3. Mysterientheologie und Liturgische Bewegung
Casels »Kultmysterium« und Guardinis »liturgische Grundgestalt« versuchen ohne (religionswissenschaftliche) Opfertheorien das Wesen der Messe zu erfassen.
a) Odo Casel OSB (1886–1948)
Casels Mysterienlehre6 betont: Die Heilstat Christi (Menschwerdung, Tod und Auferstehung: Passa) können wir nur mitvollziehen, weil sie im Abendmahl als bleibende Gegenwart des einmaligen Passa gestiftet ist und in der Eucharistiefeier als »Mysteriengegenwart« begangen werden kann, nicht nur in Wirkungen des Kreuzesopfers oder in abstraktem »Heilsgehalt« (Söhngen), sondern in »heilsgeschichtlicher Ganzheit« und eschatologischer Sieghaftigkeit, objektiv unter Zeichen verhüllt, wirklich und wirksam aufgrund der Heilstat und ihrer göttlichen Stiftung.7 Die Gegenwart dieser Heilstat ist nicht leere Darstellung (repraesentatio) oder Mitvollzug, sondern »wirklichkeitsgefüllte Gestalt«. Diese von der Wirklichkeit des Heilsmysterium ausgefüllte »Gestalt« nennt Casel »Kultsymbol«8. »Das Kultmysterium im eigentlichen Sinn ist somit das sakramentale Tun der Kirche, das seinen Mittel- und Höhepunkt in der Eucharistiefeier findet…«9 Beachten wir: »Kultgestalt« = »Kultsymbol« = »Kultmysterium der Kirche« (Eucharistiefeier) ist liturgietheologischer Begriff und weist auf das der wiederholbaren Mahlhandlung eingestiftete Heilsmysterium (Passa) als liturgie-theologische10, zunächst nicht streng dogmatische11 Wirklichkeit hin. Dies provozierte die Frage nach einer liturgie-dogmatischen »Grundgestalt« (Guardini) der Messe.
b) Romano Guardini (1885–1968)
Guardinis liturgische »Grundgestalt«12 besagt »Dramatik«, die eine vom »Dogma durchwirkte« … »Gesamtheit von Gedanken« ausdrückt.13 Das »Allgemein-Bedeutungsvolle« liturgischen Geschehens, d.h. die »Grundformen« des »Urbildlichen«14 sind in eine »geistliche Ausdrucksform«, d.h. in konkrete »Liturgie«15 zu gießen: »Denn die Liturgie ist keine bloße Erinnerung an das, was einst war, sondern lebendige Gegenwart, ist das beständige Leben Jesu Christi in uns und der Gläubigen in Christus, und zwar in dem ewig lebenden Gottmenschen Christus.«16 Das liturgische »Wesen des Dings, der Handlung«, die »innere Gestalt«, die liturgische »Grundgestalt« ist in der Eucharistie das Mahl als Vereinigung mit dem sich dem Vater und uns gewährenden Christus.17 Es besagt, ist und bewirkt als »lebendige Gegenwart…das beständige Leben Jesu Christi in uns und der Gläubigen in Christus, und zwar in dem ewig lebendigen Gottmenschen Christus«18. Die Position vom Mahl als Grundgestalt hat Guardini nach dem 2. Weltkrieg aufgegeben.19 Beachten wir: Guardinis Grundgestalt schillert zwischen liturgischer und dogmatischer Gegebenheit (»vom Dogma durchwirkt«).
c) Johannes Betz (1914–1984)
Mein Lehrer Joh. Betz20 skizziert die Grundgestalt der Eucharistie indirekt durch dogmatische Überlegungen: »Die Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi ist das Herzstück der Eucharistie … Sie steht aber ganz im Dienst des Opfergeschehens. Denn präsent wird Christus nicht einfachhin und in statischer Befindlichkeit, sondern in höchster Heilsdynamik, als die sich für uns verzehrende Opfergabe, als der Christus passus (im Sinne eines perfectum praesens). So ist mit der substantialen Realpräsenz der geopferten Person Jesu die aktuale ihrer passio, ihrer Opfertat, unlöslich verbunden.«21 Die Anwesenheit des Opfers Christi in der Messe stützt Betz auch mit Meßopfertheorien (Doppelkonsekration etc.) und folgert: »Wie die Opfergabe der Kirche mit der Opfergabe Jesu, so wächst auch ihre Opferhandlung mit seiner Opferhandlung zu einer unlösbaren endgültigen Einheit zusammen«22: zum »Mahlopfer«, das in der Kommunion als Opfermahl zum Abschluß kommt: »Das letztere versinnbildet noch einmal und sogar in besonderer phänomenaler Durchsichtigkeit das Urmysterium: Die Hingabe des geopferten Jesus zu unserer Speisung respräsentiert seine Kreuzeshingabe zu unserem Heil, oder: Das Verzehrtwerden Jesu von uns vergegenwärtigt sein Sich-Verzehren für uns.«23 Also: Die dogmatische Grundgestalt der Eucharistie, die aller Mahl-Liturgie bestimmend vorausliegt, ist das Passa Christi. Betz provoziert jedoch mit »Opfermahl« und »Mahlopfer« diese Frage neu.
d) Joseph Kardinal Ratzinger (geb. 1927)
Unter dem Titel »Gestalt und Gehalt der eucharistischen Feier« nimmt der Kardinal Guardinis Bemühen um »die wesentliche Gestalt der heiligen Messe« auf: Es ging um »die liturgische Feier als lebendige Gestalt. Die Gestalt wurde als eine theologische und geistliche Größe eigenen Gewichts entdeckt.«24 Er verdeutlicht: »Die Form, in der sich die Messe darbietet, erschien … als der innere Ausdruck der geistlichen Wirklichkeit, … hinter dem Zufälligen der Einzelriten die tragende Gesamtgestalt zu erkennen, die … Schlüssel zum Wesen des eucharistischen Geschehens ist … Mit dem Begriff ›Gestalt‹ war so eine bisher unbekannte Kategorie ins theologische Gespräch eingetreten, deren reformerische Dynamik unverkennbar war.«25 Und zur »Grundgestalt«: »Um sie zu finden, bot sich ein sehr einfacher Weg an: Die exemplarische Eucharistiefeier, die Einsetzung der Eucharistie durch Jesus selbst … im Rahmen des Letzten Abendmahles. Daraus schien mit einer völlig unwiderleglichen Eindeutigkeit zu folgen, daß die Grundgestalt der Eucharistie das Mahl ist.«26 War dies nicht die Position Luthers? Leugnete sie nicht Opfercharakter der Messe zugunsten einer Mahltheorie27, kritisiert Ratzinger das Auseinanderdriften von dogmatischer, das Opfer betreffender, und liturgischer, die Feier betreffender Bedeutungsebene.28 Ein solches Nebeneinander konnte auf Dauer nicht befriedigen …, die beziehungslose Trennung von Opfer und Mahl nichts erklären.29 Im Blick auf das 2. Vatikanische Konzil beklagt er das unklare Verhältnis zwischen dogmatischer und liturgischer Ebene als zentrales Problem liturgischer Reform.30 Für ihn ist die »Grundgestalt« der Messe (die) »Eucharistia«. Mit J.A. Jungmann SJ ist er dieser Auffassung.31 Der reformatorische Begriff Abendmahl ist für beide32 ein »vollständiges Novum«33. Allein die »Eucharistia« als Grundgestalt steht dem Opfer (»oblatio rationabilis«) offen.34 Nach O. Casel, J. Pascher, L. Bouyer und H. U. von Balthasar35 tritt im eucharistischen Gebet die Kirche in das Gebet Christi, in den Logos, in das Wort des Vaters ein und übergibt in Christus dem Vater alle Menschen.36 Die Eucharistia als (dogmatische) Grundgestalt der Messe schließt das Mahl nicht aus, sondern in das Dankgebet – weil Mahlgebet – ein.37 Der Begriff der Mahlgestalt sei eine historisch nicht haltbare Vereinfachung des Testaments des Herrn, das sachlich als Eucharistia zu sehen ist: »Eucharistia bedeutet ebenso das Geschenk der Communio, in der der Herr uns zur Speise wird, wie sie die Hingabe Jesu Christi bezeichnet, der sein trinitarisches Ja zum Vater im Ja des Kreuzes vollendet und in diesem ›Opfer‹ uns alle dem Vater versöhnt hat. Zwischen ›Mahl‹ und ›Opfer‹ gibt es keinen Gegensatz, in dem neuen Opfer des Herrn gehören sie beide untrennbar zusammen.«38 Man könne, auf unsere Studien verweisend, nicht mehr von »Mahlgestalt der Eucharistie«, »Mahl« und »Opfermahl« (vgl. Betz) sprechen; eine Korrektur der deutschen Übersetzung des Römischen Missale sei notwendig.39
III. AUF DEM WEG ZU EINER LÖSUNG
1. Die Frage nach der dogmatischen Sinngestalt
Der Begriff »Gestalt« (nicht Species) verwirrt durch liturgische und/oder dogmatische Ausrichtung. Trient spricht (eher) dogmatisch, aber nicht von Gestalt, sondern von der erinnernden und Gegenwart schaffenden »Repräsentanz« des Kreuzesopfers (Realsymbol: DH 1740) in der Messe, die selbst »eigentliches