Kritik der Betriebswirtschaftslehre. Alexander Melčok. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Melčok
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783929211979
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abbilden“, gar nicht möglich ist, dass diese Modelle stets auf „Grundannahmen“ beruhen, und weil das seiner festen Überzeugung nach nicht nur so ist, sondern auch gar nicht anders sein kann, leuchtet ihm auch völlig ein, dass es aufgrund der Vielfalt der möglichen Grundannahmen immer eine Vielzahl der Modelle gibt, mit denen man sich der Wirklichkeit annähern kann – was im Fall seiner Wissenschaft heißt, dass es nicht eine, sondern mehrere Betriebswirtschaftslehren gibt, je nachdem, von welcher „Verhaltensannahme“ über die Motive des „wirtschaftlichen Handelns“ man ausgeht:

      „Das Handeln der zu beratenden Wirtschaftssubjekte kann (im Extremfall) von krassem Egoismus oder vom Gedanken der Nächstenliebe und des Teilens geleitet sein.“ (Ebd.)

      „Wirtschaftstheoretisch und verhaltenswissenschaftlich orientierte Betriebswirtschaftslehre unterscheiden sich in ihrem Menschenbild: Hier der opportunistische Egoist, dort der solidarische Idealist.“ (Ebd.)

      Was er uns über das Vorgehen der Wissenschaft im Allgemeinen und seiner Wissenschaft im Besonderen kolportiert, sind Eingeständnisse der furchtbarsten Art. Denn was soll es heißen, dass man sich die Wirklichkeit in der Weise aneignet, dass man in Gestalt eines Modells ein vereinfachtes Abbild von ihr oder die einem solchen Modell zugrundeliegenden Grundannahmen über sie auf sie anwendet? Das heißt ja wohl, dass man sich von dieser Wirklichkeit ein Bild gemacht und Annahmen über sie aufgestellt hat, bevor man sich mit ihr befasst und auseinandergesetzt hat; woraus zu schließen ist, dass weder Bild noch Annahme das Produkt einer sachlichen Betrachtung sein können. Und wenn die Befassung mit der Wirklichkeit dann nur noch so vonstattengeht, dass ein solcher jeder Objektivität entbehrender Vorbegriff auf sie Anwendung findet, dann mag daraus eine Vielzahl von Theorien entspringen, aber sicher nichts mehr, was den Namen objektive Erkenntnis verdient. Sich beim Urteilen über die Welt von Vorurteilen leiten zu lassen, ist für den Betriebswirt offenkundig keine Schande, vielmehr die in seiner Wissenschaft gängige Regel, und er hält so ein Vorgehen sogar für unabdingbar und geboten und kann sich ein anderes Herangehen an die Wirklichkeit offenbar überhaupt nicht mehr vorstellen. Man erfährt, dass es in der BWL üblich ist, über die Wirklichkeit nach Maßgabe von Menschenbildern nachzudenken, die man bedenkenlos der Welt der gängigen moralischen Vorstellungen entlehnt. Und die damit einhergehende Behauptung, dass so und nicht anders Wissenschaft geht und zu gehen habe, wird von unserem Standardwerk auch wieder ohne jedes Argument einfach dogmatisch zum Mitschreiben so hingesetzt – das sind eben die Standards, nach denen die Wissenschaft tatsächlich zu Werke geht. Dabei versteht es sich gar nicht von selbst, dass eine Wissenschaft, die darüber aufzuklären verspricht, was die Entscheidungsträger in einem Betrieb eigentlich treibt, im nächsten Satz auf den Menschen im Allgemeinen und die Motive, von denen sich der womöglich leiten lässt, zu sprechen kommt. Schließlich nimmt sie damit Abstand von der Untersuchung des Betriebsgeschehens, das die Entscheidungen der Entscheidungsträger doch wohl zum Inhalt haben.

      Was die Grundannahmen übers wirtschaftliche Handeln respektive die einschlägigen Menschenbilder im Einzelnen anbelangt, die auf diese Weise als eine weitere Richtschnur des Nachdenkens über die betriebliche Wirklichkeit eingeführt werden, so handelt es sich dabei zum einen um eine ideologische Deutung der sozialen Bestimmung, die der Mensch im bürgerlichen, marktwirtschaftlich verfassten Gemeinwesen aufgeprägt bekommt: Die Figur des vom „Eigennutz“ getriebenen Egoisten verkörpert den Umstand, dass in der Welt des Privateigentums die ökonomischen Interessen, die die Menschen verfolgen, so beschaffen sind, dass sie in lauter Gegensätzen zueinander stehen – zwischen Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Mieter und Vermieter etc.; aber sie verkörpert ihn so, dass dies nicht als gesellschaftliche Natur kenntlich ist, die den Menschen im Kapitalismus auszeichnet, sondern als Natur des Menschen überhaupt erscheint. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Bild vom ‚egoistischen Menschen‘ also um ein affirmatives Hirngespinst, das das Wirken des privaten Konkurrenzsubjekts, das die BWL schon auch selbst als Charakteristikum der marktwirtschaftlichen Eigentumsordnung kennt, in eine Natureigenschaft des Menschen schlechthin verfabelt. Dem stellt der moralische Verstand die Fiktion des „solidarischen Idealisten“ entgegen, der „vom Gedanken der Nächstenliebe und des Teilens“ beseelt ist; eine Figur, die in der bürgerlichen Welt Anerkennung genießt, weil sie den Gemeinschaftssinn pur verkörpert, in ökonomischen Dingen aber ganz bestimmt nicht als kompetent gilt; und diese moralische Fiktion wird vorgestellt als die Alternative, die die BWL im Angebot hat.

      Der Mann der Wissenschaft ist ersichtlich nicht beschämt darüber, dass in dieser Sphäre moralisierender Vorurteile über den Menschen – der gängigen schlechten oder guten Meinungen über ihn – die unterschiedlichen theoretischen Ausgangspunkte der verschiedenen Schulen seines Fachs, der „wirtschaftstheoretisch und der verhaltenswissenschaftlich orientierten Betriebswirtschaftslehre“, zu verorten sein sollen. Er bewegt sich in ihr wie der Fisch im Wasser, klärt uns darüber auf, dass er sich für die eine und gegen die andere Richtung entschieden hat, und begründet seine Entscheidung damit, dass dem einen Menschenbild mehr Nähe zur Wirklichkeit zu bescheinigen ist als dem anderen. Unter diesem Gesichtspunkt scheidet die „verhaltenswissenschaftlich orientierte“ BWL mit ihrem Bild vom nach „Maximierung des Gemeinnutzes“ (I / S. 6) strebenden Individuum als ernst zu nehmende ökonomische Lehre für ihn aus:

      „Die wirtschaftstheoretisch fundierte Betriebswirtschaftslehre [der sich unser Autor zurechnet] hält dieses idealistische Menschenbild für wirklichkeitsfremd.“ (Ebd.)

      Was er zum Argument für die eine und gegen die andere ‚Lehre‘ macht, das ist ein Vergleich zwischen dem jeweils zugrundeliegenden Menschenbild und der Welt der Konkurrenz, die jeder vor Augen hat, der in die Welt der Marktwirtschaft blickt. Und bei dem Vergleich ist es wahrlich kein Wunder, dass die von ihm bevorzugte Auffassung vom Menschen, der zufolge „jedes Individuum ... nach maximalem Eigennutz [strebt]“ (ebd.), im Unterschied zur anderen als realistisch erscheint. Schließlich ist dieses Menschenbild der Sphäre der ökonomischen Konkurrenz entlehnt; was es dem Menschen als sein Wesen zuspricht, ist aus ihr herausdestilliert; während es sich bei dem „solidarischen Idealisten“ um einen moralischen Gegenentwurf dazu handelt, weswegen sich der an der Welt der ökonomischen Konkurrenz auch leicht blamieren lässt. Der Wirtschaftstheoretiker braucht zu dem Zweck nur auf die allseits bekannten Gegensätze zwischen „Kunden ... , Lieferanten, Kapitalgebern und Arbeitnehmern“ zu deuten, die „möglichst wenig zahlen“ wollen und „möglichst hohe Zahlungen ... erwarten“ (I / S. 7), und schon ist klar, dass ein solches Bild vom Menschen absolut unrealistisch ist.

      Die Prüfung der Wirklichkeitsnähe möglicher Annahmen über die Motive wirtschaftlichen Handelns erweist sich somit als Spiegelgefecht, mit dem der BWL-Lehrmeister unter Berufung auf die Welt der marktwirtschaftlichen Konkurrenz ein Menschenbild ins Recht setzt, das seinerseits so konstruiert ist, dass es diese Welt der Konkurrenz als die der Menschennatur entsprechende und somit als wohlbegründete erscheinen lässt.