»Dann solltest du daran arbeiten.«
»Mit meinem königlichen Titel und allen Erwartungen, die daran hängen? Ich muss erst einmal meinen Militärdienst absolvieren.« Seinen Zweifeln Ausdruck zu verleihen, betonte die Schatten und Grauzonen seines Lebens.
»Blablabla, Ausreden. Sag doch gleich, wenn du Angst hast. Das nimmt dir schon keiner übel.«
»Wie bitte? Hast du gerade ›blablabla‹ gesagt? Ich habe keine Angst. Also bitte.«
»Na, wir wissen doch beide, dass mit deinen Ohren alles in Ordnung ist.«
Er hatte gelacht, sie in die Arme geschlossen und herumgewirbelt. Und beinahe geküsst. »Amerikaner. Ihr haltet euch für sooo klug.«
Ihre Augen hatten sich zu einem goldenen Speer mit haselnussbrauner Spitze verengt. »Halten? Wir halten uns nicht für klug, mein Bester, wir wissen, dass wir es sind.«
»Stephen. Sir.« Thomas kam zu ihm auf den Balkon. »Ich habe Miss Del Rey angerufen. Sie hat uns die Erlaubnis erteilt, in ihrer Wohnung unterzukommen.«
»Du hast was?« War das eine Verschwörung? »Nein. Finde eine andere Unterkunft.«
Thomas schüttelte den Kopf. »Ich bin verantwortlich für die Sicherheit, und ich tätige die Anrufe. Miss Del Reys Wohngebäude ist sicher und diskret. Ihre Wohnung ist die einfachste und sicherste Lösung.«
Stephen seufzte. Wenn sie gemeinsam reisten, kümmerte sich Thomas um strikte Kontrolle. Selbst wenn sie mit seiner Mannschaft unterwegs waren, konnte es sein, dass Thomas Stephen in ein anderes Hotel bringen ließ, wenn er den Eindruck hatte, es sei nicht hundertprozentig sicher. Seit Torcham verlangte der Palast gewisse Sicherheitsanforderungen. Stephen würde nie »einer von den Jungs« sein können. Aber er machte Abstriche, um das tun zu können, was er liebte.
Er sah Thomas scharf an. »Bist du sicher, dass es ihr nichts ausmacht?«
»Ich habe sie nicht gefragt, ob es ihr etwas ausmacht. Ich habe sie gefragt, ob sie für uns Platz hat. Was sie von der Situation insgesamt hält, ist zweitrangig und muss hinter unserer Sicherheit zurückstehen.«
Stephen seufzte und machte sich auf den Weg zur Treppe. »Wann treffen wir uns mit ihr?«
»Sie ist auf dem Nachhauseweg und macht unterwegs noch einen Zwischenstopp. In einer Stunde treffen wir uns mit ihr an ihrer Wohnung.«
Oben, unter der Dusche, überkam ihn eine Welle aus Panik. Sie tränkte sein Herz, während ihm das warme Wasser über Nacken und Rücken strömte.
Wie konnte er sie nur überzeugen? Er konnte sich wie der letzte Barbar verhalten, was die Annullierung anging, und sie dazu bringen, ihn zu hassen. Aber er war sich nicht sicher, ob er das über sich bringen würde. Oder ob das etwas an ihrem Entschluss ändern würde, dass er herausfinden sollte, was mit ihrem Bruder geschehen war.
Bedauern. Das trug er wie einen Winterschal. Wenn er zurückreisen und irgendetwas an den Ereignissen ändern könnte, die zu dieser Nacht geführt hatten, er würde es tun. Aber das konnte er nicht, und sechs Männer waren gestorben. Für ihn.
Stephen schlug mit den Fäusten gegen die Fliesen der Dusche. Er wusste es nicht. Er wusste es nicht!
Was machte es schon für einen Unterschied, was er ihr erzählte? Er würde einfach etwas erfinden. Denn egal, ob sie die Papiere nun unterschrieb oder nicht, ein freier Mann würde er ohnehin nie sein.
Und das war eine Tatsache, mit der er für den Rest seines Lebens auskommen musste.
¢
Corina verließ zum vertrauten »Ping« den Fahrstuhl in ihrem Wohnkomplex, am einen Arm schwangen Plastiktüten, im anderen hielt sie eine Vase voller roter Rosen.
Gigi hatte ihre Angestellten gerade in den Feierabend geschickt, damit sie sich um ihr Zuhause und ihre Familien kümmern konnten, als Thomas angerufen und sie mit seiner freundlichen Stimme um einen Unterschlupf gebeten hatte.
»Es ist nur so, dass wir niemand anderen hier kennen und eine sichere Zuflucht brauchen.«
»Ja, also, ich weiß nicht …«
»Bitte, Corina, Sie sind unsere schnellste und sicherste Möglichkeit.«
Seufz. »Nur, wenn er sich anständig benimmt.«
Thomas lachte. »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«
Aber mal im Ernst: Was sollte sie denn tun? Thomas absagen? »Soll der Mistkerl doch ins Meer gespült werden.« Oder: »Dann müssen Sie dem Sturm eben im Sea Joy Motel trotzen.«
Als sie ihren Einkaufswagen durch den überfüllten Supermarkt schob, fand sie den Silberstreif am Horizont. Gute 18 Stunden in ihrer Wohnung festzusitzen, während draußen ein Sturm tobte, könnte genau das Richtige sein, um Stephen die Wahrheit abzupressen.
Sie nickte Captain, dem Türsteher, zu, als sie die Eingangshalle betrat. Stephen und Thomas folgten ihr auf dem Fuße.
»Ich hoffe, wir drängen uns nicht zu sehr auf.«
Sie drehte sich um und sah Stephen, ach so selbstbewusst, mit großen Schritten auf sich zukommen.
Sie balancierte die Rosen und fasste die Griffe ihrer Plastiktüten noch einmal etwas fester. »Ich habe doch ja gesagt, oder?« Sie drückte auf den Fahrstuhlknopf. Ihr Herz schlug einen Trommelwirbel voller Gefühle.
An ihrer Wohnungstür angekommen, lud Corina die Herren ein und zeigte ihnen den Weg zu dem Schlafzimmer am Ende des kurzen, dunklen Flurs. Sie war sich sicher, dass ihr die Rosen gleich aus der Hand rutschen würden. »Im Schrank im Badezimmer sind frische Handtücher.« Sie atmete tief durch, als sie ihre Einkäufe auf der Kücheninsel abstellte.
»Corina, die Krone bedankt sich bei Ihnen«, sagte Thomas mit großer Aufrichtigkeit in seinem tiefen Bariton. »Wir werden Ihnen jegliche Ausgaben erstatten –«
»Also bitte, Ausgaben.« Sie grub eine Tüte Erdnuss-M&Ms aus einer Tasche. »Meinen Sie die extravaganten fünf Dollar, die ich für die hier bezahlt habe?«
»Das ist meine Lieblingssorte«, sagte Stephen mit einer beiläufigen, saloppen Art, die so gar nicht nach ihm klang. »Da kann ich dir die fünf Dollar auch gleich bar geben.«
Sie lachte nicht. Aber nur, weil sie wirklich nicht wusste, was er da gerade tat. Humor? Ein Ablenkungsmanöver? Scham?
Er funkelte sie ebenfalls an. »War nur ein Witz, Core.«
Core. Den Kosenamen hatte er bei ihrer zweiten Verabredung benutzt. Nachdem sie ein Semester lang dreimal die Woche bei dem Management-Seminar Stephens Flirtereien standgehalten hatte – hätte sich auf ihrem Tisch ein Tintenfass befunden, wäre es in seinen Haaren gelandet, die Sorte Flirt –, waren sie Freunde geworden. Kameraden. Als ob sie in benachbarten Häusern aufgewachsen wären. Alles war leicht. Die Gespräche. Das Lachen. Sogar die schweigsamen Momente.
»Ihr könnt euch von allem nehmen. Gratis.« Denn das war schon von jeher die Grundregel in der Küche der Del Reys.
Während Stephen und Thomas sich im Gästezimmer einrichteten, leerte Corina ihre Einkaufstaschen. Oreos, M&Ms, Weintrauben, Kirschen und kandierte Äpfel arrangierte sie auf der Kücheninsel. Das Wasser und die Cola light verstaute sie im Kühlschrank.
In ihrem Schlafzimmer schlüpfte sie in ein paar Shorts und ein Top. Erst jetzt wurde ihr klar, wie ihr Unterbewusstsein sie gesteuert hatte, als sie die Erdnuss-M&Ms in den Einkaufswagen gepackt hatte. Sie selbst bevorzugte die einfachen Schokolinsen. Aber