„Soweit ich sehe, haben wir für heute einen guten Punkt erreicht. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Einsatz. Zur Feier des Tages wartet beim Chinesen um die Ecke ein Tisch auf uns. Das Essen zahlt die Firma – aber denken Sie nicht, dass das jeden Abend so sein wird!“
Freundliches Gemurmel und Gelächter quittierten die Ansage. Gerhardt Fleischmann wandte sich an Ron, der ihn verwundert ansah: „Ich weiß schon, normalerweise finden die Betriebsfeste erst am Ende der Saison statt, aber ich garantiere Ihnen, diese Investition zahlt sich aus. Je schneller wir ein Team werden, desto besser und effektiver arbeiten wir zusammen. Sie werden sehen.“
Ron war beeindruckt. Der Firmengründer war wirklich ein Profi auf seinem Gebiet.
„Ach übrigens: Wir haben in dem Lokal einen Raum für uns allein. Eine gute Gelegenheit für eine erste Rede ans Volk, finden Sie nicht?“
Ron wollte es hinter sich bringen. Er wartete noch ab, bis die mandeläugige Kellnerin jedem ein Getränk gebracht hatte, dann erhob er sich und klopfte an sein Glas. Sofort wich das allgemeine Stimmengewirr einer gespannten Erwartung.
„Die Welt, in der wir leben, ist ein zwiespältiger Ort“, begann Ron. „Einerseits haben wir eine wunderschöne Natur, jedenfalls dort, wo sie noch intakt ist. Es gibt eine faszinierende Pflanzenwelt, Tiere von den kleinen Ameisen bis zu den riesigen Braunbären, wunderbare Sonnenuntergänge, den Mond und die Sterne.“
Er spürte, wie ihm ein Schweißtropfen die Wirbelsäule entlanglief.
Was rede ich da für einen Stuss, dachte er, ich hätte mir das vorher aufschreiben sollen. Er blickte in die Gesichter seiner Mitarbeiter, aber er sah keine Spur von Spott darin, einige nickten leicht, einige sahen überrascht aus, aber alle wirkten interessiert.
„Und dann wir Menschen. Auf der einen Seite gibt es so wunderbare Dinge wie Liebe und Zärtlichkeit, Freundschaft und Vertrauen in unserem Leben, andererseits erleben wir Hass und Eifersucht, Kriminalität und eine unaufhaltsame Zerstörung dieser wunderbaren Welt.
Wie wäre es, wenn man noch einmal neu anfangen könnte, wenn die Menschen, die sich zu Tausenden in den Asphaltwüsten unserer Städte drängen und einander nur mit Misstrauen begegnen, plötzlich in eine paradiesische Welt versetzt würden? Ein einfaches Leben, umgeben von intakter Natur, ein freundliches Miteinander, das wäre doch Balsam für die vielen Gestressten in unserer Zeit. Und wahrscheinlich würde es ihr Leben verändern, solche Erfahrungen zu machen. Davon träume ich. X-World ist mehr als ein Spiel, es ist eine Philosophie, ein Lebensstil, eine … eine andere Welt eben.“
Ron trank einen Schluck, dann fuhr er fort:
„Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich glaube, dass der Mensch von seiner Natur her gut ist, aber dass die Umstände, in denen viele gezwungen werden zu leben, dieses Gute unterdrücken. Ändern wir die Umstände, so ändern wir die Menschen.
Das klingt einfach, aber die Geschichte hat gezeigt, dass es alles andere als einfach ist, die Umstände zu verändern. Doch nun haben wir ein ganz neues Werkzeug in der Hand. Wir sind jetzt in der Lage, eine virtuelle Realität zu schaffen, deren Eindruck so intensiv ist, dass die Unterscheidung zwischen Realität und virtueller Welt schwerfällt – ja, auch nicht mehr sinnvoll ist. Wenn ich in X-World online gehe und dort eine Freundschaft mit einem anderen Menschen pflege, wenn wir gemeinsam schöne Dinge erleben und vertrauliche Gespräche führen, dann ist das mehr als Virtualität, dann ist das ein Teil meines Lebens und wird mich nachhaltig positiv beeinflussen.
Wir sind diejenigen, die die Umgebung für diese neuen Erfahrungen erschaffen – und deswegen ist es unsere Aufgabe, dies so detailgetreu und liebevoll wie möglich zu tun. Pfusch würde der Idee entgegenstehen. Was wir brauchen, ist Exzellenz. Eine Welt, die schon durch ihre Harmonie und Perfektion das Gute im Menschen anregt.
Unsere Herausforderung besteht darin, dies im gegebenen Zeitrahmen zu schaffen. Und das funktioniert nur, wenn wir uns im Team blind aufeinander verlassen können. Eine Gruppe, in der Misstrauen und Streit herrschen, kann keine Welt der Harmonie hervorbringen. Wenn die Entwickler sich von Neid und Konkurrenzdenken beherrschen lassen, dürfen sie nicht erwarten, dass ihr Produkt die Menschen zum Frieden inspiriert. Es liegt eine große Aufgabe vor uns. Ich freue mich darauf, sie gemeinsam mit Euch anzupacken. Danke für Eure Aufmerksamkeit.“
Ron setzte sich und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Er schwitzte und fühlte sich wie nach einem Tausendmeterlauf. Besser konnte er nicht zum Ausdruck bringen, was ihn bewegte. Vorsichtig sah er in die Runde. Seine Mitarbeiter schwiegen nachdenklich.
Die Sekunden dehnten sich, die Zeit fühlte sich wie Sirup an, und Ron wusste nicht, was er tun sollte. Hatte er die Techniker mit seinen philosophischen Ideen überfordert? War es nicht vermessen, was er da gesagt hatte? Herrgott nochmal, sie sollten ein Computerspiel programmieren, und er machte ein Programm zur Weltverbesserung daraus.
Ein donnerndes Geräusch riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. Zwanzig Männer und Frauen klopften mit den Knöcheln auf die Tischplatte. Ihre Gesichter strahlten, zeigten Zuversicht und Bereitschaft. Die Arbeit konnte beginnen.
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