Die Rosenlady und der Sekretär. Christine Meiering. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Meiering
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783961456291
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zutiefst beglückt: Unsere verehrte Frau Mutter sitzt an diesem Sekretär und erledigt ihre Post. Ihr Kopf ist über die Schreibplatte gebeugt. Einzelne dunkle Haarlöckchen umspielen ihr Ohr, das dem Betrachter zu allererst ins Auge sticht. Sieh’ mal hier! Mamas Fledermausohren! Wie oft verwünschte sie diese Schönheitskiller!“ Der uralte Herr streicht mit seinem tanzenden Finger über die filigrane Hand seiner Mutter. „Diese passen so gar nicht zu ihren Riesenohren! Seht mal, wie die weißen Armrüschen im Kontrast zu dem schwarzen Kleid ihre dunkle Erscheinung auflockern! Ihrem Briefeschreiben, ihrer Lieblingsbeschäftigung, der widmete sie sich am liebsten zur Zeit des Sonnenuntergangs, vornehmlich dann, wenn rotgoldene Strahlen das ganze Zimmer in warmes, anheimelndes Licht versenkten. Unsere Mama, die gute, mit ihrer Feder malte sie so wunderbare Blumen auf Pergamentpapiere. Sie war eine rechte Könnerin auf diesem Gebiet! Ganz besonders liebte sie es auch, einzelne Blumenblüten aus dem Garten zu pressen … Ethel, sie schwärmte auch, wie du es tust, von Rosen in allen Facetten …“

      „Ja, meine Schwiegermutter, sie hat mir ihre Rosenliebe in jungen Jahren eingepflanzt!“ Dankbar fällt Ethels Blick auf die gelbe, voll erblühte Pracht in der Wedgwood-Vase. „Ich glaube, ihr dürstet wieder nach feuchtem Element!“ Mit Hingabe streichelt sie über eine Blüte, die schon fast eine ihrer ‚Dutzend-Decken‘ berührt.

      Der alte Herr lässt sich nicht gerne unterbrechen und fährt fort, seine Erinnerungen kund zu tun. „Unsere Mama, ja, sie legte oft Vergissmeinnichtbünde zwischen Löschpapier und verstaute sie zwischen diesen Büchern …“, dabei gleitet sein Blick weiter von den Schubladen des Sekretärs bis zu den Glasscheiben hoch, hinter denen die farbigsten und die farblosesten Buchbände zumeist einen langen Schlaf halten dürfen. „Einigen von ihnen war die besondere Ehre zuteil geworden, als Plätteisen für Blüten und Gräser zu dienen. Mama klebte die filigranen Trockenblumen danach fein säuberlich auf Büttenpapier, so dass sie damit Verwandte sowie gute Freundinnen gerne mit ihren individuell gestalteten Grüßen erfreuen konnte!“

      Adelaine, über die Schreibtischablage gebeugt, versucht, ihre Gedanken zu sortieren. Vergissmeinnicht und Co., Löschpapier und Federzeichnungen erst einmal adé! – jetzt muss zunächst die Schatzsuche nach dem Stammbaum beginnen, jetzt muss die Fährte aufgenommen werden! „Grandma, die vorletzte? Richtig so? Wie weiter?“

      „Bei dir, oh, du mein Kind, da müsste doch noch ein frischer Wind im Oberstübchen wehen, oder? Aber … ich gebe es unumwunden zu, … ich bin diejenige, die sehr viel mehr Sekretär-Erfahrungen hat! Adelaine, ziehe bitte die vorletzte der breiteren Schubladen heraus! Und zwar die linke!“

      „Grandma, guck’ mal hier! Meine neueste Entdeckung! Wie reizend! Eine wahre Schatztruhe, dein Sekretär! Eigentlich euer Sekretär! Und ganz eigentlich auch der meinige!“ Und während sie eine Lobeshymne auf ihren unbeabsichtigten Fund ausstößt, tippelt sie mit tänzerischen Schritten, die luftige Entdeckung zwischen ihren Fingern, ihrer Großmutter entgegen.

      „Um Himmelswillen!“ Großonkel, auf Stammbaumfreuden geeicht, wird ungeduldig. „Immer diese Weibergeschichten!“ Sein Blick richtet sich auf das zierliche Ding da, das ihm irgendwie bekannt vorkommt, nicht dieses spezielle hier, sondern solcherart weiblicher Spielerei im allgemeinen, die mit seiner Jugendzeit untrennbar verbunden gewesen war, der Walzerklang, Rosalias Lippen in erreichbarer Ferne und der hauchdünne aufgefaltete Fächer als Tugendwächter dazwischen. Aber nein, weg mit diesen weibischen Angelegenheiten! Sein Blick fällt auf den Shakespeare-Band vor ihm auf dem Tisch – oh, nur nicht schon wieder irgendwelche Rührseligkeiten …, gemahnt er sich und beginnt darin zu blättern.

      Die alte Dame ergreift ihr Monokel, entfaltet glänzenden Auges den Fächer, begleitet von den Worten: „Mein Kind, das ist ein ganz edler, aus feinster Ziegenhaut!“ Betastend und liebkosend befingert sie ihr Kleinod, auf ihrem Schoß liegend ist es halbkreisförmig entblättert. Goldverzierte Stäbe verleihen dem Kunstwerk einen verheißungsvollen Glanz. „Weißt du, Adelaine, wie Damen von Welt ihn geschickt verwendet haben? So, betrachte dir das genau, so …“, sie erzeugt durchs Wedeln einen Luftzug, „… so und nicht anders!“

      „Bald schwelgt mein Blick in deiner Schönheit Fülle!“ Schwagers Blick bleibt auf einer bestimmten Buchseite hängen und flüstert diese Zeile vor sich hin. „Nein und nochmals nein! Ich bin schließlich ein alter Mann!“ Er packt sicher hundert Seiten auf einmal, schlägt sie forsch um und bekommt endlich eine Buchseite geliefert, die ihn augenblicklich ins Hier und Jetzt zurückzurufen hat, wie er es sich ersehnt: „Ein Schatten nur, der wandelt, ist das Leben, weiter nichts!“ Er stutzt und fasst dabei die verrückten Frauen ins Auge. „Grandma, zeig’ mir’s noch einmal!“

      Adelaine betrachtet das Bild vor ihren Augen mit größter Andacht. Mit koketten Bewegungen wedelt Lady Ethel den kunstvollen Fächer hin und her, mit Liebreiz und Koketterie! Wie ein junges Mädchen, denkt sie und schnuppert geradezu den ausströmenden Veilchenduft ein, denn diese wunderschönen blauen Blümchen verzieren, zum Bukett gebunden, dieses Damenaccessoire vergangener Jahrhunderte, einer von den vielfachen, mit romantischen Motiven bemalt, die die Herzen der Damen höheren Geblüts eroberten.

      „Mein Gott, ihr beiden, jetzt lasset uns endlich zu handfesten Dingen übergehen.“

      Der alte Herr, der schwereren Buchkost jetzt eher abgeneigt, schmunzelt vergnügt ob seiner anmutig fächelnden Schwägerin.

      „Adelaine, sieh mal! Der Fächer konnte früher eine Herzenssprache sprechen. Das hier …“ Und bei ihren Worten zieht sie den Fächer über ihre Wangen, den rötlich schimmernden. „Dieses bedeutet: Ich liebe dich!“ Ein schnelles „Ja! Ja!“, dem Schwager zugerufen, und schon beendet sie diese Fächergeschichte mit den Worten: „Meine Großmutter hat mich noch in diese Sprache eingeweiht. Das meiste hab’ ich wieder vergessen. Das Wichtigste, nämlich das mit der Liebe, behält eben auch ein alter Kopf!“

      Adelaine beobachtet, wie Grandmas flüchtige Gesichtsröte beim Zusammenfalten des Fächers nach und nach wieder entweicht. Direkt neben der Rosenvase kommt das Tausenderinnerungsstück wieder zum Liegen.

      „… ja, Rosen, Veilchen und Vergissmeinnicht …“, so sinniert Großmama hörbar, „… alles Herzensblumen! Zum Verlieben!“

      „Aber ja, jetzt ab zum Stammbaum, ihr meine beiden Lieben!“ Adelaine sagt’s und spürt sogleich, dass Großmutter sich nicht allzu gerne aus ihrer Traumwelt herausreißen lassen möchte! Aber ihr Gegenüber ist nun mal ein Herr, ein Herr, der wie alle Herren der Welt Empfindsamkeit als weibliches Attribut belächelt, ein äußerst gestrenger Herr dazu.

      Dieser streckt für einen kurzen Moment seine knorrige Hand aus, zeigt mit den Fingerspitzen auf die Familien-Schatztruhe, räuspert sich, seinen buckligen Rücken kurzzeitig in eine streckende ‚Ja, wer sagt’s denn Haltung!‘ bringend, ehe sich sein herausfordernder Blick mit dem erwartungsvollen Blick seiner Schwägerin kreuzt und er mit ernster Miene zum Sprechen ausholt: „Ethel, diese Rolle hier …“, und dabei zeigt er auf ein aufgewickeltes Papier, etwas vergilbt, mit dem Kennzeichen: ‚Eselsohr, rechts oben‘, und vergeblich über die umgeknickte Ecke streichend, murrt er etwas von einem armseligen Zeichen von Geringschätzung, ehe er sich wieder der Angesprochenen zuwendet: „Ethel, ich möchte dir eines ans Herz legen: Diese Rolle ist immer und überall in Ehren zu halten. Es ist ein besonderes Papier …“, währenddessen faltet er die Rolle auseinander, nachdem er zuvor Ethels Vase leicht zum Tischrand gestupst hat, zugegebenermaßen nicht sehr liebevoll, zum Leidwesen der Rosenlady.

      „Adelaine, stell’ die Blumen bitte auf die Vitrine!“, bittet sie ihre Enkelin daraufhin.

      Beim Aufrollen fällt dem Familienoberhaupt noch eine weitere kleine Rolle entgegen, die sich in der großen sicher und geborgen aufgehoben wusste. „Bedenkt mal, ihr beiden, das hier betrachte ich durchaus als sinnbildlich: Der Einzelne sieht sich im Großen und Ganzen einer Familie geborgen. Er lebt eingebunden in den Familienverbund, fühlt sich als wichtiges Glied seinen Vorfahren verpflichtet und schuldet ihnen Ehrerbietung. Was waren das alles für stattliche, honorige Persönlichkeiten, die sogar Weltgeschichte geschrieben haben? Unser Urstammvater, ja, als solchen würde ich ihn wohl bezeichnen, das war der Franz, hier der da! Sieh’ mal, Adelaine …“, und dabei tippt er ganz oben