Morgoth Uncursed. Christian Krumm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Krumm
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783944180625
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es einfach nicht geben!

       Kapitel 2

      „Isolated“

      Die Band in ihrer Urbesetzung hatte zunächst nicht viel mehr als den Wunsch, Musik zu machen. Sie waren eine Horde glühender Metalfans, die ihre Vorstellungen ohne geeigneten Ort und ohne geeignete Instrumente für geraume Zeit nur in ihren Köpfen wachsen lassen mussten. Der Einzug in den Proberaum bei ‚Westfleisch‘ im Jahr 1987 war so sicher der entscheidende Schritt in der frühen Phase von Morgoth. Marc, der gemeinhin als das Gedächtnis der Band gilt, erzählt:

      Marc: „Der Proberaum war viel mehr als nur ein Ort, um Musik zu machen. Wir haben ihn uns richtig häuslich eingerichtet und wenn wir nicht geprobt haben, saßen wir da und haben Monty-Python-Videos geschaut. Es war fast so eine Art WG und fiel passenderweise in die Zeit, in der man sich gewöhnlich vom Elternhaus abnabelt.“

      Nur wie man letztlich an dieses Schatzkästchen gekommen ist, darüber herrscht keine Einigkeit. Marcs Erinnerungen zufolge lief das so:

      Marc: „Franz Stahlmecke, der damalige Bürgermeister von Meschede, hat uns unseren ersten Proberaum besorgt. Er war ein typischer Sauerländer, der für jeden ein offenes Ohr hatte. Er kam auch mal zu meinen Eltern oder Großeltern, wenn sie Geburtstag hatten.“

      Rüdiger interveniert:

      Rüdiger: „Ach, das wäre schön, wenn der konservative Bürgermeister von Meschede uns den ersten Proberaum besorgt hätte. Aber es war vielmehr der Stadtrat Herr Wacker. Er hatte irgendeine kulturelle Position inne. Carsten hat ihn sehr lange belatschert, bis wir endlich den Raum bekommen haben. Wir haben Herrn Wacker sogar auf unserem zweiten Demo gedankt, das ja dann letztlich nie erschienen ist, weil es unsere erste EP wurde. Nebenan haben die Short Romans mit Dirk Draeger geprobt und wenn das nicht gewesen wäre, wären die Dinge wohl nie so passiert.“

      So muss man sich wohl eine Mischung beider Versionen vorstellen, wobei sicher ohne Carstens Hartnäckigkeit der Proberaum letztlich nicht an die Band gegangen wäre. Da war die Einrichtung und Renovierung die kleinere von beiden Herausforderungen, auch wenn das nicht ganz ohne Entbehrungen vonstatten ging.

      Harry: „Unsere erste Handlung bestand darin, die Wände und Decken des Proberaums mühevoll mit Eierkartons akustisch zu ‚optimieren‘. Zu deren Beschaffung hatten wir im Vorfeld Eltern, Großeltern und Verwandte zum Sammeln von Eierkartons verdonnert und so hat der Eierkonsum in dieser Zeit gesundheitlich höchst bedenkliche Ausmaße angenommen. Aber sobald wir wussten, die Band wird Morgoth heißen, wussten wir auch genau, wohin wir wollen und haben uns durch nichts beirren lassen.“

      Keine Band ohne Instrumente. Keine Instrumente ohne Geld. Bei allem Enthusiasmus sind Morgoth in den frühen Tagen gerade solche praktischen Probleme stets angegangen. Während viele andere Musiker sich langsam ihr Equipment ersparen, haben sie sich Ferienjobs genommen und so lange geackert, bis das Geld für einen kompletten Satz zusammen war. Und das ging im Sommer 1987 sehr schnell, wenn auch unter äußersten Entbehrungen. Daran können sie sich bis heute erinnern.

      Carsten: „Die Eltern anzupumpen hat nicht funktioniert, aber mein Vater hat mir einen Job verschafft, wo richtig Geld verdient wird. Ich habe in einer Fabrik LKW-Motorgehäuse durch die Gegend gehievt. Jeden Tag nach der Arbeit war ich total fertig und nur noch froh, bis morgens um sechs im Bett liegen zu können. Es war nicht schlecht bezahlt, aber da habe ich auch verstanden, dass ich mein Geld in Zukunft lieber mit dem Kopf verdienen will.“

      Marc: „Das war die Firma Honsel, in der habe ich auch mal gearbeitet. Insgesamt waren es immer Knochenjobs. Straßenbau, vier Wochen in den Sommerferien oder samstags, Steine schleppen, auch Straßenschilder an der Stanze abrunden. Man wusste immer, dass es hart wurde, aber hinterher konnte man sich eben die Gitarre auch kaufen.“

      Rüdiger: „Mein Ferienjob war der beschissenste. Der Typ meinte zu mir: ‚Sie haben es besonders gut, denn sie haben tausend Leute unter sich. Sie arbeiten auf dem Friedhof‘. Das habe ich dann gemacht und wochenlang Hecken geschnitten und bei irgendwelchen Umbettungen knietief im brakigen Leichenwasser gestanden.“

      Zu diesem Zeitpunkt wussten sie bereits, welches Equipment sie kaufen mussten, um den Sound zu haben, den sie sich vorstellten. Der Besuch bei Kreator im Proberaum hatte unter anderem darüber Aufschluss gegeben. Harry, der seinen Teil vom Azubigehalt abgespart hatte, erinnert sich an den erhebenden Moment noch gut, als die Instrumente endlich da waren.

      Harry: „Wir wussten bei dem Equipment schon genau, was wir wollten. Für den Sound, den wir uns vorstellten, gab es damals auch wenig Alternativen. So haben wir uns unser Gespartes geschnappt und dann im Laden tatsächlich einige 1000 Mark auf den Tisch gelegt. Wir konnten zwar noch nicht richtig spielen, fanden uns aber wahnsinnig cool.“

      Bei dem letzten Satz muss er lachen. Man möchte sagen, dass er der ruhigste der vier Morgoth-Urgesteine ist, weil er gemeinhin immer ein wenig länger über seine Antworten nachdenkt als Rüdiger oder Marc. Am deutlichsten merkt man ihm jedoch an, dass die Band seine absolute Wohlfühlzone ist, in der er für das geschätzt wird, was er am liebsten ist: ein akribischer Musiker.

      Im Kauf des Equipments sehen alle den ultimativen Startschuss für die Band und Carsten versteht es in seiner Eigenart als praktisch veranlagter Visionär wie üblich, die Dinge auf einen einfach Nenner zur bringen:

      Carsten: „Wir hatten das ganze Equipment gekauft, also mussten wir dann auch loslegen. Sonst hätten wir es ja nicht kaufen müssen.“

      Im Rathaus in Meschede regiert seit den frühen 50er Jahren durchgängig die CDU. Franz Stahlmecke ist im Jahr 1987 bereits seit zwölf Jahren Bürgermeister und wird es bis zu seinem Tod, zehn Jahre später, auch weiterhin bleiben. Die Bürger der Stadt engagieren sich in Schützen- und Sportvereinen und in entsprechenden jährlichen Festen. Franz Stahlmecke, der selbst aus dem kleinen Nachbarort Wennemen stammt, hält guten Kontakt zu den Einwohnern, beehrt sie regelmäßig zu Geburtstagen und auf Festen. Er ist allenthalben recht beliebt, kommt sogar aus demselben Dorf wie Harry und kennt seine Großeltern.

      Natürlich ist der ‚ewige‘ Franz als CDU-Mann keine Identifikationsfigur für Carsten, Rüdiger, Marc und Harry. Im schwarzen Sauerland reagieren die meisten Menschen nicht enthusiastisch, wenn ein langhaariger Teenager von seinen Ambitionen als Metalmusiker erzählt. So muss er irgendwann raus, der Frust, der sich anstaut; verursacht durch ewiges Hin- und Herwandeln in dem Freilichtgehege, das sich Heimat nennt. Mit der langen Mähne zu provozieren, das funktioniert im Sauerland leicht. Da wechselt das gesittete Bürgertum gerne schon einmal die Straßenseite. Amüsant. Weniger lustig ist es da schon, auf dem Schützenfest von besoffenen Jungschützen angemacht zu werden, man solle zum Friseur gehen. Ganz zu schweigen von den Abenden in der Disko, bei denen man mit dem Musikwunsch ‚Fast As A Shark‘ von Accept mit dem immer gleichen und nie eingehaltenen „Jaja, gleich“ hingehalten wird.

      Eines der wenigen Rückzugsgebiete ist der Werkraum in der Schule, den sie weiterhin zu nutzen, um ihre Instrumente zu zersägen. Ein richtiger Proberaum ist in Meschede ein Ding der Unmöglichkeit. Jeder weiß das. Doch kommt man im Werkraum auf die Dauer nicht richtig in Stimmung, wenn nach drei Stunden die ersten Mitglieder des christlichen Schulchores vor der Türe stehen, die sie streng begutachten. Da könnte selbst Satan persönlich nicht im Stehen pinkeln.

      So fristen die vier von „Minas Morgul“ von solcherlei Aktivitäten inspiriert ihren kleinstädtischen Alltag. Natürlich wird das Schulequipment, Federmäppchen, Rücksacke, reichlich mit den Namen und Zeichen ihrer Ikonen verziert. Metal in der Schule, Metal im sonstigen Leben. Wenn der Werkraum gerade nicht frei ist, gehen sie häufiger zum Karstadtplatz, wo sich zum Ärgernis der örtlichen Bürger und Behörden die Mescheder Punkszene breit gemacht hat. Klar, das Ding ist gerade neu, was haben die Penner da zu suchen? Mit dem Dutzend Punks und den vier Metallern fusionieren an diesem Ort gewissermaßen beide komplette Szenen. Man kennt sich aus der Schule. Und oft wird nur ein Thema diskutiert: