Tatort Gemeindebau. Manfred Rebhandl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Rebhandl
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783854395836
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– so nannten wir sie, weil sie früher bei einem Reifenschuster gearbeitet hatte –, die Erika, deren rosastichige Dauerwelle an Zuckerwatte erinnerte, und die Suchanek-Elfie, die wir als Kinder um ihre vielen Spielsachen beneidet hatten, waren schon da, als ich mit meiner besten Freundin Christl hinkam. Jemand hatte ein Sträußchen Vergissmeinnicht auf Ernis Stammplatz gestellt. Die Spiele, die die Gummi-Hilde mitgebracht hatte, blieben in ihren Schachteln. Die Stimmung war gedrückt.

      Die Christl bestellte eine Runde vom Lieblingslikör der Verstorbenen. »Trinken wir auf die Erni«, sagte sie, als wir mit den Stamperln anstießen. »Pickats Zeig. Meins is des ned«, schüttelte sich die Suchanek-Elfie und griff nach ihrem Achterl und der Zigarette.

      »Ohne die Erni tät’s unsere Runde gar ned geben«, sinnierte ich. Es war bei einer Geburtstagsfeier gewesen, als die Rede darauf gekommen war, wie man sich früher, bevor es Fernseher gab, die Zeit vertrieb. Ich hatte von meiner Omama erzählt, die sich mit ein paar Nachbarinnen regelmäßig zum Jollyspielen getroffen hatte. Bei Kaffee und Kuchen genoss die Omama den Zeitvertreib und versorgte sich ganz nebenbei mit dem neuesten Tratsch. An diesen Nachmittagen hatten wir Kinder mehr Freiheiten als sonst gehabt. Die Buben veranstalteten ihre Radrennen, wir Mädchen perfektionierten unser Tempelhupfen, sprangen Schnur oder zwangen die Jüngsten beim Vater-Mutter-Kind-Spiel in einen alten Kinderwagen.

      »Es muass jo ned unbedingt Jolly sei und dass de Tatort-Fini mit von da Partie is, is sowieso kloa«, hatte Erni die Idee aufgegriffen. Tatort-Fini – den Spitznamen hatte sie mir verpasst. Mir gefiel das Etikett, denn schließlich mochte ich die Kultserie, und rätseln, wer der Mörder war, gehörte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Schon eine Woche später trafen wir uns im zweiten der insgesamt vier Höfe unseres Gemeindebaus in der Brigittenau. Bis auf die Hilde waren wir alle schon in Pension und Witwen – außer der Elfie, die immer nur Bekannte gehabt hatte. Wir hatten also Zeit und freuten uns auf die gemeinsamen Partien und die gemütlichen Plauscherl.

      Die Suchanek-Elfie hatte den Platz bei der Sitzgruppe unter der alten Kastanie gleich nach dem Mittagessen reserviert und damit die Ausländerinnen, die sich dort ebenfalls gern aufhielten, verwirrt. »DU IN PARK GEHEN! NIX HIER SITZEN! GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT!«, hatte sie einer besonders begriffsstutzigen Türkin lautstark erklärt und dabei mit der Zeitung gewachelt, als wollte sie ein lästiges Insekt vertreiben. Mit der Zeit hatten sich die Ausländerinnen damit abgefunden, dass die Sitzgruppe an den Mittwochnachmittagen unser Revier war. Im Sommer war es unter dem Baum und mit dem leichten Lüfterl, das ab und zu durch die Höfe strich, weit angenehmer als in den schwülen Wohnungen. Während der kühleren Jahreszeit, bei Regen und im Winter wichen wir in eine der Wohnungen oder ins Kaffeehaus aus, das früher ein Branntweiner gewesen war.

      »Oba dass es scho wieda ane von uns sei muass«, riss mich die Gummi-Hilde aus meinen Erinnerungen und sprach damit endlich aus, was mich schon seit dem Vormittag beschäftigte.

      »Vorvorigen Winter die Mitzi, letztn Herbst die blade Vyslozil und jetzt die Erni. Des is do ned normal, oder?«

      »Du tuast grod a so, ois waun wir wos dafia kennten«, wies mich die Elfie zurecht. Dabei rückte sie ihre Brillengläser, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Aschenbechern hatten, zurecht.

      »Wir sind schließlich alle nicht mehr die Jüngsten«, warf die Christl ein.

      »Genau«, bekräftigte die Gummi-Hilde. »Do kummt’s scho vua, dass ane de Bodschn streckt.«

      »Aber ihr miassts zuagebn, dass die Umständ komisch sind. Das Krokodü (so hatte Mitzis verstorbener Ehemann sie immer genannt, wenn er mit ihr gestritten hatte – wir hatten das Kosewort in ihrer Gegenwart natürlich nicht benutzt) ertrinkt in ihrer Badewanne, die Vyslozil fliegt mitsamt der Stehleiter um …«, wandte ich mich an die Runde. »Dabei ist sie, seit ihr so oft schwindlig war, nicht amal freiwillig auf a Schamerl gstiegn«, fügte ich hinzu.

      »Wenn ich mir’s aussuchen könnt, würd ich auch lieber schnell gehen. Am liebsten im Schlaf, damit ich gar nicht mehr wach werd«, nickte die Erika und ich überlegte, wie viel Spray ihre Zuckerwattenfrisur so gut in Form hielt, dass sich nicht ein einziges Haar dabei bewegte.

      »Bei da Mitzi woas a Schlagl, hod da Sohn dazöd, und bei da Vyslozil wahrscheinli de Pumpn«, wiederholte die Gummi-Hilde, was wir ohnehin alle wussten.

      »Wer wohl die Wohnung kriegt?«, wechselte die Christl das Thema.

      »Gsindel. Keiner, der es sich leisten kann, zieht freiwillig da her.«

      »So schlimm, wie du tust, ist es auch wieder nicht«, entgegnete die Christl mit ihrem Talent zum Schönreden.

      »Geh schau da au, wie marod unsa Zinsburg beinaund is. Grod vurige Wochn hob i mi wieda bei de Wiena Wohnen wegen meine Fensta beschwert«, ereiferte sich die Suchanek-Elfie.

      »Und wos hoben s’ gsogt?«

      »Dass i woatn muass. Sie hom ka Göd.«

      Die Zuckerwatte hatte sich vertraulich zu mir herübergebeugt. »Meinst, dass mir die Nichte von der Erni den neuen Eiskasten überlässt?« Der Kühlschrank, den sie meinte, war erst vor zwei Wochen geliefert worden. Die Entscheidung für den Gerätetyp war schwierig gewesen. Erni hatte sich letztendlich von Stani, unserem Haus- und Hofelektriker, gegen ein kleines Trinkgeld beraten lassen.

      »Red halt mit ihr. Wenn sie selber keine Verwendung dafür hat, wird sie schon mit sich handeln lassen.« Die Zuckerwatte grinste zufrieden. Auf ihrer Zahnprothese schimmerten Reste vom korallenroten Lippenstift, mit dem sie sich immer schminkte. Ehrlich gesagt hätte mich schon interessiert, wie sie den Eiskasten zahlen wollte, wo ihr doch immer noch ein Stück vom Monat übrigblieb, wenn ihre Rente aufgebraucht war. Aber das war ein Thema, über das man von der Erika selber keine Auskunft bekam. Da würde ich schon die Elfie oder die Gummi-Hilde fragen müssen.

      Als ich etliche Tage danach um halb acht zur Siebenerstiege kam, war die Arbeit schon in vollem Gange. Dabei war die Erni grad erst eine Woche unter der Erde. Pappelwolle wirbelte durch den Hof. Eine Schar Tauben pickte nach den Brot- und Semmelwürfeln, die die alte Pospischil jeden Morgen auf der Wiese neben den Coloniakübeln ausstreute. Dass diese Luftratzen Krankheiten verbreiteten und deshalb nicht gefüttert werden durften, war ihr einfach nicht beizubringen. Als ich vor der Eingangstür stand, kamen mir zwei Männer mit Ernis Diwan entgegen. Die Sessel und der Schlafzimmerkasten standen schon auf der Ladefläche des Kleinlasters, der im Hof geparkt war. Ein fleckiger Teppich hing über der Klopfstange, auf der wir als Kinder immer so lange herumgeturnt hatten, bis uns die Hausmeisterin mit einem giftigen »Schleichts eich« vertrieben hatte. Die Küchenkastl, auf die Erni seinerzeit so lange gespart hatte, standen im Dreck, Kochtöpfe und Deckel ragten aus einer Schachtel.

      Ich ging weiter. Der Anblick hatte mich trübsinnig gemacht. Im dritten Hof schnaufte ich die Elferstiege zur roten Toni, einer der letzten aufrechten Sozialdemokratinnen im Bau, hinauf, für die ich montags und donnerstags einkaufen ging. Nach der Hüftoperation fiel ihr das Stiegensteigen schwer. Zwar gab es einen Aufzug im Haus, allerdings erst ab dem Halbstock, zu dem man sieben Stufen überwinden musste.

      Die Toni war schon angezogen und ließ mich hinein. Auf dem Esstisch stand neben ihrem ausgeschlagenen Steinguthäferl eine Kaffeetasse. »Hast heut schon Besuch g’habt?«

      »Da Stani woa do. Er hod mir des Fernsehkastl gricht. De Senda san imma ausgfoin.«

      Ich griff nach der Einkaufsliste.

      »Bei da Erni wird de Wohnung ausgramt.«

      »Hob i gsehn«, antwortete ich und überflog, was die rote Toni notiert hatte.

      »Da Stani muass olle Leitungen mochn, bevua de neichn Mieta eiziagn.«

      »I weiß, seine Firma hat ja einen Vertrag mit der Gemeinde«, nickte ich.

      »Oba ins Heim geh i ned.«

      »Wieso ins Heim?«, fragte ich, die Türschnalle bereits in der Hand.

      »Da Stani hod gmand, dass i’s durtn bessa häd, wäu de oidn Wohnungen komplett renoviert g’hern. Er sogt, dauernd gibt’s Scherereien,