Miss Beswick klopfte sich auf den Oberschenkel, lachte und beugte sich waghalsig zu Mr. Harper hinunter. »Wir ersuchen Sie inständig …«
»Wann hast du denn wohl das letzte Mal die Worte ›ersuchen‹ und ›inständig‹ aus diesem meinem Munde gehört?« Mark verschränkte die Arme und lächelte milde.
»Noch nie, aber für einen guten Witz würdest du ganz sicher ein Wort wie ›ersuchen‹ aus der Schublade ziehen.« Miss Beswick hüpfte von ihrem Stuhl herunter, der daraufhin nach hinten weg- und gegen die Wand schnellte. Tanner sprang auf und wollte nach ihr greifen. Aber sie landete sicher und schaute Mr. Harper an.
»Okay, ja. Aber das hier, das war ich nicht.«
»Wenn du nicht dahintersteckst, wer dann?«
»Miss Beswick«, Tanner schnappte sich den Brief in einer schnellen Bewegung, die seinen Rugbyreflexen geschuldet war, »vielleicht können wir morgen über das Ganze sprechen. Wenn Sie sich etwas frischgemacht haben und ich Ihre ganze Aufmerksamkeit habe.«
»Warten Sie, warten Sie …«
Eine hübsche Brünette schaute durch die Tür. »Mark, Reg, fahren wir jetzt ins Kino oder was?«
»Ich rufe Sie morgen an, Miss Beswick.« Tanner flüchtete aus dem Büro und ging auf das Scheunentor zu. Er würde das nicht als Versagen betrachten. Er wollte es als Start auf dem falschen Fuß betrachten.
Morgen war ein neuer Tag.
Er spürte ein vorsichtiges Zupfen an seinem Ärmel. »Warten Sie, Mr. Burkhardt. Kommen Sie zurück.«
Er bedachte Miss Beswick mit einem kritischen Blick. »Nur, wenn es Ihnen ernst ist. Ich werde meine Zeit nicht mit Jux und Tollereien verbringen. Ich habe einen Auftrag für Seine Majestät zu erledigen, und genau das werde ich auch tun.«
»Seine Majestät?«, unterbrach ihn Mr. Harper.
»Lass gut sein«, sagte sie und schob ihn auf die überbreite Tür zu. »Viel Spaß im Kino.«
»Reg, wirst du zurechtkommen?«, fragte das Mädel, das ins Kino gehen wollte. Sie sah Tanner mit gerunzelter Stirn an. »Wie müssen nicht ins Kino gehen. Für Rafe ist es voll in Ordnung, wenn wir hier auf dich warten.«
»Ich kann ihnen versichern, dass Miss Beswick in den allerbesten Händen ist.«
»Miss Beswick?«, grinste Mr. Harper. »In den besten Händen?”
»Pssst, Mark. Geht schon. Carrie, mir geht’s gut.« Miss Beswick umarmte die Frau. »Ich ruf dich morgen an.«
»Denk an das Abendessen morgen«, rief Mr. Harper. »Gegen acht.«
Im Büro blieb Tanner weiter stehen. »Lassen Sie uns einfach auf den Punkt kommen.«
»Ja, bitte.« Sie verschränkte wartend die Arme. »Um was geht es denn eigentlich?«
»Ihre Urgroßmutter Alice wurde am 10. Dezember 1897 als Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Alice Stephanie Regina geboren, Erbin des königlichen Throns des Hauses Augustin-Sachsen.«
»Bis auf ihren Geburtstag höre ich das alles gerade zum ersten Mal.«
»Ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter, war Prinz Franz, der Großherzog von Hessenberg. Er blieb kinderlos und erklärte seine älteste Nichte zu seiner Erbin.«
»Uroma? Eine Prinzessin? Eine Thronerbin?« Sie kniff ihre Augen zusammen. »Und wie kommt es dann, dass sie nie auch nur eine Silbe …« Unter dem Motoröl wurde sie ganz blass, schlug sich die Hand vor die Stirn und fing wieder an herumzutigern. »Nein, nein, nein …«
»Was ist los?«
»Wir haben früher oft Prinzessin gespielt. Als ich klein war. Aber sie hat nie, niemals etwas darüber gesagt, dass sie eine echte Prinzessin war. Haben Sie sie je getroffen? Nein, wohl eher nicht. Uroma war die liebste, bodenständigste Frau, die man sich vorstellen kann. Sie hat in der Kirche mitgearbeitet und war in jedem Ausschuss, den die Menschheit je gesehen hat. Sie besuchte die Alten und Gebrechlichen. Sie trug dasselbe Paar Schuhe, bis es komplett durchgelatscht war. Fuhr dasselbe Auto 15 Jahre lang und beklagte sich dann, als sie es gegen ein neues eintauschen sollte. Ihr letztes Auto fuhr sie, bis sie 92 war.« Miss Beswick blieb vor ihm stehen. »Das ist verrückt. Uroma? Eine Prinzessin?«
Ihre Worte waren Musik in seinen Ohren. »Miss Beswick, die Frau, die sie gerade beschrieben haben, klingt ganz nach der Prinzessin, zu der sie erzogen worden sein muss. Ganz und gar.«
»Sogar das mit den Schuhen? Und dass sie sich selbst überall hinchauffiert hat?«
Tanner lachte. »Das vielleicht nicht. Aber der ganze Rest.« Er stellte seinen Diplomatenkoffer auf den Schreibtisch. »Sollen wir noch einmal von vorne anfangen?«
Miss Beswick setzte sich langsam. »Bitte. Von vorne.« Sie zog ein Gesicht. »Sie war also wirklich eine echte Prinzessin?«
»Ja.« Tanner überreichte ihr die königliche Akte. »Genau wie Sie, Miss Beswick. Erbprinzessin und Großherzogin von Hessenberg.«
SECHS
Am Küchentisch las Daddy das offizielle Dokument, das König Nathaniel II. unterzeichnet hatte. Er war zu leise. Zu ruhig.
»Daddy?«
»Hmmm«, grunzte er. »Ich lese.«
»Du hast die letzten zehn Minuten nur gelesen.«
Reggie schaute ihre Stiefmutter an, die mit ernster Miene neben Daddy saß. Über ihrer Schulter sah sie den Fernseher in der Ecke der Wohnküche, auf dem eine Polizeiserie im Standbild eingefroren war, mitten in einer Actionszene.
Den Kopf noch voll mit den aufwühlenden Neuigkeiten hatte Reggie die Werkstatt mit Mr. Burkhardt verlassen und war geradewegs zu Daddy und Sadie nach Hause gefahren. Das Einzige, wonach sie sich mehr sehnte als nach einer Dusche, um sich das Motoröl aus dem Gesicht zu waschen, war die Wahrheit.
Sie hatte Überraschung oder Schock erwartet, als sie Daddy und Sadie mit Mr. Burkhardt im Schlepptau in ihrem gemütlichen Freitagabendprogramm überrumpelte und verkündete, dass Uroma eine Prinzessin gewesen war.
»Was Mama, Gott sei ihrer Seele gnädig, auch zu einer Prinzessin machte. Und nun mich.«
»Daddy«, Reggie tippte vor ihm mit den Fingern auf den Tisch, »wusstest du davon?«
Sadie schlug die Handfläche auf die Tischplatte und schob ihren Stuhl zurück. »Mir ist nach Backen zumute.« Sie sprang vom Tisch auf. »Wer möchte gern Kekse mit Schokostückchen?« Sie buk immer, wenn sich das Leben als schwierig erwies.
»Backen?« Reggie sah zuerst Daddy, dann Sadie streng an. »Daddy, was genau erzählst du mir gerade nicht?«
»Ich fahr dann mal eben zum Laden.« Sadie schnappte sich ihre Handtasche von dem kleinen Küchenschreibtisch. Jawohl, tagsüber mochte sie die Filialleiterin ihrer Bank sein, nachts jedoch war sie eine Stressbewältigungsbäckerin.
»Sadie«, sagte Daddy, und der Klang seiner Stimme ließ sie anhalten. »Ich brauche hier deine Hilfe.«
»Hilfe?« Reggie schaute zwischen ihrem Vater und Sadie hin und her. Am Tischende saß Mr. Burkhardt und sah und hörte aufmerksam zu. »Welche Hilfe?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass das passieren würde, Noble.«
»Wir konnten das nicht sicher wissen.« Daddy legte den Brief des Königs auf den Tisch und sah Sadie an. »Aber als ich es ihr erzählen wollte, hast du dich mit mir angelegt, Sadie. Du sagtest, es würde ihr zu Kopf steigen, und sie würde wegrennen.«
»Zu