SECHS
Gigi
Schon als kleines Mädchen, das barfuß über die Hügel ihrer Heimat in den Blue Ridge Mountains, Georgia, sauste, hatte Gigi Beaumont ein Näschen für Neuigkeiten gehabt.
Sie hatte den schönsten Klatsch und Tratsch gesammelt, indem sie um die schrumpeligen Bergbewohnerinnen – die die eine oder andere saftige Geschichte zu erzählen wussten – herumgeschlichen war, während diese sich im Gemischtwarenladen unterhielten oder über den Marktplatz schlenderten. Dann hatte Gigi ihre Geschichten aufgeschrieben und sie auf dem Matrizendrucker, den sie im Kirchenkeller gefunden hatte, vervielfältigt. So hatte sie im zarten Alter von zehn Jahren ihre erste Zeitung hergestellt.
Als Mama diese Zeitung gelesen hatte, hatte sie Gigi eine gründliche Abreibung verpasst für das, was sie über die Frau des Bürgermeisters geschrieben hatte. Aber als sich herausstellte, dass es stimmte – »es« war in diesem Falle eine Affäre mit dem Sheriff –, war Mama ihre beste Außendienstlerin und Informantin geworden.
46 Jahre später kroch sie immer noch um die Geschichtenerzähler und Tratschweiber herum und hoffte auf »die« Story. Die Skandalgeschichte, die die Welt aus den Angeln heben würde.
Beaumont Media konnte weiß Gott einen Durchbruch gebrauchen.
Mark Johnson einzustellen war nur ein heimlicher Schachzug, um der stagnierenden Marke ihrer Zeitung neues Leben einzuhauchen.
Vor 20 Jahren war sie Pionierin im großen Spiel der Online-Nachrichten gewesen.
Vor 15 Jahren hatte sie als Leitwölfin im stetig wachsenden Rudel der Nachrichtenportale im Internet gegolten.
Vor zehn Jahren waren dann die größeren alten Print-Köter mit all der Kraft und Macht, die ihnen durch ihre langjährigen Traditionen und gefüllten Bankkonten zur Verfügung standen, von der Veranda gesprungen und an ihr vorbeigezogen.
Letztes Jahr hatten ihre Bücher nur so von roter Tinte getrieft.
Sie ließ nach. Verlor. In so einer Situation war sie in ihrem ganzen erwachsenen Leben noch nie gewesen. Die Dinge standen so schlecht, dass sie heute Morgen fast, fast, gebetet hätte, als sie beim Duschen mit Grauen an das Treffen mit ihrem Finanzvorstand dachte.
Was sie brauchte, war ein Scoop, eine Sensationsnachricht. Eine Riesenstory. Sie musste im Boulevardbusiness unbedingt wieder obenauf kommen. Und das war genau der Punkt, an dem Corina, das It-Girl, ihr Gewicht in Gold wert war.
Das waren Gigis Gedanken, als sie um halb Neun am Freitagmorgen mit einem Café Latte in der einen und einer braunen Papiertüte in der anderen Hand das Beaumont-Gebäude betrat. Es war ziemlich leise. Die Party für Mark gestern Abend hatte lange gedauert. Als Gigi River Rock um Elf verlassen hatte, waren die meisten Angestellten noch dort gewesen.
Ein ruhiger Freitagmorgen kümmerte sie nicht, solange jeder seine Arbeit vor Montag irgendwie erledigt bekam.
Als sie durch die Lobby ging, winkte Jones, der immer noch Schicht hatte, sie mit einem Pssst herüber. Gigi war eigentlich danach, einfach weiterzugehen, aber mit einem Seufzer, der Bände sprach, gab sie doch nach. »Ja, Jones, guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?« Er war zugegebenermaßen eine großartige Quelle für Informationen und Tratsch, was die Mitarbeiterschaft in Melbourne anging. Gigi beugte sich über seinen Tresen und hörte mit scharfen Ohren zu. Sie hatte den Verdacht, dass der Chef ihrer IT-Abteilung sie beklaute. Irgendwie kam es ihr vor, als würde sie in letzter Zeit eine Menge neuer Laptops absegnen.
»Ich dachte, es interessiert Sie bestimmt, dass ein junger Herr Miss Del Rey gestern auf dem Parkplatz abgefangen hat, nachdem Sie gegangen waren.«
Das war es? Seine Pssst-Neuigkeiten? »Was Sie nicht sagen? Was denn für eine Art junger Herr?« Corina war ein artiges Vorzeige-Mädchen mit weißer Weste. Wie? Das würde Gigi wohl nie herausfinden. Das Mädchen war als Teenager mit Paris Hilton und Konsorten unterwegs gewesen und nicht ein einziges Mal wegen Trunkenheit, Rauchen oder Sex in die Schlagzeilen geraten.
Gigi nippte an ihrem Kaffee und war schon gelangweilt von ihrem Gespräch, als es sie plötzlich in der Nase juckte. Ach, schau her.
»Ich weiß nicht, welche Art Gentleman. Er schien soweit ganz sauber, obwohl Miss Del Rey mächtig unter Anspannung zu sein schien. Ich hab zu ihr rüber gerufen, ob auch alles in Ordnung sei. Sie versicherte, es sei alles gut. Aber ich glaube, die haben über was gestritten, Miss Beaumont.«
Gigi schenkte Jones ein ermutigendes Lächeln. »Haben Sie irgendetwas von dem Gespräch mitbekommen?« Also, Corina, was versteckst du?
»Nein, leider nicht, aber ich glaube, das war was Ernstes.«
»Danke, Jones. Sie sind ein guter Mann. Erinnern Sie mich daran, Ihnen bei Gelegenheit eine Gehaltserhöhung zu geben.«
»Ja, Ma’am. Gern geschehen.«
Er nickte auf eine Art und Weise, die Gigi zeigte, dass er sich mehr darüber freute, dass er wusste, wie er in ihrem Spiel mitspielen konnte, als über die Vorstellung einer Gehaltserhöhung.
Als sie sich abwand, um weiterzugehen, lieferte Jones noch ein Apropos nach. »Hab ich erwähnt, dass da noch ein zweiter Mann war? Groß und kräftig, hat mich an meinen Schwager bei den Special Forces erinnert. Er hat am Auto auf den anderen gewartet. Und wo ich doch selber im Sicherheitsdienst arbeite, erkenne ich einen Bodyguard, wenn ich einen sehe.«
»Ein Bodyguard? Sind Sie sicher?«
»Würd die Gehaltserhöhung drauf wetten, die Sie mir versprochen haben.«
»Hmm … Sehen Sie mal, was Sie noch herausfinden können, Jones.«
Er ließ sein breites, weißes Grinsen blitzen. »Sie können sich auf mich verlassen.«
Beim Aufzug drückte Gigi den Pfeil nach oben. Na, na, na, wenn sich da nicht was zusammenbraute. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, heute Morgen eine Gedankenknobelei zu lösen, aber Jones‘ Neuigkeiten faszinierten sie.
»Dann kamen die Rosen.«
Gigi wirbelte zu Jones herum. »Rosen?«
»Die sind jetzt auf ihrem Schreibtisch. Ein Mann hat sie heute früh um acht geliefert. Können Sie sich das vorstellen? Frühmorgens um acht.«
»Wirklich, Jones?«
»Wetten, da schwärmt jemand ziemlich für sie.«
»Die Wette würden Sie vermutlich gewinnen.« Ein verliebter Mann? Gigi rubbelte sich die Nasenspitze. Jap, Liebe. Sie würde ihr Vermögen darauf setzen. »Haben Sie vielen Dank, Jones.«
»Immer wieder gerne, Miss Beaumont.«
»Ich sage der Buchhaltung, sie sollen sich umgehend um Ihre Gehaltserhöhung kümmern.«
»Ja, dann danke ich schön. Vielen, vielen Dank.«
Auf diese Art und Weise dehnte sie ihr Reich aus. So gewann sie die Leute für sich. Indem sie ihnen bezahlte, was sie ihr wert waren. Indem sie für ihr Wissen, ihre Loyalität und gelegentlich für ihr Schweigen bezahlte.
Sie fuhr in die erste Etage und grübelte über diese Entwicklung nach. Normalerweise würde sie sich keine weiteren Gedanken darüber machen, wenn sich eine der weiblichen Angestellten mit einem Mann auf einem Parkplatz unterhielt. Aber Corina Del Rey war keine normale Frau.
Gigi betrat das Großraumbüro und ging zu Corinas Schreibtisch, wo der schönste Rosenstrauß, den die Welt je gesehen hatte, die Sonnenstrahlen einfing, die durchs Oberlicht fielen. Mindestens zwei Dutzend Stück. Mindestens.
Sie tätschelte Melissas Arm, als sie vorbeischlich. »Wer hat die hier geschickt?«
»Sag du’s mir, Boss. Du bist doch immer schon ihre