Dürnsteiner Himmelfahrt. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990014493
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Himmelreich kam ja nicht von allein.

      Daher war sie seit ihrer Pensionierung dem Pfarrer in den Ohren gelegen, bei seinen Ordensoberen in Herzogenburg oder noch höheren Orts Geld für eine solche Aufführung lockerzumachen. Ohnehin nur ein paar lumpige Tausend Euro für Beleuchtung, Plakate und dergleichen. Die Schauspieler sollten natürlich alle junge Amateure sein, die nichts kosteten; und sie als Regisseurin würde selbstverständlich auch um Gottes Lohn arbeiten. Aber da hätte sie gleich gegen eine Wand reden können. Sie musste froh sein, dass ihr überhaupt gestattet wurde, im Hof des Stifts zu spielen. Also hatte sie sich an die Kulturabteilung des Landes gewandt, einer Sekretärin ihr Anliegen erklärt und um Rückruf des Chefs gebeten. Der hatte sich aber bis heute nicht gemeldet. Sicher ein Schwarzer, der Herr Hofrat, weil es ja im Amt der Landesregierung nur Schwarze gab, wie sie wusste. Aber wohl einer von der sogenannten liberalen Sorte oder gar schon ein Türkiser, der Gott den Herrn einfach einen guten Mann sein ließ.

      So war ihr nichts anderes übriggeblieben, als in der ganzen Wachau um Geld zu betteln. Bei den Hotels und Gasthäusern, denen sie für eine kleine Spende große Werbung auf Plakaten und in Broschüren versprach. Aber nur ausgelacht hatte man sie. Sie, die ehemalige Dürnsteiner Gemeindesekretärin und heimliche Bürgermeisterin, der sich die Leute früher nur unter Bezeugungen von Respekt und Hochachtung näherten.

      Selbst sie hatte da schon ans Aufgeben gedacht. Aber dann war ihr ausgerechnet vor ihrem Haus in Oberloiben eine Frau über den Weg gelaufen, die auch im Ort wohnte. Eine an sich unsympathische und nichtsnutzige Person, die schon zweimal verheiratet und wieder geschieden war. Diese Frau hatte sich spontan bereit erklärt, ihr Projekt mit dreitausend Euro zu unterstützen. Allerdings mit einem Haken an der Sache. Das Geld würde nur fließen, wenn die Tochter der edlen Spenderin die Hauptrolle spielte. Josefa Machherndl kannte das junge Ding. Wie man sich eben unter Nachbarn kennt. Schon mit vierzehn genau so hinter den Männern her wie ihre Mutter. Der Dürnsteiner Pfarrer bestätigte zu allem Überfluss auch noch, was die pensionierte Gemeindesekretärin ohnehin geahnt hatte. Julia Schremser war zwar in der Stiftskirche getauft worden, hatte aber danach die Kirche nie mehr von innen gesehen.

      Aber was hätte sie machen sollen? Ohne das in Aussicht gestellte Geld hätte sie ihr Projekt aufgeben müssen. So akzeptierte sie den Tauschhandel, nicht ohne ihren Pakt mit dem Teufel bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zu beichten.

      Wenigstens stellte sich die junge Dame als schauspielerisch durchaus talentiert dar, wie Josefa Machherndl fast widerwillig zugeben musste. Natürlich hatte sie selbst seinerzeit der Figur der kleinen Hannele deutlich mehr psychologischen Tiefgang verliehen, aber Julia war auch nicht schlecht. Sagten zumindest die Eltern der anderen jungen Schauspieler, von denen viele bei den Proben anwesend waren.

      Aber den keuschen Blick, der ihr selbst schon als Vierzehnjährige zur zweiten Natur geworden war, den brachte die junge Schremser halt nicht zusammen.

      Der Pfarrer hatte der Truppe einen kleinen Raum im Stift als Probebühne zur Verfügung gestellt. Mit zwei Sitzreihen und knapp zwanzig Sitzplätzen, die fast alle mit Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln besetzt waren.

      Letzthin bei der Probe wollte sie der jungen Schauspielerin den gewünschten Gesichtsausdruck vorzeigen. Dazu war sie vor all den Angehörigen auf die behelfsmäßige Bühne gestiegen. »Pass auf, Julia. Wenn du zu Clemens aufschaust, musst du genau so schauen. Da muss dein Gesicht einen ganz reinen Ausdruck haben. So wie meines. Schau her.«

      Da hatte sie es gehört. Sie irrte sich bestimmt nicht. Es war nicht nur ein vereinzeltes Kichern aus den Zuschauerreihen gewesen. Gleich mehrere Leute hatten gekichert. Was für eine Frechheit. Die Leute sahen offensichtlich alle nur mehr Pornos. Wenn das so weiterging, würde sie die Proben für Zuschauer sperren müssen. An ein seriöses Arbeiten wäre ja sonst gar nicht mehr zu denken.

      Sonntag, 19. Juni 16 Uhr 11

      Felix Frisch saß am Beifahrersitz und fuhr mit seiner jungen Kollegin Kathi am Steuer ganz gemächlich über die Mauterner Brücke. Dabei warf er einen sehnsüchtigen Blick hinunter auf den Strom. Am meisten liebte er dienstliche Einsätze im Polizeiboot. Vor allem stromaufwärts. Einfach herrlich, den Druck der Strömung auf das Boot zu spüren und mit Vollgas von Welle zu Welle zu springen. Einsätze per Funkstreife rangierten auf seiner Beliebtheitsskala deutlich dahinter, sofern sie ohne Blaulicht und Folgetonhorn erfolgen mussten. Er war jetzt schon weit mehr als zwanzig Jahre bei der Polizei, aber diese beiden Insignien seiner Amtsgewalt bedeuteten ihm noch immer viel. Fast so viel wie seine drei Sterne. Er konnte sich daran weder satthören noch sattsehen. Wenn dann auch noch das faszinierende Geräusch von quietschenden Reifen kombiniert mit einem sichtbar ausbrechenden Heck dazu kam, dann war sein Glück perfekt.

      Hingegen hasste er alle Einsätze, die einen längeren Fußmarsch erforderten. Nicht so sehr, weil ihm da seine zwanzig Kilo Übergewicht etwas im Weg waren. Das behauptete nur seine Frau mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit, an die er sich in 22 Ehejahren noch immer nicht gewöhnt hatte. Sondern, weil ein zu Fuß auf der Bildfläche auftauchender Polizist halt keine besondere Autorität ausstrahlte und nicht den Respekt einflößte, der einer Amtsperson in Uniform und in offizieller Mission zustand. Da halfen ihm auch die drei Sterne am Kragen nicht, wie er immer wieder betrübt zur Kenntnis nehmen musste. Er hatte noch nie erlebt, dass ihn ein an einem Unfall Beteiligter, ein Passant oder ein Zeuge mit ›Herr Gruppeninspektor‹ angesprochen hätte. Wie es ihm zugestanden wäre. Sondern immer nur mit ›Herr Inspektor‹. Auch schon in seiner Zeit als Polizeischüler. Ein Polizist war offensichtlich für die Masse der Leute immer ein ›Herr Inspektor‹. Ungebildetes Pack.

      Ein Piepen riss ihn aus seinen Gedanken.

      Karl von der Leitstelle meldete sich via Funk. »Felix, ein Weinbauer aus Weißenkirchen hat eben den Fund einer schwer verletzten oder gar toten männlichen Person gemeldet. Im Weinbaugebiet zwischen Dürnstein und Weißenkirchen. Oberhalb der Bahntrasse. Dürfte über eine Mauer gestürzt sein. Notarzt und Rettung sind bereits verständigt. Bitte bestätigen.«

      »Verstanden. Fahren gerade von der Brücke Richtung Wachau ab. Sind in spätestens zehn Minuten vor Ort. Ende.«

      »Übernimm dich nicht, Felix«, schallte Karls Stimme höhnisch aus dem Gerät. »Ich kenne die Gegend. Ganz schön steil. Schafft vielleicht die Kathi in zehn Minuten. Du schleppst dafür zwanzig Kilo zu viel herum. Ende.«

      Der Gruppeninspektor bildete sich ein, noch ein wieherndes Gelächter seines Kollegen am Funk gehört zu haben. Arschloch. Während er das Blaulicht einschaltete, spürte er die tätschelnde Hand seiner Kollegin auf seinem Oberschenkel.

      »Kränk dich nicht. Der Karl ist dir ja nur deine Erfahrung neidig.«

      Felix Frisch wusste nicht recht, ob er sich über den Trost freuen oder sich über das Mitleid ärgern sollte. Auch, weil sein Gehirn gerade ganz von der Vorstellung in Anspruch genommen wurde, keuchend und schwitzend einen Weinberg hinaufklettern zu müssen. Oberhalb der Bahntrasse. Da wusste er schon, was ihn erwartete. Und das alles, weil wahrscheinlich irgendein dahergelaufener Blödel über seine Füße gestolpert war. Ein für einen Polizisten seines Kalibers völlig uninteressanter Fall.

      Wenn er es genau überlegte, so war die Beschreibung »in den Weinbergen zwischen Dürnstein und Weißenkirchen oberhalb der Bahntrasse« eine Frechheit. Das war ein großes Gebiet und er hätte ja auch ortsunkundig sein können. Typisch Karl. Wenn es nach ihm, Felix, ging, würde der nie Gruppeninspektor werden. Kathi hatte schon recht. Der Kerl gönnte ihm einfach seinen Rang nicht.

      Vor dem Dürnsteiner Tunnel entschloss er sich, auch das Folgetonhorn aufzudrehen. Machte sich gerade im Tunnel durch den Widerhall fantastisch. Insgeheim hoffte er, dass der Notarztwagen schon vor dem Streifenwagen vor Ort war. Das würde ihm die Mühe ersparen, die richtige Einstiegsstelle in den Weinberg zu finden.

      Kaum hatte der Polizeiwagen den Tunnel und die West-Auffahrt nach Dürnstein passiert, drosselte seine Kollegin das Tempo, ohne dass er sie dazu aufgefordert hätte. Keine zwanzig Sekunden später neigte sie den Kopf nach vorne und deutete mit ihrer Rechten unter dem Rückspiegel durch.

      »Schau, da oben. Da schwenkt jemand ein Hemd oder so etwas Ähnliches.«