Sjoerd Gaastra 1921-2013. Detlef Gaastra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Gaastra
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783960083177
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      Aber es spielte noch eine dritte Person eine bedeutende Rolle, die im Hintergrund die Fäden zog. Das war die einzige Tochter meiner Urgroßeltern meine Großtante Foek, über die ich schon berichtet habe. Sie und ihre Mutter waren ein Herz und eine Seele, und sie waren Intrigantinnen hoch 3, zu denen sich später noch eine Schwester meines Vaters gesellte. Nach der Scheidung von Tulp heiratete sie einen entfernten Vetter, Herbert Wempe (der Name ist hier auch schon gefallen), Direktor eines arisierten Bankhauses in Amsterdam. Wenn mein Großvater bräunliche Flecken auf seiner schon nicht ganz weißen Weste hatte, waren die von Herbert Wempe tiefbraun. Nach dem Kriege wurde er auf der Insel Texel interniert oder inhaftiert, das ist eine unterschiedliche Betrachtungsweise. Johann, der jüngste Bruder meines Vaters meldete sich zur Armee. Nicht weil er entsprechende Ambitionen hatte, sondern eine gesicherte Verpflegung, die bei seiner Mutter nicht gewährleistet war. Und siehe da, Enkel Johann landete bei der Wachmannschaft auf Texel, mit dem Geheimauftrag des Großvaters seinen Onkel mit Kaffee, Zigaretten und Schokolade zu versorgen. Mein Onkel Johann erzählte mir dann auf meine Nachfragen (zum Leidwesen meines Vaters habe ich viel nachgefragt, nach seiner Ansicht sogar zu viel) das wäre für ihn mit erhöhten „Beschaffungskosten“ verbunden gewesen, aber er hätte dadurch neben dem kargen Wehrsold noch eine Nebeneinnahme gehabt. Das war ein Dilemma, in dem mein Urgroßvater steckte, sein Bruder nahm den „Schierlingsbecher“ weil er die Verlobung seiner Tochter mit einem deutschen Offizier zugelassen hatte. Mein Urgroßvater sorgte dafür, dass sein deutscher Schwiegersohn im Lager ein angenehmeres Leben hatte. Dass eine Schwiegertochter, nur wenige Kilometer entfernt mit fünf Kindern am Rande des Existenzminimums hauste war deren eigenes Verschulden. Niemand hatte sie gezwungen seinen Sohn zu heiraten. Im Gegenteil. Tante Foek und meine Mutter verstanden sich vom ersten Augenblick an prächtig obwohl sie charakterlich keine Berührungspunkte hatten. Es war der Makel, mit einem „Feind und Besatzer“ verheiratet zu sein, der die beiden Frauen zusammenschweißte Foek informierte meine Mutter über die Familieninterna, besonders über die Schattenseiten und die Leichen im Keller. Das war keine Böswilligkeit, sondern für meine Mutter ein Schutzschild gegen Angriffe. Alles Negative der Familiengeschichte (auch Vorkommnisse aus viel früherer Zeit, und davon gab es reichlich) habe ich von meiner Mutter erfahren, die damit die offene Rechnung mit Ihrer Schwiegermutter beglich.

      Der (reichliche) Besitz Herbert Wempes wurde eingezogen. Natürlich in den Augen meiner Urgroßmutter völlig zu Unrecht, dezimierte es doch auch das erheiratete Vermögen ihrer Tochter, die sie jetzt bei sich aufnehmen und auch versorgen musste, und das dann auch standesgemäß. In Vergessenheit geriet, dass wenige Jahre vorher der Sohn mit seiner Familie nach Deutschland abgeschoben wurde weil keine Bereitschaft einer Unterstützung bestand. Nach seiner Entlassung ist Herbert nach Oldenburg in sein Elternhaus gezogen und wurde Bezirksdirektor einer namhaften Bausparkasse, in den fünfziger Jahren in Ostfriesland eine Lizenz zum Gelddrucken. Das Vermögen wuchs beständig und unter anderem legte er sich ein größeres Anwesen in Spanien zu. Dabei spielten Freunde aus der „Legion Condor“ eine Rolle. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Netzwerke auch nach den 1.000 Jahren noch hervorragend funktionierten.

      Über diese Kapitel der Familiengeschichte habe ich mit meinem Vater so gut wie nie gesprochen, weil ich wusste es ist sinnlos. In diesen Angelegenheiten machte sich schon sein Gedächtnisschwund bemerkbar, der sich besonders in den letzten zwei Lebensjahren verschlimmern sollte. Es war meinem Vater gar nicht recht, dass ich Zugang zum Familienarchiv hatte und was viel schlimmer war, auch nutzte. Mein Vater betrieb seine Vogelstraußpolitik, bzw. verschloss im dunklen Keller die Augen. Der dicke Bundeskanzler und im Nebenberuf promovierter Historiker, dessen Doktorarbeit auf unerklärlicher Weise nicht mehr auffindbar ist, hat das schöne Wort geprägt „von der Gnade der Späten Geburt“. Ich bin ein Kind der 68ziger, der Generation die Fragen stellte, die aber nicht beantwortet wurden. Und darum wühle ich im Familienarchiv. Oder sollte es Familiendreck genannt werden?

      Wofür ich meinen Vater bewundere, dass er wie ein Löwe für seine Mutter gekämpft hat, um ihr eine Rente zu verschaffen. Nach 12 Jahren Dienst in den Kolonien konnte mein Großvater mit einem Rentenanspruch den Dienst quittieren, was er auch getan hat. Das war eine Regelung, die in allen Kolonien Gültigkeit hatte, auch in den karibischen Besitzungen. Diese Renten waren aber an den dortigen Lebensstandard angepasst, der erheblich niedriger als im Mutterland lag. Zum Beispiel entfielen Heizkosten, die in den Niederlanden einen erheblichen Teil des Einkommens ausmachen konnten. Nach 12 Dienstjahren wurde auch eine Abfindung gezahlt, die mein Großvater mit seinen geschäftlichen Misserfolgen verbraucht hatte, und auch keine weitere Beschäftigung bekommen hatte. Ins niederländische Rentensystem hatte er somit nie etwas eingezahlt und keine Ansprüche. Als meine Großmutter Witwe geworden war beantragte sie eine Pension, die aber abgelehnt wurde. Da muss aber die Situation in den Niederlanden der Nachkriegszeit bedacht werden.

      Die Niederlande waren neutral und dachten wie im Ersten Weltkrieg auch ungeschoren davon zu kommen. Ein Trugschluss wie sich erweisen sollte. Das Land wurde ohne Kriegserklärung und entsprechender Vorbereitung angegriffen. Im Deutschen Reich waren die Kriegsvorbereitungen bereits im September 1936, unmittelbar nach den Olympischen Spielen, begonnen. 60 Millionen Deutsche standen 16 Millionen Niederländern gegenüber, und die Niederländer hatten keine Rüstungsindustrie. Nur die Flotte war einigermaßen verteidigungsfähig. Deren Aufgabe war aber mehr der Schutz der überseeischen Gebiete. Als der wegen des Überfalls Japans nötig gewesen wäre, erreichte sie das Kriegsgebiet nicht mehr, bzw. war von den Besatzern beschlagnahmt. Neben der mangelhaften Ernährung der Bevölkerung, weil erhebliche Lebensmittelmengen ins Reich transportiert wurden, war es auch der Terror gegen die Bevölkerung. Das war nicht nur die Vernichtung der Juden. Über eine Million Fahrräder wurden „beschlagnahmt“. Da muss ich immer etwas schmunzeln wenn ich besonders hier in Berlin höre oder lese, dass die bösen Russen einfach die Fahrräder geklaut hätten. Aber bekanntlich: wenn zwei das gleiche tun, ist es noch immer nicht dasselbe. Vermutlich war ein Teil dieser Fahrräder nur ein „Durchgangsposten“ und stammte aus dem geplündertem Holland. Wohnraum wurde vernichtet, Rotterdam und andere Küstenstädte wurden ausradiert. Das war genauso unnütz wie die Bombardierung Dresdens, oder Bielefelds. In Friesland, in der Nähe Schlotens, mussten die Bewohner eines Dorfes ihre Häuser innerhalb einer Stunde verlassen (inklusive Vieh), weil Werner von Braun dort eine Abschussrampe für die V2-Waffen errichtete. Bevor die Alliierten das Dorf erreichten, wurde es mit der Raupe dem Erdboden gleich gemacht. Dabei wurden von dieser Rampe nur zwei Raketen abgefeuert, denn die Anlieferung aus Peenemünde klappte nicht mehr. Dazu waren viele Familien betroffen weil arbeitsfähige Männer als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt wurden und dort wegen der Arbeits- und Lebensbedingungen, oder durch Kampfhandlungen umgekommen sind. Zwangsarbeitern war es verboten, Schutzräume aufzusuchen. Nach dem Kriegsende verbesserte sich die Lage aber nicht, eher wurde sie noch schlimmer. In Deutschland jammerte man über die Flüchtlinge und Heimatvertriebene, die den Alteingesessenen zur Last fielen. In den Niederlanden waren es die Rückkehrer aus Indonesien, das nach dem Abzug der Japaner seine Selbstständigkeit erkämpft hatte. Die Eingliederung von Ostpreußen im Ravensberger Land oder in Niedersachsen war weniger problematisch als die Eingliederung von Menschen aus dem tropischem „Smaragdgürtel“. Die wussten nicht mehr mit einem Ofen zum heizen umzugehen, die kannten auch keine Jahreszeiten und kamen im Mutterland auch mit dem Verkehr nicht zurecht, denn in Indonesien gab es den von den Engländern eingeführten Linksverkehr. Ostpreußen, ein polnisches Herzogtum, hat 200 Jahre zu Preußen, defakto Deutschland gehört. Niederländisch Indien fast auf den Tag genau 350 Jahre, zu Holland. Das waren mehr als zehn Generationen. Diese Menschen einzugliedern war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Dazu kam noch ein Gesundheitsproblem, unter dem auch meine Großmutter litt, die Malaria, von der ein großer Teil der Rückkehrer befallen war.

      In dieser Situation wird nun die aus dem Reich zurückgekehrt Witwe eines vermeintlichen Kollaborateurs vorstellig, um für sich und ihre „Brut“ eine Unterstützung zu verlangen. Wie frech war dieses Weib eigentlich! Wenn sie eine Rente verlange, dann solle sie sich doch an die Eisenbahngesellschaft auf Java wenden. Die Entscheidungsträger in den Gremien waren alles „aktive Widerstandskämpfer“ Männer voller Heldenmut, deren Heldentum vorwiegend darin bestand sich weggeduckt zu haben. Wir hatten in der Familie einige echte Widerstandskämpfer, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben und ggf. auch geopfert hätten. Diese Familienmitglieder haben nie ein Problem