"Und der andere?"
"Er löste eine Gasexplosion aus."
José deutete auf das Gesicht von Brett Nolan. "Den da habe ich schon gesehen. Da bin ich mir sicher."
"Können Sie sagen wann und wo?"
"Ich glaube, er war Türsteher in einer dieser Gothic-Discos, aus der ich Dolores mal in Dads Auftrag herausholen musste." Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das ist allerdings schon ein paar Jahre her. Später hätte sich Dolores das auch gar nicht mehr gefallen lassen. Sie hatte nämlich nicht nur ihren eigenen Willen, sondern wusste auch, wie sie ihn durchsetzen konnte."
"Wissen Sie etwas Näheres über die Kontakte, die Dolores in der Gothic-Szene hatte?", fragte Milo.
"Wissen Sie, ich habe diesen Spleen meiner Schwester früher nie so richtig ernst genommen. Sie fing irgendwann an, sich nur noch in Schwarz zu kleiden und das Gesicht weiß zu schminken. Ich brauche Ihnen da ja nichts zu erzählen, Sie kennen sich in dieser Szene vermutlich sicher viel besser aus, als ich."
Ich blieb hartnäckig. "Haben Sie mal den Namen Bruder Maleficius gehört?"
"Nein, wer soll das sein?"
"Der Anführer einer Art Satanistensekte, der ihre Schwester angehörte. Zumindest hat sie sich um die Aufnahme bemüht, wie wir von einer Freundin wissen."
"Tut mir leid, dieser Name sagt mir gar nichts. Im Übrigen sehe ich das mit diesem Satanistenbrimborium auch nicht so eng wie mein Vater. Wenn man jung ist, muss man das eine oder andere ausprobieren, finden Sie nicht, Agent Trevellian?"
Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten.
17
Draußen, vor der hohen Fensterfront in José Montalbans Rücken tauchte ein Hubschrauber auf.
Er trug die Kennung des NYPD.
José blickte sich irritiert um.
Der Helikopter verharrte genau in Höhe der Fensterfront.
"Was hat das zu bedeuten, Agent Trevellian?", rief er. "Ich dachte, Sie meinen es ehrlich, G-man!"
Milo und ich wechselten einen kurzen Blick.
Mit dem Auftauchen des Helis hatten wir nichts zu tun. Die Maschine schwenkte seitwärts.
Die Insassen trugen Sturmhauben.
Ich bemerkte plötzlich die Gewehrmündung, die seitlich aus dem Fenster ragte.
"Hinlegen!", schrie ich, warf mich über den Schreibtisch in Josés Richtung und riss den Sohn von El Columbiano zu Boden. Milo warf sich zur Seite.
Zwei Schüsse durchdrangen kurz hintereinander das Fensterglas. Es zersplitterte nicht. Stattdessen bildeten sich kreisrunde Löcher, die von spinnennetzartigen Rissen umgeben waren. Aber es handelte sich eben nicht um Panzerglas! Die Kugeln durchdrangen die Scheiben mühelos.
Der Schütze im Heli feuerte noch zwei weitere Geschosse in José Montalbans Büro hinein.
Dann drehte der Heli ab, flog einen Bogen.
Milo hatte schon das Handy am Ohr, verständigte unser Field Office an der Federal Plaza.
Wer auch immer am Steuerknüppel dieses Helis saß - ein Cop war das wohl kaum!
"Stehen Sie auf, Mister Montalban!", forderte ich José auf.
Ich rappelte mich auch auf und packte den ziemlich verdutzten Immobilienmakler unter den Armen.
Milo war auch wieder auf den Beinen.
"Was hat das zu bedeuten?", stammelte José.
"Jemand will Sie tot sehen und hat sich dafür offenbar im Fuhrpark des NYPD bedient!", erwiderte ich trocken.
"Jesse, der Heli kommt zurück!", rief Milo.
Ich wirbelte herum.
Mein Freund und Kollege hatte Recht.
Der Heli hatte erneut gedreht und flog jetzt noch einmal auf die Fensterfront von José Montalbans Büro zu.
Milo hielt in der einen Hand das Handy, in der anderen die SIG.
Er richtete den Lauf in Richtung des Angreifers, schoss aber nicht. Die Folgen wären unabsehbar gewesen. Nicht auszudenken, wenn der Pilot getroffen wurde und der Heli auf die belebte Seventh Avenue stürzte.
Aus dem Seitenfenster des Helikopters ragte jetzt ein sehr viel dickeres Rohr.
Eine Bazooka.
Der Helikopter verharrte einen Augenblick an seiner Position. Der maskierte Copilot feuerte die Bazooka ab. Sekundenbruchteile später verwandelte sich José Montalbans Büro in eine sengende Flammenhölle.
18
Rick Montalban trat auf die Terrasse hinaus. Man hatte einen traumhaften Ausblick auf den Bootssteg und das Meer. Dunst hing über dem Wasser. Die Wellen brachen sich schäumend am Strand, aber es wehte nur eine schwache Brise.
Die beiden Männer, die an dem runden Terrassentisch platzgenommen hatten, erhoben sich. Der eine war Mitte Fünfzig, hatte kurzgeschorenes graues Haar und ein bronzefarbenes Gesicht. Sein Maßanzug hatte mindestens 2000 Dollar gekostet. Er hieß Harry Silva. Silva war Ricks Neffe und außerdem sein Anwalt. Seit Jahrzehnten hatte Harry Silva seinen Onkel aus allen Prozessen herausgepaukt.
Der zweite Mann war zehn bis fünfzehn Jahre älter.
Der dünne Haarkranz um seinen Kopf war schlohweiß, ebenso der Knebelbart um das Kinn. Er trug eine pechschwarze Sonnenbrille.
Sein Name war Juan-Angel Carillo. Auch er gehörte zur Familie. Carillo war ein Großcousin von El Columbiano und seit vielen Jahren einer seiner engsten Berater. Carillo hatte für Montalban etwa die gleiche Stellung, wie sie in der italienischen Mafia ein sogenannter "Conciliere" einnahm.
Rick Montalban machte eine Geste mit der Hand. "Bleibt ruhig sitzen", sagte er. "Oder gibt es vielleicht irgendeinen Anlass, um förmlich zu werden?"
Weder Carillo noch Silva sagten ein Wort. Sie setzten sich wieder.
Rick Montalban nahm ebenfalls Platz und schlug die Beine übereinander. Mit einem Fingerschnipsen schickte er den Bodyguard weg, der in der Nähe stand.
"Ihr wolltet mich unbedingt sprechen und habt es sehr dringend gemacht", sagte El Columbiano. "Also schlage ich vor, dass wir gleich zur Sache kommen. Wie ihr wisst, bin ich ein viel beschäftigter Mann!"
Die beiden drucksten etwas herum.
Schließlich war es Carillo, der als erster das Wort ergriff. "Wir machen uns über verschiedene Dinge Sorgen, Rick!"
Rick Montalbans Augenbrauen hoben sich. "So?"
"Es gibt Gerüchte, du hättest die Organisation nicht mehr so fest im Griff wie früher", ergänzte Harry Silva. "Es heißt außerdem, du wolltest dich langsam aber sicher zurückziehen."
"Wer erzählt so einen Unfug?", fragte Rick ziemlich ungehalten.
"Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, Rick", erwiderte Harry Silva. "Und angeblich warten unsere Latino-Vettern nur darauf, unseren Teil des Kokain-Marktes unter sich aufzuteilen."
"Von wem sprecht ihr?"
"Von Benny Dominguez und seinen Puertoricanern zum Beispiel", sagte Silva.
Rick Montalban ballte die Hände zu Fäusten. "Caramba, was ist mit Dominguez?"
"Er soll im Nachtclub 'La Habanera' gesehen worden sein", antwortete der Anwalt. "Wie allgemein bekannt ist, steht der Laden unter der Kontrolle von Fat Paco und seinen Exilkubanern! Rick, du musst doch begreifen, was das bedeutet!"
"Du siehst