Lena Halberg: London '05. Ernest Nyborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernest Nyborg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783868411317
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versuchte Gazzarah auszuweichen, »ich denke daran, aber es ist recht schwierig.«

      »Schwachsinn«, brauste Doug ansatzlos auf, »was kann für dich schon schwierig sein, als Obermacher beim Mos…?«

      »Genug«, unterbrach der Geheimdienstmann die unbedachte Äußerung scharf.

      Die Leute rundherum schauten auf. Doug maulte irgendetwas, begann aber wieder im Teller zu stochern.

      »Bist du vollkommen verrückt geworden?«, setzte Gazzarah leise und eindringlich hinzu. »Halte dich zurück, sonst haben wir uns das letzte Mal getroffen.«

      »Das glaube ich nicht«, sagte Doug mit einem harten Blick und einem verächtlichen Unterton. »Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Dir brauche ich nicht zu sagen, was so eine Mannschaft kostet. Ich muss unbedingt einige lukrative Sicherheitseinsätze haben. Du weißt, Ronny, ich würde alles tun, um sie zu bekommen.«

      Der Schluss war eine offene Drohung und Gazzarah spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Doch wollte er nicht seine eigene Position gefährden, musste er um jeden Preis ruhig bleiben. Wieder einmal rächt sich mein Fehler, dachte er zornig.

      Es war vor über zwanzig Jahren gewesen: Ron Gazzarah war damals bei einer Sabotagezelle des Mossad und hatte seinen ersten Einsatz in Bosnien als Kommandant. Er sollte, gemeinsam mit Leuten vom amerikanischen Geheimdienst, eine paramilitärische Gruppe der Weißen Adler ausschalten, die aufseiten der Serben für ihre Brutalität berüchtigt waren. Die Amis setzten, um die eigenen Agenten zu schonen, vermehrt bezahlte Kämpfer ein. Einer dieser Blutsöldner – mit dem Auftrag, die Tötungen zu übernehmen – war der kanadische Waffennarr Doug Whise, der zuvor auf der albanischen Seite mitgemischt hatte und sich gerne auch dafür rekrutieren ließ. Es ging schief. Gazzarah, selbst noch unerfahren, hetzte die Gruppe in einen Hinterhalt und von den zwölf Männern überlebten nur zwei – er und Doug. Um dem drohenden Prozess und einer sofortigen Entlassung zu entgehen, vertuschte er die unschöne Sache mit dessen Hilfe.

      Seitdem war er gezwungen, Doug ruhig zu halten und ihm Aufträge zukommen zu lassen. Durch seinen internen Aufstieg bis zum Chiefs of Operations ging das ohne größere Probleme, aber er mochte den Hitzkopf nicht und versuchte, sich diesen mit unbedeutenden Missionen vom Leib zu halten. Doug war für stille Geheimdienstarbeit einfach nicht geschaffen und Gazzarah liebte es, Einsätze mit einer professionellen Lautlosigkeit durchzuführen – in der Vorbereitungsphase.

      »Ich sehe, was ich machen kann«, sagte er, um die Situation zu beruhigen. Sein Mobiltelefon meldete mit einem leisen Piepston den Eingang einer Mail. Er wandte sich zur Seite und las die Nachricht. Sein Gesicht wurde starr. »Ich muss dringend weg!«

      »Du musst weg?« Doug polterte wieder los. »Ich komme extra von Marokko hierher, um dich zu treffen! Und du musst weg?«

      »Ja, es geht eben nicht anders«, er senkte die Stimme, »ich habe einen Einsatz und da ist anscheinend die Scheiße am Dampfen. Das ist eindeutig wichtiger!«

      Doug wollte schon wütend hochfahren, doch Gazzarah drückte ihn zurück auf den Stuhl.

      »Unter Umständen kann ich etwas in Syrien arrangieren«, sagte er schnell, um dem Kanadier etwas in Aussicht zu stellen, das ihn vorläufig besänftigte und das Gespräch beendete, »da läuft einiges mit dem IS schief. Die Allianz braucht jede Menge Personal.«

      »Das wäre ein Anfang.« Doug entspannte sich, der Tonfall blieb aber drohend. »Aber lass dir nicht zu lange Zeit, nicht nur meine Finanzen gehen zu Ende, auch meine Geduld!«

      Ron Gazzarah hörte das nur mehr mit halbem Ohr. Er ließ sein Essen stehen, verabschiedete sich knapp von Doug, zahlte im Vorbeigehen seine Rechnung und stürmte die Treppen hinunter.

      Unfähig, dachte er aufgebracht, alle unfähig! Dass er sich als Operationschef um eine laufende Angelegenheit persönlich kümmern musste, würde Konsequenzen für die Leute im Libanon haben, das schwor er sich. Aber erst einmal galt es, die Mission ohne großes Aufsehen zu klären. Sein Gehirn lief auf Hochtouren. Er musste in die Botschaft, die Identität wechseln und am Airport Bescheid geben. Er sprang in den silbernen Mercedes in der Tiefgarage. Während er die Nummer des Piloten wählte und auf den Quai hinausbog, hatte er den Kanadier bereits vergessen.

      Die vorweihnachtliche Atmosphäre des verschneiten Freitagabends war wieder der üblich grauen Londoner Suppe gewichen, als Lena am Sonntag frühmorgens Richtung Stadt fuhr. Es war kalt geblieben und der feine Nieselregen fror auf den Fahrbahnen der Nebenstraßen. Sie war vorsichtig unterwegs, immer wieder schlitterte der Mini, trotz seiner sehr guten Straßenlage, seitlich weg. Ihre Laune passte zum Wetter, denn die Scheiben waren zugefroren gewesen und Lena hatte noch keinen Eiskratzer gekauft. So mühte sie sich mit einem Küchenschaber ab, der für derartige Zwecke als Notbehelf im Auto lag.

      Sie hatte gestern bis Mittag geschlafen und dann alle Überlegungen Hawks nochmals überdacht. Falls er recht haben sollte, war der Stoff brisant. Heute war sie um sechs aufgewacht und konnte – den Kopf voller Gedanken – nicht mehr einschlafen. Eigentlich wollte sie das Wochenende über ausspannen, spazieren gehen und den beginnenden Urlaub genießen; doch jetzt sprang sie aus dem Bett und fuhr, entgegen dieser Pläne, ins Büro. Die Redaktion besaß ein umfassendes Archiv mit allen wichtigen Meldungen, auch solchen, die nicht veröffentlicht wurden. Dort gab es die größte Chance etwas zu finden, das die These Hawks bestätigen konnte.

      Die Straßen in der Innenstadt waren menschenleer, nur einige verschlafene Fußgänger führten ihre Hunde an der Leine, die in dem eisgrauen Morgen auch nicht sehr erfreut wirkten. Es war erst halb acht, als sie in die Tiefgarage fuhr.

      Lena wunderte sich, als sie die Eingangstür zum Büro aufstieß: Es war nicht abgeschlossen und überall brannte Licht. Sie ging vom Entree in das große zentrale Arbeitszimmer, wo die Fotografen und die freien Mitarbeiter ihre Plätze hatten – nichts.

      »Lena?«, fragte die Stimme hinter ihr.

      Sie drehte sich um. Es war Clark, der mit einer Tasse Tee aus der Küche kam.

      »Du bist schon da? Und noch dazu am Sonntag?«, meinte sie erstaunt.

      »Dasselbe könnte ich dich auch fragen!« Clark war bester Laune, ungeachtet der frühen Stunde. »Hast du nach zwei Tagen schon genug vom Urlaub oder ist es die Sehnsucht nach den Kollegen?«

      »Nein, es ist der nächste Stoff. Mich lässt da eine Idee nicht zufrieden. Und bei dir?«

      »Mich lässt der Boss nicht zufrieden«, er grinste sie an, »unser Herr und Meister kommt gegen Mittag aus der Schweiz zurück. Ruth ist auch da, wir müssen Verschiedenes vorbereiten, er will wissen, was in seiner Abwesenheit los war.«

      »Ah, ich dachte, Shyam bleibt länger weg«, meinte Lena, »passt mir aber gut, dann kann ich gleich wegen der nächsten Sendung mit ihm sprechen.«

      »Das ging aber schnell«, sagte Ruth, die Lena sprechen gehört hatte und aus ihrem Büro kam, um sie zu begrüßen. »Vorgestern wolltest du noch eine Woche lang gemütlich darüber nachdenken. Was ist es denn?«

      »Es geht um den Anschlag auf die Underground bei uns in London.«

      »Du meinst von 2005?«

      »Genau, aber nicht nur darum, sondern auch um den Vorfall in Moskau davor und um den heurigen Anschlag in Brüssel.«

      »Irgendwie blicke ich da jetzt nicht ganz durch«, Ruth schüttelte verständnislos den Kopf, »was haben die miteinander zu tun?«

      »Bring mir auch einen Tee«, sagte Lena zu Clark, »dann erzähl ich’s euch.«

      »So werde ich ausgenutzt«, maulte Clark scherzhaft.

      Lena lachte und warf die Tasche mit dem Laptop auf einen Stuhl, während er zurück in die Küche ging, um ihr eine Tasse Tee einzugießen.

      »Das wäre doch ein ziemlich heißes Ding, meint ihr nicht?«, fragte Lena, als sie beim Tee saßen. Sie hatte Hawks Mappe offen, den Inhalt auf dem Tisch ausgebreitet und die beiden in ihre Überlegungen