Zu der Gruft meiner Urgroßeltern muss hier noch etwas gesagt werden. Es ist die protzigste Grabanlage die sich ein Familienmitglied errichten ließ. Nicht einmal des Gründerehepaar von Batavus leistete sich diesen Luxus. Sogar der Bürgermeister von Workum wurde übertroffen. Nach dem Kriegsende, als auch das Lebensende meiner Urgroßeltern näher rückte, begann meine Urgroßmutter von ihren Kindern Geldern einzufordern. Angeblich wegen der schlechten Zeiten und um ihre materielle Not zu lindern. Obwohl nichts den Eindruck einer Notlage vermittelte. Aber Diskussionen mit der alten Dame waren zwecklos und keiner wollte sich mit ihr anlegen. Nur hinter ihrem Rücken wurde sich empört. Als mein Urgroßvater gestorben war, fand sich die Familie vor einer gemauerten Gruft wieder, die von meiner Urgroßmutter in Auftrag gegeben worden war und in Raten abbezahlt wurde. Mit dem Geld ihrer Söhne! Der Friedhof ist in einem sehr feuchten Gebiet angelegt und das Argument war, sie wolle nicht, dass ihr Mann in feuchter Erde vermodere. Das hat ihr aber keiner abgenommen. SIE wollte im Tode keine nassen Füße bekommen und sorgte wie ein Pharao schon zu Lebzeiten für eine standesgemäße Grablege.
Familie Albert Westerbaan, Kinder und Enkelkinder. Jantje oben rechts
Die Mutter – Jantje Westerbaan
Von meiner Großmutter kann ich mir die Lebensdaten gut merken, denn sie wurde am 31. Januar 1900 geboren. Der 31. Januar war der Geburtstag von Königin Beatrix und somit ein Feiertag, an dem geflaggt wurde. Ich sagte auch zu Ehren meiner Großmutter, die ein untadeliges, aber entbehrungsreiches Leben geführt hatte. Kein schwarzes Schaf, bestenfalls ein leicht graues Schaf. Sie war das letzte Kind einer neunköpfigen Kinderschar. Ihr Vater war Binnenschiffer mit einem eigenen Schiff. Das verkaufte er, als das Schiff der Familie keinen genügenden Wohnraum bot und kaufte sich von dem Erlös einen kleinen Bauernhof am Stadtrand von Leeuwarden wo er erfolgreich eine Viehzucht betrieb. Was aus den Geschwistern meiner Großmutter geworden ist weiß ich nicht, denn nur zu einem Bruder und einer Schwester bestand Kontakt. Das war aber auch wohl dem Umstand geschuldet, dass meine Großmutter eine Nachzüglerin war und durch den Aufenthalt in Indonesien sich ihrer Familie entfremdete. Der Vater führte ein streng calvinistisches Leben, ohne in der Kirchengemeinde eine besondere Stellung oder ein Amt eingenommen zu haben. Aber mit seinen Verbindungen sorgte er dafür, dass sein Enkel ein Stipendium bekam um das Christliche Gymnasium zu besuchen. Darum musste ich auch einen weiteren Schulweg nehmen, weil ich aus dieser Tradition heraus auch auf eine christliche Schule gehen sollte und nicht auf die allgemeine Schule im Dorf. Diese Bevorzugung vor seinen Brüdern hat mein Vater versucht auszugleichen, indem er auf das Erbe seiner Tante verzichtete.
Die Tante wohnte in Oldenburg, war ursprünglich sehr vermögend und hatte unter anderem meinen Vater als Erben eingesetzt und zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Mein Vater verzichtet zu Gunsten seiner beiden Brüder auf die ihm zu stehende, nicht unbedeutende Vergütung und seinen Erbteil mit dem Argument: „Dafür durfte ich zur Schule gehen und etwas lernen, meine Brüder nicht.“ Was mich dabei verwundert, war der Rückfall meines Vaters in die Denkungsweise des 19. Jahrhunderts. Seine Schwestern gingen leer aus, denn Mädchen brauchten ja keine bessere Schulausbildung!
Diese Tante, einzige Schwester meines Großvaters, war somit meine Großtante und in zweiter Ehe mit einem Wempe aus der Juweliersfamilie verheiratet, den sie bei einen Familientreffen kennen gelernt hatte. Das beträchtliche Vermögen schmolz dahin, als sie wegen eines über 10 Jahre dauernden Siechtums privatärztlich versorgt wurde. Das Geld war bei ihren Ärzten, Pflegerinnen und dem Malteser Hilfsdienst gelandet. So ließ sie sich jeden Freitag vom Malteser Hilfsdienst zum Aalessen an das Zwischenahner Meer fahren. Meistens noch in Begleitung von Freundinnen. Auch Neffen und Nichten sahen in meiner Großtante einen Geldesel. Nur die Familie ihres ältesten Bruders wurde nicht bedacht. Außer vielleicht meinem Vater der aber jegliche Zuwendungen von seiner Tante ablehnte. Eine Ausnahme wurde bei mir gemacht und ich bekam Geschenke mit Familienbezug. Ich war ja der „Kronprinz“ und das zukünftige Familienoberhaupt. In erster Ehe war meine Großtante mit Adrian Tulp verheiratet, Sohn eines Notars in Leeuwarden. Ich setze mal voraus, dass den Lesern Rembrandts Bild „Die Anatomie des Dr. Tulp“ bekannt ist. Adrian Tulp, in der Familie „Oom Ari“ genannt war der letzte Spross dieser Familie und von Beruf Sohn. Meine Großtante unterstützte ihn auf weltweiten Reisen dabei das Vermögen zu dezimieren und, nachdem die Kasse leer war sich scheiden zu lassen. Damit war sie Erzfeindin meiner Großmutter geworden, aber dazu später, wenn ich das Leben meiner Großmutter behandele. Adrian Tulp war es der sich den Nazis zuwandte und nach Bielefeld zog und vermutlich auch meinen Großvater samt Familie in die Stadt am Teutoburger Wald holte.
Sicherlich fällt auf, dass ich die „Großtante“ betone, ich könnte sie auch als Tante Foek benennen, Namensgeberin war unsere Stammmutter mit dem Kaffeehaus in Heerenveen. Also Tante Foek und meine Mutter verstanden sie großartig und waren auch fast gleichaltrig. Meine Mutter sagte mal zu ihr: „Du bist ja schon Großtante.“, was sicherlich nicht als Vorwurf gemeint war. Die darauf hin lautstark konterte. „Und DU hast mich dazu gemacht!“ Da entpuppte sich meine Großtante als eine typische Gaastra, schuld an diesem Umstand war nicht ihr Neffe, sondern seine Ehefrau. Den Gaastras wird nachgesagt, sie müssten immer Recht haben, das stimmt aber nicht, die Gaastras müssen nicht immer Recht haben, sie haben immer Recht und sind dabei durchaus uneinsichtig. Ein Problem ist das nur, wenn zwei Gaastras aufeinander treffen. Das habe ich mit meinem Vater ausgiebig ausgekostet. Aber zurück zu Tulp. Alles was von dieser Familie übrig geblieben ist, außer einem berühmten Bild, sind einige silberne Besteckteile und drei kostbare Japanische Porzellanfiguren, die mir als zukünftiges Familienoberhaupt ausdrücklich übergeben wurden. Nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten oder hochgestellten Besuchern. kommen die Besteckteile zum Einsatz. Letzte Gelegenheit war eine von mir gegebene Kaffeetafel mit dem Niederländischen Botschafter und Kulturattaché nebst Ehefrauen anlässlich der Königskrönung.
Vor der Abreise nach Indonesien, 1921
Es ist nicht nachvollziehbar, was gegen eine Verbindung der jungen Leute sprach, außer ihrer Jugend. Es war kein großer Reichtum vorhanden, also nicht mit einer größeren Mitgift der Braut zu rechnen. Anders als bei meiner Urgroßmutter, die brachte ordnungsgemäß ihr Kostgeld für 50 Jahre mit. Aber was hatte der Bräutigam schon anzubieten? Sie entstammt einer Bauernfamilie ohne intellektuelle Ansprüche. In ihrem Elternhaus gab es nur ein Buch, und das war die Bibel. Und die wurde ausgiebig gelesen. Zum Leidwesen meines Vaters vor jeder Mahlzeit. Nach Berichten meines Vaters wurde langsam und genau vorgelesen, und immer ein ganzes Kapitel. Besonders im Alten Testament konnten die Kapitel sehr lang sein. Die Brüder gingen alle einem ordentlichen Beruf nach und die Schwestern waren gut verheiratet. Wenn meine Großmutter von ihren Schwiegereltern sprach, dann waren das immer „mijnheer und mevrou“, also Herr und Frau und das war nicht aus Achtung, sondern Verachtung. Meine Großmutter sagte mir einmal: „Wenn mein Vater Freitags zum Viehmarkt ging hatte der mehr Geld in der Tasche als mijnheer Gaastra im ganzen Monat verdiente.“ Und das war sicherlich zutreffend, galten die Friesischen Bauern allgemein als sehr wohlhabend. Wenn meine Großmutter mir gegenüber von meinen Urgroßeltern sprach, und nur mir gegenüber, von „oue oomoe und oue opa“, die niederländische Form von Ur-Opa und Ur-Oma.