Nach diesen Beispielen bevorzugen wir heute den Kult unter freiem Himmel, am besten auf Waldlichtungen oder Wiesen am Waldrand, denn dort sind wir der Natur und den Göttern am nächsten und können die Opfergaben direkt der Erde oder einem offenen Feuer übergeben. Ideal sind historische Heiligtümer und natürliche Kraftorte, die besonderes Heil in sich tragen, aber auch jeder andere geeignete Platz in der Natur kann zum heiligen Platz werden.
Dazu muss er umhegt, das heißt vor schädlichen Kräften geschützt, für die Dauer des Rituals von der profanen Umwelt abgegrenzt, dem rituellen Zweck geweiht und von den Göttern geheiligt werden. Er wird zu einem Ort zwischen den Welten, an dem wir mit Göttern und Ahnen dieselbe Gegenwart teilen. Als der Ort, der alle vereint, ist der Kultplatz für die Dauer des Rituals das Zentrum des Kosmos, in dem der Weltbaum Yggdrasil alles, was existiert, vereint. Dies symbolisiert die Irminsul (altsächsisch: „erhabene Säule“), die an ihm aufgestellt werden kann und während des Rituals Yggdrasil ist.
Für die Umhegung und zeitweilige Weihe des Platzes als Kultort gibt es mehrere Möglichkeiten, die im Praxisteil beschrieben werden. Ein fixer, auf Dauer eingerichteter Kultplatz oder ein Tempel muss natürlich nicht jedes Mal neu umhegt und geweiht werden. Bei freien Plätzen empfiehlt sich eine feste Umzäunung. Im Thorsberger Moor etwa war die Stelle im See, an der von einem Steg aus die Opfergaben ins Wasser geworfen wurden, von einem Flechtwerkzaun umgeben. Das eigene Haus als natürlicher Hort des Sippenfriedens bedarf, wenn man darin ein Ritual abhält, keiner zusätzlichen Umhegung.
Die heilige Zeit
Das Ritual hat nicht nur einen heiligen Ort, der den profanen Raum überschreitet. Auch die Zeit des Rituals ist heilige Zeit, die vom alltäglichen Zeitlauf abgegrenzt und von ihm qualitativ verschieden ist. Wie der heilige Ort zwischen den Welten, steht sie zwischen den Zeiten und vereinigt sie zu einer zeitlosen Gegenwart. Die Götter und Ahnen sind im Ritual nicht nur hier, sondern auch jetzt, und wir selbst treten aus dem linearen Zeitablauf und haben Teil an der Zeit des Mythos, von dem es heißt: „Er war nie, ist aber immer“.
So feiern wir in den Jahresfesten nicht nur die Wenden zwischen Frühling, Sommer, Herbst und Winter des aktuellen Jahres und die Segnungen, die uns die Götter in der endenden Jahreszeit gegeben haben und in der kommenden geben mögen. Wir treten, wie es der Religionsphilosoph Micea Eliade als wesentlich für das Ritual beschreibt, zugleich auch in die mythische Urzeit ein, in der die Götter die Welt und die Zeiten geordnet haben. Wir gedenken dieser Tat nicht nur. Wir vereinigen uns mit der zeitlosen Ewigkeit, in der sie immer wieder von Neuem getan wird. Auch jeder andere Mythos, den wir im Ritual zelebrieren, findet jedes Mal wirklich statt und wird aktuelle Gegenwart.
Damit ist aber auch der profane Zeitpunkt, an dem wir ein Ritual halten, nicht austauschbar. Wenn wir im Ostarafest feiern, wie der Frühling den Winter besiegt und die Welt neu geschaffen und mit Leben erfüllt wird, dann kann das rituelle Geschehen nur stattfinden, wenn das auch in der Welt um uns so ist.
Heidnische Feste sind jahreszeitlich gebunden, wobei schon in der Bronzezeit als entscheidender Faktor die relative Bewegung der Sonne erkannt wurde. Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen, bereits vor 3600 Jahren auf der in Sachsen-Anhalt gefundenen „Himmelsscheibe von Nebra“ exakt markiert, wurden gewissenhaft beobachtet und bildeten nicht nur die Grundlage des bäuerlichen Arbeitsjahrs, sondern auch des Festkalenders. Das hatte allerdings nicht immer und überall die gleichen Konsequenzen. Es gab je nach Volksstamm und Zeitalter verschiedene Festtermine und zum Teil auch verschiedene Feste. Nur Jul (Wintersonnenwende) war vermutlich immer allen Germanen gemeinsam.
Heute orientieren sich viele Heidengruppen wieder an den astronomischen Fixpunkten, von denen wir annehmen, dass sie von unseren frühesten Vorfahren ebenso exakt als Festtermine genutzt wie beobachtet wurden. Auch der VfGH feiert die vier großen Jahresfeste möglichst genau zu den astronomischen Jahreszeitdaten, obwohl das nicht in jedem Fall unbedingt der historischen Tradition entspricht. So zeigt der altfränkische Name ostarmanoth für den April, dass zumindest die Franken das Ostara-Fest nicht exakt zu Frühlingsbeginn, sondern einige Wochen später, vielleicht zum ersten Vollmond danach, feierten. Die astronomische Bindung macht aber trotzdem Sinn. Sie drückt aus, dass die Jahresfeste nicht nur „Vegetationsfeste“ sind, wie sie oft auf einen einzelnen Aspekt reduziert gedeutet werden, sondern die ganze große Ordnung des Kosmos feiern.
Zusätzlich kann jede regionale Gruppe, Familie oder Einzelperson natürlich weitere Feste feiern, und darüber hinaus gibt es auch Rituale, die an aktuelle Ereignisse, und solche, die an keine bestimmte Zeit gebunden sind. So dankt man für ein Kind, wenn es geboren ist, und kann ein Blót für eine Gottheit, die man das ganze Jahr über besonders verehrt, zu jeder Zeit im Jahr abhalten.
Altar und Götterbilder
Nach Tacitus hielten es die Germanen auch für unwürdig, die Götter in Menschengestalt abzubilden. Es gab nur die schon beschriebenen einfachen, roh behauenen Kultpfähle, die keine Gottheiten abbilden, sondern lediglich ihre Anwesenheit andeuten sollten. Vermutlich handelt es sich auch noch bei den „Baummännern“ (trémenn) der nordischen Saga-Literatur um solche bewusst sparsam bearbeiteten Baumstämme. Beschreibungen realistischer Götterbilder der Wikingerzeit, wie sie der christliche Chronist Adam von Bremen, manche Saga-Autoren und auch Snorri Sturluson liefern, werden von der heutigen Forschung angezweifelt, allerdings räumt auch der hier besonders kritische Rudolf Simek ein, dass kleine Figuren wie etwa die als Freyr-Darstellung bekannte Statuette aus Rällinge in Schweden wohl tatsächlich Götterbilder waren, die er aber eher als Amulette deutet und nicht als Kultfiguren, vor denen man Gebete sprach und Opfer brachte.
Ganz ausschließen lässt sich das freilich nicht, und zumindest im römisch beherrschten Gebiet zeigen realistisch gearbeitete Darstellungen, allen voran die zahlreichen Matronensteine aus dem Rheinland, dass es für ihre durchwegs germanischen Stifter nicht unvereinbar mit ihrer religiösen Tradition war, vor Kultbildern zu beten. Daher sollten wir auch heute für beide Möglichkeiten offen sein.
Vor den Kultpfählen oder Götterbildern stand in der Regel ein aus Steinen errichteter Altar, der althochdeutsch harug und nordisch hörgr hieß und auf dem in einem nordischen Tempel (hof) ein goldener oder silberner Armring lag. Er war das Amtszeichen des „Priesters“ (goði) und ein heiliges Symbol, auf das Schwörende beim Eid „auf den Ring“ ihre Hand legten. Eine andere Einrichtung wird auf Nordisch als stallr oder stalli bezeichnet, wörtlich ein Gestell, auf dem nach der Literatur auch Götterbilder gestanden haben sollen. Wahrscheinlicher ist, dass es sich dabei um Balkenkonstruktionen handelte, wie sie in West- und Nordeuropa seit der Bronzezeit belegt sind. Sie bestanden aus vier oder mehr senkrechten Pfählen, die oben durch Querbalken verbunden waren und zum Aufhängen verschiedener festlicher Dekorationen und Symbole dienten.
Es ist nur ratsam, auf einem Kultplatz auf eigenem Grund und Boden, der dauerhaft vor fremdem Zugriff geschützt ist, einen festen Altar zu errichten. Auf öffentlich zugänglichen Plätzen begnügen wir uns damit, auf einem Tuch oder an den Wurzeln eines Baumes die Opfergaben und rituellen Geräte auszulegen.
Die Ausrichtung des Altars ist – wie auch die Richtung, in die man sich für Gebete, Anrufungen und Opfer wendet und in die bei Kreisritualen der Leiter blickt – traditionsgemäß der Norden, die Richtung des Polarsterns, um den sich der Himmel scheinbar dreht.
Rituelle Geräte
Unabdingbar für jedes Ritual ist, dass zumindest einer der Teilnehmer ein Trinkhorn mitbringt, mit dem das Trankopfer, das Blót,