diesem Fall – oder besser gesagt Nicht-Fall – deine überragende Erfahrung angedeihen lassen könntest.«

      »Soll ich dir persönlich Bericht erstatten?«

      »Unbedingt.«

      Mittwoch, 22. Juni 10 Uhr 03

      Missmutig las Felix Frisch den Bericht des Pathologen. Seit dem Fund der Leiche Sonntagnachmittag waren dreieinhalb Tage vergangen. Was hatte der Herr Dozent in diesen dreieinhalb Tagen gemacht, außer sich wie ein großer Star zu benehmen und sich auf seinen weißen Kittel weiß Gott was einzubilden. Stinkfaul und maßlos überbezahlt war er, der feine Herr von der Gerichtsmedizin. Felix fand in dem Bericht nur das bestätigt, was ihm selbst schon zu dem Zeitpunkt klar gewesen war, als er den Antiquitätenhändler im Weingarten liegen sah. An das Honorar für den Herrn Dozenten wollte er gar nicht denken. Damit der zu einem Ergebnis kam, zu dem er als kleiner Gruppeninspektor mit einem einzigen Blick gekommen war. Ohne dafür auch nur einen müden zusätzlichen Cent zu verdienen. Warum hatten ihn seine Eltern nicht Medizin studieren lassen?

      Jedenfalls bestätigte der Pathologe, dass der Kunsthändler an einem durch den Sturz verursachten Genickbruch verstorben war. Es gäbe weder Hinweise auf eine vorherige Gewaltanwendung noch darauf, dass der Tod schon vor dem Sturz eingetreten war.

      Obwohl er als Gruppeninspektor so gut wie immer im Stress war, wollte er die Witwe nicht telefonisch von dem Befund informieren, sondern die Nachricht persönlich überbringen. Gehörte sich einfach. Außerdem war ein Vormittags-Kaffee auf der von der Sonne sicher schon wohlig gewärmten Terrasse nicht zu verachten. Er hatte kurz überlegt, auf der Fahrt auf den Wachtberg beim ›Raimitz‹ eine kleine, süße Aufmerksamkeit zu besorgen. Wäre ja nur ein kleiner Umweg gewesen. Schien ihm aber dann doch zu aufdringlich. Abgesehen von den Kosten, die er ja nicht verrechnen können würde.

      Jedenfalls hatte er Frau Haberl angerufen, um sie zu fragen, ob er persönlich vorbeikommen könne, um sie über den Befund des Pathologen in Kenntnis zu setzen. Ganz bewusst hatte er nichts über