Morgoth Uncursed. Christian Krumm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Krumm
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783944180625
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zuteil: „Pits of Utumno“ – die Gruben von Utumno – die Festungsstadt Melkors, wo er unzählige Monster züchtete und sie auf die Völker der Arda losließ, und der finsterste Ort in der gesamten Tolkin-Saga. Ja, genau so sollte die Musik klingen!

      Kurz darauf, als es sich alle mit Bier versorgt auf der Blümchencouch bequem gemacht haben und ‚From Dusk To Dawn‘ durch den Proberaum schallt, kommt Carsten herein und wedelt mit einem handgeschriebenen Zettel.

      „Okay, ich habe die Liste der Firmen. Sind alle, die ich auftreiben konnte. Hab auch die Adressen. Da schickten wir das Teil hin!“

      „Ja, würde mich wundern, wenn da keine Antwort drauf käme.“

      „Leute, macht Euch mal keine Illusionen. Die meisten hören sich solche Tapes gar nicht erst an. Aber bei denen hier könnte es klappen.“

      Carsten hält den Zettel hin und tippt auf die Stelle, auf der er ‚Noise‘ notiert hat.

      ‚Das ist das Label von Kreator. Die machen fast nur Metal. Deshalb werden wir da auch persönlich antanzen und ihnen das Tape in die Hand drücken.‘

      „Die sind in Berlin! Da brauchen wir ein Transitvisum und eine Karre haben wir auch nicht.“

      „Ja und?“

      Einfach machen. Carsten organisiert alles und wenige Tage später rollt ein alter Mercedes über die Transitstrecke durch die DDR in Richtung Berlin, an Bord ein Pulk langhaarige Teenager, die den Argwohn der Beamten prompt auf sich ziehen. Am Checkpoint Alpha des Grenzübergangs Helmstedt-Marienborn geht noch alles glatt. Dann führt eine von dicken Betonmauern gesicherte Straße zur GÜSt, der Grenzübergangsstelle. Alle müssen ihre Reisepässe abgeben, dann lassen die Beamten sie aussteigen und filzen das Auto. Mit Argusaugen und Taschenlampen suchen sie nach Schmuggelware oder was sonst noch den Siegeszug des Sozialismus aufhalten könnte. Endlich bekommt jeder einen Transitvisumsstempel in seinen Reisepass und die Fahrt kann weitergehen. Pausen sind nur im Notfall gestattet, Umwege gar nicht. Der Stempel mit der Einreisezeit zeigt außerdem, ob man sich auch angemessen beeilt und diese Gastfreundschaft nicht über Gebühr genossen hat. Nach ungefähr 200 Kilometern haben sie es hinter sich: West-Berlin. Nun geht es zu Noise, das Demo abgeben.

      „So, wie ist nochmal die Adresse? Wer hat sie aufgeschrieben?“

      „Ich nicht.“

      „Ich auch nicht.“

      „Nö, ich dachte Du.“

      „Das gibt’s doch nicht! Hat keiner die Adresse aufgeschrieben?“

      „Nein, aber das war Kurfürsten irgendwas 100.“

      „Ja, Kurfürstendamm wahrscheinlich. Also fahren wir dahin. So‘n Sitz von ner Plattenfirma wird man ja nicht übersehen können!“

      So tuckert das 56 PS starke Mobil über die einstige Prachtmeile West-Berlins, die sich seit Jahren in stetigem Verfall befindet. Am Lehniner Platz gibt es eine Hausnummer 100, aber keine Spur von einer Plattenfirma. Also wenden an der Gedächtniskirche und zurückfahren, am Kaufhaus des Westens vorbei, nichts. Schließlich steigen sie aus und machen sich zu Fuß auf die Suche. Während die anderen spekulieren, wo sich die Firma dieses gewissen Karl Walterbach befinden könnte, erspäht Marc einen Rumänen, der die Passanten mit einem Hütchenspiel unterhält.

      „Ey, guckt mal! Habt ihr den Typen mit der Kugel gesehen? Du musst nur raten, unter welchen Hütchen sie ist, dann verdoppelt er den Einsatz! Ist total einfach!“

      „Marc, lass doch den Scheiß, wir müssen diese Firma finden.“

      „Ach was, ich hab 100 Mark dabei für Platten. Wenn ich 200 habe, dann können wir wenigstens so richtig einen draufmachen!“

      Es ist einer dieser jugendlichen Momente, an die man sich sein Leben lang erinnert. Wie in einer fremden Stadt in ein Striplokal zu gehen und zu erfahren, dass die kleine Flasche Picollo, die man gerade der leicht bekleideten Frau ausgeben hat, weil sie meinte, man sei süß, 100 Mark kostet. Oder dass auf dem Ziffernblatt der goldenen Uhr, die man gerade auf einem Basar für sagenhafte 100 Mark erstanden hat, ‚Rollex‘ statt ‚Rolex‘ steht. Oder dass die Typen, die um den Hütchenspieler herumstehen und ständig gewinnen, die Brüder des Spielleiters sind und sich unter dem Hütchen, an das man seine 100 Mark gelegt hat, eben nicht die Kugel befindet. Dumm, naiv, gutgläubig; ebenso, wie zu glauben, dass man einfach so nach West-Berlin fahren und sein Demo bei der Plattenfirma abgeben kann, abends in der Herberge ankommen und zwei weitere Tage in Berlin verweilen – ohne Geld – und zuletzt schließlich die Heimfahrt, das ganze Transitprozedere noch einmal, nur dieses Mal unter veränderten Vorzeichen. Zuhause angekommen, niedergeschlagen, denn man sieht jetzt, dass die Adresse die Kurfürstenstraße 100 war, nicht der Kurfürstendamm und natürlich ist der Briefkasten leer, keine Antwort von einer Plattenfirma. Der ungezügelte Ehrgeiz erhält zum ersten Mal einen richtigen Dämpfer. Es geht halt nicht von selbst.

      Bei Morgoth ist der Ehrgeiz trotz des Berlin-Desasters ungebrochen. Die Antworten der anderen Plattenfirmen bleiben zwar weiterhin aus, aber tatsächlich melden sich erste Fanzines, die Interviews machen wollen und Kontakte nach Südamerika entstehen, wohin ‚Pits Of Utumno‘ ebenfalls verschickt wird. Sogar Autogrammkarten wollen einige. Zum Glück gibt es seit Anfang 1987 in Dortmund einen neuen Szenetreffpunkt. ‚Sir‘ Hannes Schmidt, Sänger von den Idiots, hat seinen eigenen Plattenladen inklusive Vertrieb gegründet. Der Name ist natürlich: IdiotsRecords. Seitdem trifft sich alles, was in der Stadt irgendwie ein Instrument in der Hand hält, auch regelmäßig dort, insbesondere die Bands, die im Proberaumkomplex des Ceag-Gebäudes proben. Das sind neben den Idiots selbst auch Metalbands wie Angel Dust, Liar, Risk oder Crows. Auch der Herausgeber des örtlichen Fanzines Rock Hard, Holger Stratmann, verkehrt dort regelmäßig. So schnappen sie sich die ‚Pits Of Utumno‘-Tapes und fahren nach Dortmund. Dort, in diesem Plattenladen, soll zumindest schon einmal das erste Demo ausliegen.

      Im Laden herrscht wie üblich jene ehrfürchtige Stimmung, die einem mit Vinylfutter gespickten Heiligtum entspricht. Einmal mehr bestaunen die Jungs diese bis zur Decke gefüllte Schatzkammer. Nur Carsten nicht. Der geht schnurstracks zur Theke, hält ‚Sir‘ Hannes das Tape unter die Nase und fragt, ob er ‚Pits Of Utumno‘ in Kommission nehmen würde. Er schmeißt daraufhin das Teil sofort in die Anlage und die ersten Töne von ‚From Dusk To Dawn‘ schallen durch den Raum. Gutes Gefühl. Nach zwei Minuten geht Hannes zu einem Plattenregal und zieht unter dem Buchstaben ‚D‘ eine Platte hervor.

      „Hier, hört Euch das mal an.“

      „Despair? Nie gehört. Warum?“

      „Der Sänger von denen hat gerade ein Label gegründet. Die sind im Moment mit Death auf Tour, kommen demnächst auch ins Tor 3 nach Düsseldorf.“

      „Klar, nehme ich, höre ich mal rein.“

      Das Album, das Marc sich an diesem Tag kauft, heißt ‚History Of Hate‘ und ist das Debüt der Dortmunder Band Despair. Was ihm wenig später um die Ohren fliegt, ist die erste kreative Explosion des Gitarristen und Songschreibers Waldemar Sorychta, der später noch reichlich Furore mit seiner Band Grip Inc. und besonders seinen Produktionen machen sollte. Progressiv veredelter Thrash-Metal könnte eine Bezeichnung dafür sein, nicht so hart wie Morgoth, aber inspirierend und voller kompositorischer Finessen technisch extrem versierter Musiker wie Sorychta, Gitarrist Marek Grzeszek oder Schlagzeuger Markus Freiwald. Aufgenommen im Berliner Music Lab von einem der Metal-Produzenten der Zeit, Harris Johns, der schon für Helloween, Sodom, Kreator, Voivod und weiß Gott noch welche Bands hinter den Reglern gesessen hat und der sogar mit Death auf Europa-Tour war. Und dann auch noch ein eigenes Label. Despair haben alles, was ambitionierten jugendlichen Musikern einen Riesenklos in den Hals treiben kann.

      Aber immerhin ist ein kleines Label eine Möglichkeit. Man hört ja über die etablierten Plattenfirmen so einiges. Die wollen alles bestimmen, die Musik, das Artwork, selbst das Outfit der Musiker und zu allem Überfluss streichen sie das meiste Geld ein