Wir erlauben uns ein kleines Zwischenfazit: Die BWL liefert hier ein Lehrstück weltanschaulichen Argumentierens ab. Ihre Erkenntnis über die ‚Wirtschaftseinheit‘ namens Betrieb, die in diverse „Beschaffungs-, Absatz- und Kapitalmärkte“ „eingebettet“ ist, hat sie ja nicht aus der Befassung mit dem, was so ein Betrieb treibt. Natürlich ist ihr vertraut, dass der mit Kaufen, Verkaufen und Fragen der Finanzierung befasst ist. Sie weiß auch, dass im Zentrum des Geschäfts so einer ‚Wirtschaftseinheit‘ die Erwirtschaftung eines Gewinns steht, der den Betriebseigner und nicht etwa die Menschheit bereichert. Man sagt ihr sicher auch nichts Neues, wenn man sie darauf hinweist, dass die nützlichen Güter, die so ein Betrieb produziert, mit einem Preis auf die Welt kommen, der den Zugang zu ihnen beschränkt. Würde die BWL daraus – d.h. aus den auch ihr bekannten Erscheinungsweisen ihres Gegenstandes – ihre Schlüsse ziehen, käme sie nicht so schnell auf den Menschen als Nutznießer der Produktion in der Marktwirtschaft und auf ein „Maximum an Bedürfnisbefriedigung“ als Zweck der Veranstaltung. Aber so bezieht sich die BWL eben gar nicht auf ihren Gegenstand. Sie tritt aus der marktwirtschaftlichen Realität heraus und ein in eine Metaphysik der Natur menschlicher Bedürfnisse, in der die von der „neoklassischen Volkswirtschaftslehre“ geschaffene „Kunstfigur“ des „homo oeconomicus“ (I / S. 3) daheim ist, um sich zunächst getrennt von allem, was an Marktwirtschaft erinnert, im abstrakten Gebot zur Sparsamkeit und zur Effizienz des letzten Sinns jeglichen Wirtschaftens zu versichern. Und von dieser der Wirklichkeit enthobenen Sinnkonstruktion aus, die letztlich alle historischen Produktionsweisen von der Subsistenzwirtschaft über die Sklaverei bis zum Kapitalismus begreiflich machen soll, kommt die BWL anschließend in einem zweiten Schritt auf den realen Gegenstand zurück: Sie wendet ihre Abstraktion auf ihn an, subsumiert das marktwirtschaftliche Geschehen unter ihre Sinnkonstruktion und stiftet auf diesem Wege Klarheit in der Frage, worum es (auch) in der Marktwirtschaft letztlich und im Grunde geht!
„Optimale Bedürfnisbefriedigung“: Das ist das „Ziel“, das die BWL mit ihren einleitenden Grundsatzüberlegungen über die Wirtschaftseinheit ‚Betrieb‘ den real existierenden Betrieben als ihr eigentliches ‚Weiß-Warum‘ zuschreibt. Und als die Abteilung der Wirtschaftswissenschaften, die sich in besonderer Weise für die Heranbildung des Nachwuchses für die Führungsetagen solcher Betriebe zuständig weiß, lässt sie es sich nicht nehmen, aus diesem Ziel, d.h. letztlich aus dem Knappheitsdogma, das sie aus der Volkswirtschaftslehre übernommen hat, auch noch den Auftrag derjenigen herzuleiten, die in den Unternehmen das Sagen haben:
„Zur Realisierung des Ziels optimaler Bedürfnisbefriedigung müssen komplexe betriebliche Entscheidungsprozesse optimiert werden.“ (I / S. 4)
Derart nichtssagend verfremdend und zugleich in ganz bestimmter Weise zielgerichtet verfälschend fällt das Urteil der BWL über die Aufgaben des Führungspersonals aus. Statt mitzuteilen, was und worüber da zu entscheiden ist, erklärt sie die „betrieblichen Entscheidungsprozesse“ für „komplex“, also für nicht so ohne Weiteres bestimmbar, und erhebt das Verfügen über die Elemente der Produktion und das Optimieren von Entscheidungen zur Hauptsache, um die es so einem Betrieb zu gehen habe. Ohne sich darum zu kümmern, woher sie kommt und worauf sie beruht, redet die BWL so über eine Verfügungsmacht über die sachlichen wie lebendigen Produktionsfaktoren, die im Betrieb – von welcher Führung auch immer – ausgeübt wird; und die schließt für sie selbstverständlich, und ohne dass sie dies in irgendeiner Weise für erklärenswert befinden würde, das Kommando über die Arbeit ein, die in so einem Betrieb geleistet wird. Sie hält von dem innerbetrieblichen Herrschaftsverhältnis, das da unterstellterweise mitgedacht ist, nur den Formalismus des Entscheidens fest und präsentiert diesen als den für den Erfolg des Betriebs alles entscheidenden Faktor.
Damit sind nicht nur die kapitalistischen Unternehmen mit einem unwidersprechlich guten Daseinsgrund versehen – Bedürfnisbefriedigung. Ins Recht gesetzt ist damit insbesondere auch das Führungspersonal, das die solch menschheitsbeglückender Zielsetzung gewidmeten Unternehmungen zum Erfolg führen soll. Und mit beidem zusammen steht zugleich die Selbstrechtfertigung der BWL als angewandte Wissenschaft, die „den betrieblichen Entscheidungsträgern“ mit „Handlungsempfehlungen zur Optimierung betrieblicher Prozesse“ (I / S. 5) assistieren will, damit die ihrer Aufgabe gewachsen sind.
2. Wie der eigensüchtige Wille unter Zuhilfenahme
der staatlichen Rechtsordnung in den Zweck der Gewinnmaximierung mündet
Nachdem er uns mittels eines Ausflugs in die philosophische Welt der Grundprobleme des menschlichen Daseins über das Ziel betrieblichen Wirtschaftens aufgeklärt hat, belehrt uns der Lehrbuchschreiber, dass die BWL als „dienende“ (ebd.) Wissenschaft, welche den Praktikern der Marktwirtschaft bei ihren schwierigen Entscheidungen mit nützlichen Ratschlägen zur Seite stehen will, die Wirklichkeit ins Auge zu fassen hat:
„Betriebswirtschaftliche Handlungsempfehlungen sind für die zu beratenden Wirtschaftssubjekte nur dann hilfreich, wenn sie sich an den tatsächlichen Zielvorstellungen der jeweiligen Entscheidungsträger orientieren.“ (Ebd.)
Der Mann hat Humor: Mit dem Aufruf an seine Wissenschaft, die hätte die „tatsächlichen Zielvorstellungen“ derer in den Blick zu nehmen, die im Betrieb das Sagen haben, verweist er seine Aussagen über das eigentliche Ziel betrieblichen Wirtschaftens kurzerhand ins Reich der philosophischen Sinnkonstruktionen – aus dem Verkehr ziehen will er sie aber keineswegs. Als rechtfertigende Idee soll die Mär von der menschlichen Bedürfnisbefriedigung, der das betriebliche Wirtschaften dient, schon weiterhin ihren Dienst tun und wird sie, wie wir noch sehen werden, als ein wichtiger Leitfaden der Argumentation auch weiter gebraucht – unbeschadet der Tatsache, dass mit den „Entscheidungsträgern“ nun Subjekte angesprochen sind, denen es womöglich um ganz andere Dinge zu tun ist. Die bringt der Autor ins Spiel, weil es ihn als Vertreter einer Wissenschaft, die unbedingt nützliches Wissen liefern will, dazu drängt, zu versichern, dass man sich in der BWL wirklich nur solche Gedanken über das Wirtschaften der Betriebe machen will, mit denen diejenigen, die einen Betrieb zu managen haben, praktisch etwas anfangen können.
Und? Geht er mit der Frage nach den „tatsächlichen Zielvorstellungen“ endlich zur Befassung mit der Realität über? Von wegen. Statt zu ermitteln, welche Ziele die Entscheidungsträger in so einem Betrieb verfolgen, verwandelt unser Fachmann für Betriebswirtschaft diese Frage unversehens in eine ganz andere, nämlich in die Frage, wie man darüber überhaupt zu „wissenschaftlichen Aussagen“ gelangen kann und welches theoretische Instrumentarium man dafür braucht. Und die beantwortet er wie folgt:
„Wissenschaftliche Aussagen stützen sich immer auf Theoriebildung und Theoriebildung setzt Verallgemeinerung und vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit voraus. Zur Theoriebildung werden Modelle entwickelt, die einen Ausschnitt aus der wirtschaftlichen Wirklichkeit (durch einschränkende Grundannahmen)