Ein neuer Abschnitt begann. Meine Mutter blieb weiter bei ihren Eltern wohnen und mein Vater wurde von der Familie Delius aufgenommen. Zu der Produktionsstätte Jöllenbeck gehörte ein großes Westfälisches Bauernhaus, welches bisher für betriebliche Veranstaltungen, Betriebsfeste und ähnliches, genutzt worden war. Neben Herbert und Clara Delius, deren Haus ebenfalls zerstört war, bekam „Sigurd“ ein Zimmer in dem Bauernhaus unter dem Dach zur Verfügung gestellt. Die Produktion der Firma Delius & Söhne wurde eingestellt und es gab somit auch nichts mehr zu exportieren. Soweit möglich wurde er zu Aufräumungsarbeiten heran gezogen. Täglich fuhr er mit dem Fahrrad zu seiner Braut und seinen Schwiegereltern. Dort hatte er bereits vorher den Volksempfänger zu einem „Weltempfänger“ umgerüstet um sich über die Entwicklung an den Fronten auf dem Laufenden zu halten.
Sein Wissen teilte er nur mit seinem Schwiegervater, einem aufrechten Sozialdemokraten lassalscher Prägung. Ein sogenannter „Salonsozialist“, der mit Carl Severing (dem letzten Preußischen Innenminister vor der Machtübernahme) zusammen an der Drehbank gestanden hatte und im Metallarbeiter-Verband zusammenarbeitete. Dort wurde eine lebenslange Freundschaft begründet. Mein Großvater sprach keine Fremdsprache und sein Schwiegersohn übersetzte ihm die wesentlichsten Nachrichten. So gelangten die Informationen an Carl, der nach der Verdrängung aus dem Staatsdienst sein Haus in der Lampingstraße bewohnte. Die beiden alten Herren trafen sich zu unverdächtigen Spaziergängen im „Adolf-Hitler-Park“. Meine Großmutter, die ihren Sohn im Krieg verloren hatte versteckte zwei Deserteure in der Wohnung und gab ihnen die Kleidung des gefallenen Sohnes um wenigsten zwei Müttern den Sohn zu erhalten. Leider hat sie nie erfahren ob es gelungen ist. Der Blockwart hatte davon erfahren, aber geschwiegen. Vermutlich hatte mein Großvater ihm gesteckt, Vorsorge für den Endsieg der anderen Seite zu treffen. Jedenfalls wurde dieser Blockwart als erster in Bielefeld aus der englischen Haft entlassen. Mein Großvater hatte seinen Freund Carl gebeten sich bei den Engländern entsprechend zu verwenden.
In Jöllenbeck erlebte mein Vater dann das vorläufige Ende des Krieges. Als der Geschützdonner bereits zu hören war, beseitigte er auf die Schnelle alle Spuren der NS-Zeit. In einem kleinen Kanonenofen wurde „Belastungsmaterial“ verbrannt, Hitlerbilder, Wimpel etc., alles was ein Hakenkreuz zeigte und brennbar war verschwand im Ofen. Alle Bewohner des Bauernhauses trugen die belastenden Dinge zusammen und halfen bei der Vernichtung. Nur als die der Firma verliehene „Goldene Fahne“ in die Flammen wandern sollte erhob Herbert Delius Protest, er meinte die Fahne vielleicht doch noch mal gebrauchen zu können. Aber seine Frau Clara, die als ehemalige Stadträtin schon 1933 von den Nazis aus dem Rathaus vertrieben wurde, sprach ein Machtwort. Da mein Vater durch die Radioberichte der Alliierten bestens informiert war wusste er auch wie mit Widerständlern verfahren wurde. Seine Strategie war „alles muss sauber sein, wir waren nie für das System, denn hier muss möglichst viel heile bleiben damit wir, wenn die Waffen schweigen, wieder produzieren können. Mein Vater veranlasste Herbert Delius mit seiner Autorität als ein Delius dafür zu sorgen, dass es nicht zu unsinnigen Widerständen in Jöllenbeck kommt. Wie später bekannt wurde hatte in der Nähe ein Großvater mit seinem Enkel und zwei Panzerfäusten versucht die vorrückenden Truppen aufzuhalten, die dann größere Gegenwehr vermuteten und den Hof in Schutt und Asche legten und die beiden „Helden“ mit dem Panzer förmlich überrollten.
Als die Truppen das Firmengelände erreichten, hat mein Vater seine einzige Kampfhandlung im Krieg begangen als er ihnen mit einer weißen Fahne und seiner „Fremdarbeiterkarte“ entgegen ging. Da er Englisch sprach war es auch einfach für ihn entsprechend aufzutreten. Die „Fremdarbeiter“ genauer gesagt „Zwangsarbeiter“ aus den eroberten Ländern hatten entsprechende Legitimationskarten da sie in ihren Rechten erheblich eingeschränkt waren. So durften sie bei Fliegeralarm nicht die Schutzräume aufsuchen. Das traf bei meinem Vater nicht zu, weil er ja schon vor dem Kriege nach Bielefeld gezogen war, aber verwaltungstechnisch gehörte er als Staatsbürger einem eroberten Land an und wurde somit auch entsprechend als Fremdarbeiter geführt. Was aber auch dazu führte, von den Engländern nach der Kapitulation für ein paar Tage in einem Sammellager gesteckt zu werden, von wo aus die Insassen in ihre Heimatländer zurückgeführt werden sollten. Der Lageraufenthalt hatte aber auch Vorteile. Nachdem mein Vater nachweisen konnte, dass er bombengeschädigt war und kein Zwangsarbeiter oder Kollaborateur, wurde er nach entsprechender Prüfung in die Administration der Sieger übernommen.
Das offizielle Verlobungsfoto
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