José Montalban schwieg.
"Ich kann Ihnen dazu nichts weiter sagen", erklärt er schließlich. "Im Moment habe ich auch andere Sorgen. Sie haben gesehen, was mit meiner Firma passiert ist! Nach der Löschwasserdusche dürften wir nicht einmal mehr einen einzigen funktionierenden Computer zur Verfügung haben! Und bis wir wieder arbeiten können..."
Ich klopfte ihm auf die Schulter und unterbrach ihn.
"Sie haben wirklich Sorgen, Mister Montalban."
20
Die Einsatzkräfte des Fire Service bekamen den Brand im 28. Stock relativ schnell unter Kontrolle. Sicherheitshalber wurde das gesamte Gebäude zwar evakuiert, aber der Einsatzleiter versicherte uns, dass das nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Aber seit dem Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 war man im Hinblick auf Brände in Hochhäusern einfach sehr viel vorsichtiger. Die Bilder jenes Schreckenstages standen allen New Yorkern noch immer vor Augen.
In diesem Fall allerdings war der Angriff erstens weitaus weniger schwerwiegend gewesen und zweitens hatte die Sprinkleranlage einwandfrei funktioniert. Es gab in Folge der ausgebrochenen Panik ein paar Leichtverletzte. Ansonsten waren alle Angestellten von Montalban House Ltd. mit dem Schrecken davongekommen.
Unsere Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina trafen am Tatort ein. Wir erfuhren, dass der Helikopter in Richtung Norden geflogen war. Auf die Wälder von Connecticut zu.
Es würde schwierig sein, ihn aufzuspüren.
Die Air Force war alarmiert worden. Seit dem 11. September erfolgte das routinemäßig. Aber solange sich der Helikopter über dem Stadtgebiet des Big Apple befand, konnten selbst Jagdflugzeuge nichts gegen ihn ausrichten, wollten sie nicht das Leben vieler Unschuldiger gefährden.
Clive und Orry lösten uns am Tatort ab.
Zuvor hatten wir Mister McKee einen vorläufigen telefonischen Bericht über die Ereignisse geliefert.
Wir fuhren nach Hause, um uns umzuziehen.
Schließlich waren Milo und ich vollkommen durchnässt.
"Schon eigenartig, dass die Kooperationsbereitschaft des sauberen Mister Montalban jr. wie weggeblasen war, nachdem dieser Anschlag geschah", meinte ich, während ich den Sportwagen vor einer roten Ampel anhalten musste.
Einsatzwagen von Polizei, FBI, Erkennungsdienst, Fire Service und Emergency Service blockierten teilweise die Seventh Avenue. Das wirkte sich natürlich auch auf die Nebenstraßen aus, sodass es ziemlich zähflüssig voran ging.
"Das Ganze hat etwas mit den Geschäften seines Vaters zu tun, da wette ich mit dir, Jesse!", meldete sich Milo zu Wort.
"So sauber, wie er tut, ist José aber auch nicht", erwiderte ich.
"Hast du dafür irgendeinen Anhaltspunkt?"
"Nein. Noch nicht. Aber mit dem stimmt etwas nicht - mal davon abgesehen, dass ich ihm auch nicht abkaufe, dass er sich überhaupt nicht denken kann, wer es auf ihn abgesehen haben könnte."
Milo nickte. "Könnte durchaus sein, dass José sein ganz eigenes Spiel spielt. Wäre vielleicht interessant, ihn mal in einen Kreuzverhör mit seinem Vater zu nehmen, was die Entführung von Dolores angeht."
"Ob es die wirklich gegeben hat, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Ich traue José genauso wenig über den Weg wie seinem Vater."
Ich setzte Milo an der bekannten Ecke ab.
Anschließend fuhr ich zu meinem Apartment und zog mich um. Irgendein entscheidendes Puzzle-Teil fehlte uns noch, um erkennen zu können, was hier wirklich hinter den Kulissen vor sich ging. Im Moment ergab das alles noch kein klares Bild.
Ich hatte kaum den letzten Hemdknopf geschlossen, da schrillte mein Handy.
Am anderen Ende der Verbindung war Mister McKee.
"Was gibt es, Sir?", meldete ich mich.
"Ich hoffe, Sie und Milo haben den Bazooka-Angriff inzwischen einigermaßen verdaut." Unser Chef war natürlich über die Ereignisse in der Seventh Avenue genauestens informiert worden.
"Auf die Sprinkler-Dusche hätten wir gerne verzichtet!", erwiderte ich.
"Glaube ich Ihnen gerne, Jesse. Es wird Sie sicher interessieren, was mit dem Helikopter geschehen ist."
"Natürlich."
"Nach den letzten Informationen, die mir vorliegen, ist er über einem Waldgebiet in Connecticut abgestürzt. Die Verfolger-Einheiten hatten ihn zwischenzeitlich verloren."
"Wer war denn hinter ihm her?"
"Wir haben alle Helikopter von NPYD, FBI und State Police alarmiert. Außerdem waren Abfang-Jäger der Air Force unterwegs. Jetzt wird die Absturzstelle genauestens unter die Lupe genommen."
"Mister McKee, der Pilot muss eine Art Kunstflieger gewesen sein. Der beherrschte seine Maschine mit einer traumwandlerischen Sicherheit, sonst hätte er niemals ein derart riskantes Flugmanöver machen können."
"Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Jesse. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Kerl auf Grund eines Fehlers abstürzte."
"Das bedeutet, der Helikopter wurde absichtlich zum Absturz gebraucht."
"Wir vermuten, dass die Insassen mit dem Fallschirm ausgestiegen sind, um sich am Boden von irgendwem abholen zu lassen. Sie haben den Heli einfach weiterfliegen lassen, bis er zu Boden trudelte. Genaueres werden wir hoffentlich bald wissen. Jedenfalls wird das Gebiet um die Absturzstelle weiträumig abgeriegelt werden."
"Soweit das in den Wäldern von Connecticut möglich ist", murmelte ich.
Wer immer sich da einen Polizei-Heli als Mordwaffe ausgeliehen hatte - er hatte einen nahezu perfekten Plan gehabt.
"Ich rufe Sie noch aus einem anderen Grund an, Jesse", fuhr Mister McKee fort. "Ich möchte Sie und Milo bitten, so schnell wie möglich zu einem Tatort in der 49. Straße zu fahren..."
21
Haus Nr. 543 in der 49. Straße war ein etwas heruntergekommenes Apartment-Haus. Ich hatte Milo abgeholt und war anschließend so schnell wie möglich hier her gefahren. Den Sportwagen parkte ich am Straßenrand. Wir hatten Glück, noch eine Lücke zu finden. Ein halbes Dutzend Einsatzfahrzeuge standen in der Nähe. Uniformierte Kollegen der City Police ließen niemand Unbefugten ins Haus.
Wir zeigten den Uniformierten unsere ID-Cards.
"Lieutenant Davis erwartet Sie schon", winkte uns einer Cops durch. "Fahren Sie mit dem Aufzug in den fünften Stock, dann links den Korridor hinunter. Das Apartment trägt die Nummer E45."
"Danke", nickte ich.
Wenige Minuten später erreichten wir das betreffende Apartment.
Bereits auf dem Flur gab es reichlich Blutflecken und Kreidemarkierungen. In der Korridorwand befanden sich Einschusslöcher. Hier hatte zweifellos eine Schießerei stattgefunden.
Lieutenant Davis von der City Police war ein untersetzter Mittvierziger. Er begrüßte uns freundlich.
"Einer der Toten ist bereits abtransportiert worden, wie Sie sehen. Er lag hier auf dem Flur und deswegen..."
"Ich verstehe schon", sagte ich.
"Ich weiß nicht, in wie weit man Sie schon ins Bild gesetzt hat."
"Ich weiß nur, dass der Mordfall, den Sie bearbeiten, etwas mit dem Tod von Dolores Montalban zu tun hat! Für weitere Erläuterungen durch unseren Chef war keine Zeit. Wir sind gleich hier her gekommen."
Lieutenant Davis nickte. "Der Fall von der