9 : 30 Uhr. Ich werde zusammen mit einer Handvoll weiterer Touristen zur fünfstündigen Stadtrundfahrt abgeholt, die in meinem Rundum-Sorglos-Paket enthalten ist. Und genau hier beginnt das Problem. Wenn ich an dieser Stelle über alles berichte, was wir gesehen und vor allem gehört haben, wird aus diesem Kapitel ein eigener Reiseführer. Deshalb entscheide ich mich für die Rubrik „Was Sie immer schon über Hong Kong wissen wollten, aber noch nie zu fragen wagten“. Die seriösen touristischen Fakten weise ich in die Schranken von drei, vier Sätzen. Denken Sie aber bitte nicht, ich hätte nicht aufgepasst!
Wir absolvieren die Hong Kong Island Tour: Nach dem obligatorischen Stopp am Fährhafen besuchen wir Repulse Bay, einen populären Strand mit der riesigen Statue der Meeresgöttin Tin Hau und werfen einen Blick auf die Hausboote der Fischer im Taifun-Schutzhafen Aberdeens. Dort schippern wir auch eine halbe Stunde mit einem Sampan herum. Nicht fehlen darf natürlich ein Ausflug auf den Peak, dem 550 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Wahrzeichen Hong Kongs, von dem aus man einen fantastischen Blick auf die Insel, den Hafen und Kowloon werfen kann; auch wenn es heute etwas diesig ist. Und jetzt ist Schluss mit den touristischen Fakten.
Her mit dem Soziokulturellen! Unser Reiseleiter ist Vincent, ein Chinese aus Hong Kong, der sechs Jahre in Berlin gelebt hat und fließend Deutsch spricht. Um es vorweg zu nehmen: Sein bissiger Humor und sein starker Hang zur Ironie machen diese Tour zum absoluten Vergnügen. Dank des Mikrofons kommt auch der kleinste Wortwitz an. Was nicht selbstverständlich ist, sitzen doch im hinteren Teil des Kleinbusses noch je zwei Italiener und zwei Amerikaner mit je einem Stadtführer, der in ihrer Muttersprache mit ihnen kommuniziert. Hintergrund dieser kuriosen Verdichtung von Gruppen: dem Veranstalter fiel heute Morgen aus technischen Gründen ein Kleinbus aus. Großes Sprach- und Stimmengewirr!
Nicht mein Hotel
Jetzt zu unserem heutigen Schwerpunktthema: Wir könnten unbedenklich alles von den Straßenständen und Garküchen der Märkte essen, versichert Vincent. Vorausgesetzt, wir verlassen die Stadt noch am gleichen Tag, verschonen somit die Einwohner mit den Folgen und legen Wert darauf, im Flieger auf einem anderen Platz als gebucht gebettet zu werden. Erhöhte Aufmerksamkeit des Flugpersonals inklusive. Auch lernen wir, dass betuchte Russen sich gerne, wenn möglich auf dem Luftweg, bis aufs Hoteldach bringen lassen, es doch recht wenig Internet-Cafés gibt, da zu Hause jeder WLAN hat, die Neun für Chinesen eine Glückszahl ist, Fußgänger bestraft werden, wenn sie beim Überqueren der Straße bei roter Ampel erwischt werden, und die meisten Gerüste in der Stadt aus Bambus bestehen. Das Bautempo in der Stadt ist hoch. Alle drei Tage ist ein neues Stockwerk hochgezogen. Auch die horizontale Dimension kommt nicht zu kurz. Hong Kong wächst jedes Jahr um einen Quadratkilometer durch künstliche Aufschüttungen.
Eine gar wunderliche Geschichte weiß der eloquente Vincent von den Begleitumständen des Flughafenneubaus auf Lantau zu berichten. Tierschützer monierten, dass dort eine Froschart lebt, die es sonst nirgends gibt und die deshalb geschützt werden müsse. Den Neubau konnten sie damit nicht verhindern. Allerdings wurden die Tierchen weitgehend eingesammelt – und nach Australien verschifft. Nachdem der Flughafen eröffnet war, wurden trotzdem noch einzelne Frösche dort gefunden. Die Evakuierung war offenbar nicht vollständig erfolgt und somit nicht so verlaufen wie geplant. Das Ergebnis, warum auch immer: die Frösche wurden von Australien aus wieder nach Lantau zurückgeholt. Urlaub mit Rückkehrgarantie auf Staatskosten. Den Wahrheitsgehalt kann ich nicht überprüfen. Aber die Story ist gut – so oder so. Während Vincent munter erzählt, passieren wir die riesige Baustelle auf Hong Kong Island, die mir schon gestern auffiel. Heute erfahre ich, dass hier Regierungsgebäude entstehen.
Auch die Zahlenkombination 18 ist bei den Chinesen beliebt. Bedeutet sie doch, dass Reichtum sich ganz sicher einstellt, vor allem dank der Acht. Vincent zufolge hat ein wohlhabender Herr wohl eine siebenstellige Summe dafür gezahlt, um die 18 als Autonummer zu bekommen.
Diese ultramoderne Stadt entledigt sich gerne ihrer alten Gebäude. 20 Jahre gelten als alt. Die Steigung zum Peak, von dem aus die berühmte Sicht auf Hong Kong möglich ist, beträgt satte 27 Grad. Laufen Sie die mal! Wir fahren jedenfalls mit dem Bus hoch. Der Anblick ist atemberaubend. Vincent liefert augenzwinkernd auch eine mehr als einleuchtende Erklärung, warum die Bewohner Hong Kongs eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit aufweisen. Die Kosten für Erdbestattungen sind exorbitant hoch. Da braucht es ein Weilchen, bis man die Summe zusammengekratzt hat. Er murmelt etwas von 50 000 €. Es handelt sich hierbei jedoch quasi um einen Grundstückskauf. Man kann unbegrenzt liegen bzw. irgendwann jemand anderen dort betten. Andere begnügen sich mit einer Feuerbestattung. Das Sterben muss man sich erst mal leisten können.
In Hong Kong ist es seit Ende der 1960er-Jahre verboten, Hunde und Katzen zu verspeisen. Trotzdem sieht man wenig von diesen beiden Spezies im Straßenbild. Das liegt jedoch eher an den winzigen Wohnungen, die selbst den Menschen kaum Platz lassen – rund drei Quadratmeter pro Nase. Es soll auch Stadtteile geben, in denen Hunde gänzlich verboten sind.
Soziales und Steuern: Inländer müssen sich hier nicht krankenversichern. Bei Behandlungsbedarf zahlt man pauschal rund fünf Euro. Und wie wird die Chose finanziert? Über Steuern. Die Einkommensteuer steigt in Stufen an. Höchste Stufe: 15 Prozent. Damit ist die Krankenversorgung sicher nicht in trockenen Tüchern. Die Umsatzsteuer beträgt satte 0 Prozent. Mehr bringt da wohl die Gewerbesteuer – hier Unternehmensteuer genannt – mit zur Zeit 16,5 Prozent. Ganz zu schweigen von der Luxussteuer, die sich nun wirklich lohnt: 100 Prozent werden hier aufgeschlagen, zum Beispiel auf Autos. Ich rechne und denke darüber jetzt lieber nicht nach. Zahlenangaben ohne Gewähr.
Nahe der Repulse Bay steht ein berühmtes, nach Feng-Shui-Kriterien erbautes Haus mit einem riesigen Loch drin. Denn direkt hinter dem Haus erhebt sich ein Berg. Und in jedem Berg wohnt ein Drache. Drachen brauchen immer Meereszugang. Deshalb das Loch. Uns kann man wirklich alles erzählen. Immer gerne, wenn es unterhaltsam ist! In heiterer Stimmung verabschieden wir uns am Fährhafen von Kowloon. Ich lasse mich noch ein Weilchen ziellos durch die Straßen treiben. Auf dem Rückweg zum Hotel fängt es heftig zu regnen an. Die windige geht nahtlos in die stürmische Phase über und fordert ein erstes Opfer: meinen Schirm. Mehrere Stangen werden dermaßen zerfetzt, dass ich mich gezwungen sehe, ihn im nächsten Mülleimer zu bestatten. Um 20 Uhr werde ich zum Flughafen gebracht. Die Taifun-Warnstufe wurde im Laufe des Tages von 1 auf 3 hoch gesetzt. Es ist höchste Zeit, dass ich abreise.
Zwischen Kowloon und Hong Kong Island
Und wieder kommt es beim Sicherheitscheck des Handgepäcks zu zwei Slapstick-Einlagen. Ich fasse es nicht, erster Teil: ein Herr bringt es tatsächlich fertig, seinen aus allen Nähten platzenden Koffer als Handgepäck durchgehen zu lassen. Dummerweise scheitert er am Inhalt, der ausschließlich aus Nahrungsmitteln und Getränken besteht. Unter anderem ein Zehnerpack Fertigpudding (nicht die Pulverform!) und zwölf Dosen Bier kommen zum Vorschein. Ich fasse es nicht, zweiter Teil: nachdem das Handgepäck schon beim Sicherheitscheck auf Herz und Nieren geprüft wurde, ist beim Einstieg in den Flieger noch mal Handarbeit gefragt, im wahrsten Sinne des Wortes. Hier nennen sie es verharmlosend double check. Jedes, wirklich jedes Gepäckstück wird geöffnet, durchwühlt und teilweise ausgepackt. Mein Wasser, das ich mir extra NACH dem Sicherheitscheck für den Flug gekauft hatte, ist nun auch wieder weg. Der Verlust ist schnell verschmerzt, denn ich habe wiederum einen Premiumplatz in der Holzklasse, vornehm Economy genannt, abbekommen. Die erste Reihe mit jeder Menge Beinfreiheit wartet auf mich. Kurz vor Mitternacht heben wir ab in die stürmische Hong Konger Nacht Richtung Brisbane. Ich freue mich auf Australien!
Brisbane
Beach Life in der City
Brisbane
Heitere