Mit einem schwedischen Paar teilte ich mir ein Taxi. Wir schwatzten ganz nett über Schweden, Deutschland und darüber, was wir vorhaben.
Belanglose Dinge will ich dir – Mein verehrter BV – nicht erzählen.
Irgendwann will ich auch nach Schweden, jetzt ist jedoch Israel mein Thema.
Der Taxifahrer sprach kein Englisch oder tat nur so. Das Navi sprach russisch. Mit meinen russischen Brocken bekam ich heraus, dass er vor 28 Jahren von Sewastopol nach Israel übersiedelte.
Die Schweden wurden zuerst raus gelassen und zahlten 2/3 des Preises laut Taxameter an mich. Der Taxifahrer fuhr dann noch etwas im Kreise und am Ende kam zu dem Taxameterpreis noch eine Steuer hinzu. So verlor ich etwas Geld zusätzlich.
Als ich mit dir, mein lieber Schatz, vor drei Jahren in Istanbul war, karrte uns der Taxifahrer auch erst mal ein bisschen quer durch die Istanbuler Nacht. Auf der Hotelbuchung war damals keine Telefonnummer, da konnte er sich nochmals dumm stellen. Nach einem kleinen Wutausbruch von mir kamen wir dann doch an. Offenbar sind das die gängigen internationalen Tricks der Taxifahrer, doofe Ausländer abzuzocken. Nun, so wohlhabend sind die Taxifahrer in der Regel nicht.
Vom Taxi aus sah ich schon, dass das mitternächtliche Leben in Tel Aviv floriert. Etwa 1:00 Uhr kam ich im Hostel an, zahlte, packte die wichtigsten Dinge in meinen kleinen faltbaren Tagesrucksack und ließ meinen großen Rucksack dort in der Ecke stehen. Das Hostel ist nur zwei Minuten vom Meer entfernt. Die Uferstraße ist gut beleuchtet und es waren noch einige harmlos anmutende Menschen unterwegs. Eigentlich wollte ich bis zum Morgengrauen auf dem Flughafen pennen. Für die wenigen Stunden wollte ich nicht den ganzen Tagespreis eines Quartiers bezahlen, dazu war ich zu geizig, zudem sollte die erste Wanderung vom Flughafen in das Quartier gleich mein erstes Ferienerlebnis werden. Früher in der Schule mussten wir Schüler immer nach den Sommerferien einen Aufsatz über unser schönstes Ferienerlebnis schreiben.
Nun, es ist anders gekommen und ich habe ein wenig den säkularen Tel Aviver Schabbat erlebt.
Die Uferstraße war gut beleuchtet. Am Rande des breiten uferseitigen Fußweges schliefen einige Penner, dahinter fing der Strand an. Der lag im Halbdunkel, dahin traute ich mich nicht. So ganz wohl fühlte ich mich in den ersten Stunden nicht, ganz allein mitten in der Nacht einer großen Stadt eines mir noch fremden Landes. Dass die Kriminalität nicht allzu hoch hier ist, wusste ich. Ein Londoner Hotelangestellter sagte mir vor Jahren, dass – egal, wo du bist auf dieser Welt – dein äußerliches Bild für deine Sicherheit das Wichtigste sei. Ein torkelnder, hilfloser Mensch lädt Kriminelle immer ein. Ein aufrecht marschierender athletischer Mann bietet weniger Angriffsfläche. Die absolute Sicherheit gibt es nirgends. Leben heißt auch etwas wagen.
Die Allenby Road ist unweit vom Quartier. Ich freute mich, dass das Hostel so nahe dem Strand und dem Zentrum ist. In der Allenby Road und im südlichen Rothschild Boulevard pulsierte das Leben. Junge Leute – um die 20 Jahre alt – grölten vor Lokalen, aus denen Musik schallte. Niemand war aggressiv. Hier fühlte ich mich sicher. Ich bummelte in der Allenby Road hin und her, trank an einem Imbiss draußen sitzend ein israelisches Bier. Ich ging auch in einige Nebenstraßen, nach wenigen Metern war jeweils Stille und ich fühlte mich weniger sicher, obwohl keine zwielichtigen Typen zu sehen waren. Es könnten jedoch plötzlich einige auftauchen und mir den Weg zum Zentrum abschneiden. An irgendwas muss man ja auch irgendwann sterben. Hier jedoch? – sehr unwahrscheinlich. Die Temperatur ist angenehm mild. Mit einer dünnen Jacke kann man gut draußen sitzen.
Ein Cafe am Rothschild-Boulevard machte einen angenehmen Eindruck. Junge leisere Menschen saßen draußen und drinnen, tranken Kaffee, Bier oder Mixgetränke, unterhielten sich und lachten häufig. Ich rauchte gerade, da fragte mich ein dunkelblonder, ungefähr 25jähriger Mann, ob ich ein Feuerzeug hätte. Ich gab ihm Feuer, er bedankte sich. Er saß mit einem Gleichaltrigen am Nachbartisch, wir kamen ins Gespräch. Er erklärte mir, dass hier am Rothschild-Boulevard in der Schabbat-Nacht das Leben pulsiert. Er kommt aus dem Süden Tel Avivs, da ist es jetzt ruhig, wie es sich normalerweise mitten in der Nacht für den Schabbat gehört.
Er fragte mich, woher ich sei.
Ich antwortete. „Aus der Schweiz.“
Das hatte ich mir zurechtgelegt. Ich weiß, dass von einigen israelischen Familien ein Großteil der Vorfahren von den Nazis vergast oder erschossen wurden. So lange ist das alles nicht her – nur 70 Jahre, viele Erinnerungen der Älteren sind noch frisch. Ich verstehe vollends, wenn solche Menschen nichts mit den Deutschen zu tun haben wollen. Sechs Millionen Juden ermordet, das sind so viele, wie jetzt in Israel leben. Welch grauenhafte Wahrheit.
Amos Oz boykottierte bis Ende der 60er Jahre alles Deutsche bis auf die deutsche Literatur. Mittlerweise ist er besuchsweise gern in Deutschland und hat deutsche Freunde. An den Abenden in Deutschland und Österreich kann er noch immer nicht einschlafen. In anderen Ländern geht es ihm nicht so.
So hatte ich mir also zurechtgelegt, dass ich aus der Schweiz, konkret aus Basel bin. Zu Basel hatte ich mich auch noch belesen. Mit dieser kleinen Notlüge wollte ich einfach schnelle vorurteilslose Gespräche mit Israelis gewährleisten. Ich wollte nicht an der Notlüge festhalten und mich beim näheren Gespräch natürlich als Deutscher outen. Der Leser mag jetzt denken, jetzt verleugnet er sein Deutschtum. Das mag sein. So viele Lügen und Halbwahrheiten begegnen uns Tag für Tag – in der Werbung, in den Medien, bei vielen Mitmenschen. So erlaubte ich mir eben auch diese kleine Notlüge für erste Begegnungen mit Israelis. Man möge die Umstände betrachten und mir verzeihen.
Ich las von einer Israelin, die gut Deutsch spricht und sich im Ausland immer als Österreicherin ausgibt, weil sie es leid ist, mit Wildfremden laufend über den Staat Israel zu diskutieren.
Der junge Mann ging auf meine falsche Identität ein und erwiderte, dass einige Israelis in der Schweiz Skiurlaub machen.
Später fragte ich die jungen Männer, ob sie Aschkenasim seien. Sie waren ganz überrascht, dass ich wusste, was Aschkenasim sind. Nein, sie seien beide Sephardim mit marokkanischen und irakischen Wurzeln.
Die Sephardim sind die Nachfahren der Juden aus Portugal, Spanien, Nordafrika, Jemen, Irak, Iran und anderen Länder dieser Gebiete. Sie sehen den Arabern sehr ähnlich, selbst Insider können sie äußerlich oft nicht von den Arabern unterscheiden.
Die Aschkenasim sind die Nachfahren der Juden aus Mittel- und Osteuropa mit heller Haut, mit dunkelblonden, teilweise hellblonden, rotblonden, schwarzen, aber fast nie pechschwarzen Haaren.
Viele Jahre dominierten die Aschkenasim die israelische Gesellschaft, die Sephardim hatten bei der Erlangung einflussreicher Positionen deutlich schlechtere Karten.
Diese beiden jungen Männer hatten als Sephardim nur einen leichten dunklen Hautteint und die Haare des anderen jungen Mannes waren dunkel, jedoch nicht pechschwarz. Die dunkelblonden Haare des ersteren kamen wohl von einer Tönung. Ihre Eltern beschäftigte die Dominanz der Aschkenasim über die Sephardim sehr. Mittlerweile seien sie aber alle eine große jüdische israelische Familie mit gleichen Chancen für alle.
Ich fragte: „Wenn in einem Krankenhaus ein neuer Chefarzt in irgendeiner Abteilung benötigt wird und es zwei Kandidaten für diese Position gibt, einen aschkenasischen und einen sephardischen Juden. Haben beide die gleichen Chancen heutzutage, den Chefarztposten zu erreichen?“
Sie überlegten kurz und nickten. Ob das immer so sei, sei dahingestellt. Offenbar kannten sie sich nicht im Krankenhaus-Milieu aus. Das war mir auch egal. Mit meiner Frage ging es mir lediglich um die Vergabe führender Posten, egal auf welchem Arbeitsgebiet. Mittlerweile sind die Chancen der Sephardim offenbar besser.
Ich fragte noch, wann denn die Sonne aufgehen wird.
„Ungefähr 6:00 Uhr morgens.“
Ich