X-World. Jörg Arndt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Arndt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783865068736
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Schutzmaßnahme, denn der Rechner verfügte über die beste Absicherung, die es gab: Er hatte keine Verbindung zum Internet. Dennoch sprach alles dafür, dass jemand in das System eingedrungen war. Yannick musste etwas damit zu tun haben, wahrscheinlich irgendein verzweifelter Versuch, Betty zu retten. Er hätte es voraussehen müssen.

      Er blickte auf den Körper des jungen Mannes, der da mit Cyberhelm, Gamaschen und Handschuhen auf dem Sessel lag und sich rhythmisch bewegte, als tanze er zu einer Musik, die außer ihm niemand hören konnte. Ron widerstand dem Impuls, ihm den Helm vom Kopf zu reißen und ihn zur Rede zu stellen. Wenn tatsächlich jemand die Kontrolle über das System übernommen hatte, wie er befürchtete, dann war Yannick sein letzter Fuß in der Tür. Sobald er sich ausloggte, kam möglicherweise niemand mehr hinein. Ron überlegte. Schließlich fiel sein Blick auf den „Cyberstar 2“, der in einer Ecke seines Arbeitszimmers lag.

      Ja, das könnte funktionieren. Er würde versuchen, online zu gehen und Yannick zur Rede zu stellen. Ron hatte seinen Avatar noch nicht konvertiert und würde in der neuen Schöpfung nur als eine Art Lichtgestalt erscheinen, aber das war ihm jetzt egal. Er musste wissen, was vorgefallen war.

      In X-World war der Abend angebrochen, und eine angenehme Kühle lag über dem Garten. Betty und Yannick saßen Händchen haltend auf einem Baumstamm. Sie schwiegen bedrückt. Keiner von ihnen wusste, wie es jetzt weitergehen sollte. Yannick nahm als Erster die Bewegung hinter den Büschen wahr.

      „Schnell“, flüsterte er dem Mädchen zu, „versteck‘ dich!“

      Doch es war zu spät. Leuchtend und groß stand Ron Schäfer vor ihnen. „Was hast du getan?“, herrschte er Yannick mit Donnerstimme an. „Wieso warst du an dem Baum, den ich dir verboten hatte?“

      Yannick begann zu stammeln. „Sie hat als Erste gegessen!“, sagte er hastig. Dann fing er sich. Sein Rücken wurde gerade. „Du hast sie doch programmiert, du musst doch wissen, warum sie so etwas tut“, fügte er patzig hinzu. Ein eisiger Blick von Ron brachte ihn zum Schweigen.

      „Nun?“, fragte er Betty.

      Sie lag zusammengesunken und ängstlich vor seinen Füßen. Ihr Atem ging stoßweise. Ihre Stimme klang verweint. „Da war eine Schlange …“, sagte sie zaghaft.

      „In meinem Garten gibt es keine Schlangen!“, brüllte Ron. „Ich hasse Schlangen!“

      Plötzlich dämmerte ihm etwas. Wieder wandte er sich an Yannick.

      „Sag mir die Wahrheit. Woher kennst du Lutz?“

      Der Angesprochene fuhr so sehr zusammen, dass jedes Leugnen zwecklos war.

      „Aus der Kneipe …“, stotterte er, „der Wettbewerb … aber wieso … woher weißt du …“

      „Ich habe mal mit ihm zusammengearbeitet“, sagte Ron, „die Schlange ist sein Markenzeichen. ‚Andere programmieren bloß Würmer – ich bin die Schlange‘, pflegte er zu sagen. Er ist der durchtriebenste Hacker, den ich kenne. Und außerdem ist er ein überaus nachtragender Mensch, der seit Jahren auf Rache gegen mich sinnt. Also raus mit der Sprache, was hast du getan?“

      Yannick schluchzte. „Ich wollte Betty doch nicht verlieren!“, jammerte er, „und Lutz hat gesagt, er könne mir helfen. Mit diesem – komischen USB-Stick.“

      Ron zuckte zusammen. Natürlich, es war so einfach. Ein modifizierter Mobilfunk-Stick! Dass er nicht schon früher darauf gekommen war! Er musste das System sofort abschalten, jetzt hatte er keine Wahl mehr.

      „Gut“, sagte er, „das war’s. Yannick, du bist gefeuert. Lass dich nie wieder bei mir blicken. Betty, deine Existenz ist hier zu Ende. Und du, Lutz, du alte Schlange“, brüllte er plötzlich los, „wenn ich dich in die Finger kriege, dann breche ich dir jeden Knochen einzeln. Auf dem Bauch sollst du kriechen und um Entschuldigung winseln, du mieser Misthund!“

      Zur Feier des Tages genehmigte sich Lutz ein Glas seines besten Whiskys. Behaglich ließ er sich den aromatischen Duft in die Nase steigen, prostete in Gedanken seinem Erzfeind zu und trank einen Schluck voller Andacht. Es hätte kaum besser laufen können. Er hatte nicht nur Zugriff auf das Spiel bekommen, sondern den gesamten Server geplündert und die Spieledateien komplett heruntergeladen. Er grinste gehässig. Ron war so ein Idiot. Er hatte den Mobilfunkstick viel zu spät entdeckt. Egal, welche Verträge er nun mit diesen Koreanern aushandelte, das Spiel würde es in Kürze für jedermann zugänglich im Internet geben. Das sollte dem Verkauf doch wohl etwas den Schwung nehmen. Tja Ron, war wohl nichts mit deinem Comeback!

      Lutz genoss den Triumph. Auf diese Gelegenheit hatte er lange gewartet. Und das war erst der Anfang. Er stellte das Glas beiseite, wandte sich wieder seinem Laptop zu und startete den Passwort-Cracker.

      ****

      Yannick irrte durch die Straßen. Es hatte geregnet, überall standen Pfützen mit schmutzig braunem Wasser, doch er achtete nicht darauf. Sein Leben lag in Trümmern. In den vergangenen Wochen war so viel geschehen, dass er innerlich gar nicht mehr hinterherkam: Erst sein glanzvoller Sieg bei den eGames, dann der Job bei einer Legende der Softwarebranche, die Arbeit mit Computerperipherie der Zukunft – und schließlich sie. Betty. Ein Traum von einem Mädchen. Warum begegnet einem so eine nie im realen Leben?

      Und nun war alles vorbei. Die langen vertrauten Gespräche mit ihr, die Entwicklung der Spielwelt, die Fachsimpeleien mit Ron, die Träume von einem festen Job in einem Bereich, der hundertprozentig zu ihm passte. Diese Tankstellengeschichte hielt ihn zwar über Wasser, aber damit wollte er sein Leben nun wirklich nicht verbringen.

      Er sah auf die Uhr. In einer Stunde begann sein Dienst. Ausgerechnet jetzt. Aber vielleicht war es auch ganz gut so. Das würde ihn von dummen Gedanken abhalten. Fürs Erste.

      ****

      Als das Telefon klingelte, brauchte Ron eine ganze Weile, um sich zu orientieren. Er hatte Kopfschmerzen. Vorsichtig öffnete er die Augen und stöhnte, als er die leeren Flaschen in seiner Wohnung herumliegen sah. Er versuchte, den Anruf zu ignorieren, aber das Telefon klingelte ungerührt weiter. Schließlich gab er auf, hob den Hörer ans Ohr und meldete sich so freundlich er konnte: „Hmpf?“

      „Guten Morgen, Herr Schäfer, ich habe Sie doch nicht etwa geweckt? Es ist zehn Uhr morgens!“

      Ron erkannte die Stimme von Gerhardt Fleischmann. Der hatte ihm gerade noch gefehlt! Vorsichtig, um den enormen Kopfschmerz nicht noch weiter zu verschlimmern, setzte er sich in seinem Bett auf.

      „Ich habe fast die ganze Nacht am Computer verbracht“, sagte er. Das war nicht mal gelogen. Nach der gestrigen Katastrophe hatte er sich auf der Suche nach Ablenkung bis in die frühen Morgenstunden im Internet herumgetrieben.

      „Das freut mich zu hören. Ich hoffe, das Projekt geht gut voran? Haben Sie einen Assistenten gefunden?“

      „Ja, habe ich. Aber leider musste ich ihn wieder entlassen. Er hat mich hintergangen.“

      „Oh, das tut mir leid“, sagte Dr. Fleischmann, und in seiner Stimme schwang aufrichtiges Bedauern mit. „Die Situationen, in denen ich mich mit Vertrauensbruch seitens meiner Mitarbeiter konfrontiert sah, gehören zu den schwärzesten Erinnerungen meines Lebens.“

      Er machte eine kurze Pause.

      „Aber vielleicht tröstet es Sie ein wenig, wenn ich Ihnen erzähle, dass die Firmengründung nun erfolgreich abgeschlossen ist und ich Ihnen ein Team von zwanzig fähigen Spieleprogrammierern anbieten kann.“

      Ron staunte. Der Alte war wirklich ein Mann der Tat. Einen Moment lang überlegte er, ob er ihn in die gestrigen Vorkommnisse einweihen sollte, aber dann besann er sich eines Besseren. Erstmal einen klaren Kopf bekommen.

      „Ich erwarte Sie morgen früh in Frankfurt“, fuhr Dr. Fleischmann fort. „Bringen Sie Ihre bisherigen Ergebnisse mit, und bereiten Sie sich darauf vor, das Team einzuweisen. Inwieweit Ihre Anwesenheit vor Ort dann erforderlich ist, müssen wir sehen. Ich