Der älteste christliche Text. Gerd Ludemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Ludemann
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783866741362
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archäologischen Funde geben kaum Aufschluss über die vorrömische Zeit, die mit dem Jahr 168 v.Chr. endete, da Konsul L. Aemilius Paullus den König Perseus bei Pydna vernichtend schlug. Eine Ausnahme sind Reste eines kleinen Serapistempels mit mehr als 70 Inschriften auf Isis, Serapis, Osiris und Dionysos.

      Religionsgeschichtlich und politisch wichtig war der Kaiserkult, dessen Existenz Münzen auf vielerlei Weise belegen.

      Isis, die offizielle Schutzgöttin der römischen Kolonie Philippi, hatte auch in Thessalonich ihre Heiligtümer. »Ihr Kult konnte freilich auch in Privathäusern reicher Leute stattfinden – nicht anders als der der christlichen Gemeinden.«4 Mitglieder der städtischen Oberschichten begünstigten den Kult der Kabiren, bekannt durch das berühmte Heiligtum auf der nahe gelegenen Insel Samothrake. »In manchen seiner Kundgebungen vergegenwärtigte dieser Kult mit orgiastischen Tänzen und einem Gedächtnismahl den gewaltsamen Tod einer göttlichen Gestalt.«5

      Für das erste Jahrhundert n.Chr. gibt es keine direkten Zeugnisse jüdischen Lebens in Thessalonich. Lukas hat die Existenz einer Synagoge in der makedonischen Hauptstadt erfunden.6

      Wer Datum und Abfassungsort eines echten Paulusbriefes ermitteln will, muss das gesamte Leben des Apostels einbeziehen; erst dann lässt sich der betreffende Brief chronologisch einordnen.

       DIE ALTE CHRONOLOGIE

      Der bis vor kurzem allgemein übliche Weg zur Erstellung der Vita des Paulus bestand zumeist darin, die historischen Angaben der Paulusbriefe und die der Apostelgeschichte des Lukas7 vorsichtig miteinander zu kombinieren. Ein wichtiger Fixpunkt ergibt sich daraus, dass in Apg 18,12–17 der Prokonsul Gallio – ein Bruder des Philosophen Seneca – auftritt. Lukas berichtet, korinthische Juden hätten Paulus vor den Richterstuhl Gallios gezerrt.8 Nun lässt sich Gallios Amtszeit als Prokonsul der römischen Provinz Achaia aufgrund von Fragmenten einer in Delphi gefundenen Inschrift etwa in das Jahr 51/52 n.Chr. datieren.9

      Dazu passt Apg 18,2: Paulus traf bei der Erstpredigt in Korinth »einen Juden namens Aquila, aus Pontus gebürtig, der kürzlich aus Italien gekommen war, und Priskilla, seine Frau, denn Claudius hatte befohlen, dass alle Juden Rom zu verlassen hätten.« Dieses Judenedikt datiert der christliche Historiker Orosius (5. Jahrhundert) unter Hinweis auf »Josephus« in das neunte Jahr des Claudius (49 n.Chr.). Dem lässt sich das Gallio-Datum (51/52 n.Chr.) zuordnen. Laut Apg 18,11 fand ja der Prozess gegen Paulus vor Gallio achtzehn Monate nach der Gründung der Gemeinde von Korinth statt.

      Von diesem Zeitpunkt aus berechnet man die Ereignisse vor und nach dem ersten Aufenthalt des Paulus in Korinth.

       Die Zeit nach dem Gründungsaufenthalt in Korinth

      Im Anschluss an den ersten Korinthaufenthalt segelte Paulus nach Ephesus10, dann nach Palästina11 und anschließend zurück nach Ephesus.12 Dort und in Makedonien, wohin er nach dem Aufenthalt in Ephesus gereist war13, schrieb er die beiden Korintherbriefe und den Gal. Den Winter darauf verbrachte Paulus in Korinth, verfasste hier den Röm und schiffte sich im Frühjahr nach Jerusalem ein.14

       Die Zeit vor dem Gründungsaufenthalt in Korinth

      Ehe Paulus zum ersten Mal nach Korinth reiste, wirkte er bereits in Philippi, Thessalonich und Athen missionarisch.15 Zuvor hatte er sich zusammen mit Barnabas als Mitglied einer Delegation der antiochenischen Kirche, in deren Dienst er vierzehn Jahre stand16, nach Jerusalem begeben.17

      Damals, ca. 49 n.Chr., kam es in der jüdischen Hauptstadt zu einem Treffen18 – die Fachleute nennen es »Apostelkonzil« oder »Jerusalemer Konferenz« –, auf dem Judenchristen die Beschneidung von Heidenchristen forderten.19 Trotz scharfer Kontroversen wurde die Einheit der Kirche bewahrt; Heidenchristen mussten sich nicht beschneiden lassen.20

      Ein Zeichen der Gemeinschaft setzend, verpflichteten sich Paulus und Barnabas, eine Kollekte für die »Armen« in Jerusalem zu sammeln21, und kehrten nach Antiochien zurück. Kurze Zeit darauf trennte sich Paulus aber infolge eines heftigen Streits über das gemeinsame Essen zwischen Heiden- und Judenchristen von der antiochenischen Gemeinde und Barnabas.22 Er brach nach Griechenland auf und gründete dort Gemeinden: Philippi, Thessalonich, Korinth.23 Die Szene vor Gallio würde dann der ersten Phase der paulinischen Mission angehören.

      Sollte diese Chronologie zutreffen, so wären die erhaltenen echten Paulusbriefe innerhalb von ungefähr drei Jahren geschrieben worden, und zwar zwischen der Jerusalemer Konferenz und dem letzten Jerusalembesuch, zu dem sich Paulus in Korinth rüstete24, als er dort den Röm verfasste. Ihr Verfasser wäre jemand, der – vor der Griechenlandmission – fast zwanzig Jahre Christ gewesen ist.

       Einwände

      a) Paulus besuchte drei Jahre nach seiner Bekehrung Jerusalem, um Kephas, den damaligen Leiter der dortigen Gemeinde, kennen zu lernen.25 Dies spricht für ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein des Paulus bereits in dieser frühen Zeit. Offenbar hat Paulus schon damals mit Kephas über die Heidenmission gesprochen.26

      b) Paulus war kein Delegat, der im Auftrag der antiochenischen Gemeinde handelte. Er sagt von sich, er sei wegen einer Offenbarung nach Jerusalem gereist und habe das von ihm unter den Heiden verkündigte Evangelium den Jerusalemern vorgelegt.27 Damit setzt Paulus voraus, dass er vor der Konferenz eine selbständige Missionsarbeit betrieb und in dieser Zeit keinesfalls, wie Lukas behauptet, Barnabas untergeordnet gewesen ist.28

      c) Paulus hatte sehr früh auch Mitarbeiter. So begleitete ihn der Heidenchrist Titus nach Jerusalem.29 Durch dessen Mitnahme in die jüdische Hauptstadt unterstrich Paulus, dass fortan unbeschnittene Heiden zum Gottesvolk gehörten – eine Provokation, die zum Hauptgegenstand der Verhandlungen auf der Konferenz werden sollte. In Jerusalem wurde Titus zum Zeugen der Kollektenabsprache. Später setzte er sich als Gehilfe des Paulus erfolgreich für ihre Durchführung in Makedonien und Achaia ein.30

      d) Das Jahr 49 n. Chr. passt nicht als Datum für eine Judenvertreibung aus Rom. Wie bereits angemerkt, stammt diese Angabe von einem christlichen Schriftsteller des 5. Jahrhunderts, dem Presbyter Paulus Orosius, der als Quelle den jüdischen Historiker Josephus (ca. 37–100 n. Chr.) angibt. Doch findet sich nichts Entsprechendes in den vollständig erhaltenen Werken des Josephus.31

      e) Die Hinweise auf weltgeschichtliche Ereignisse im lukanischen Doppelwerk treffen oft nicht zu.

      Erstens. Lukas nennt in Apg 4,6 und in Lk 3,2 irrtümlich Hannas (6– 15 n. Chr.) statt Kaiphas (18–37 n.Chr.) als den Hohenpriester zur Zeit des Wirkens Jesu.32

      Zweitens. Lukas setzt in Lk 2,1–2 die Registrierung zu früh an, denn eine Volkszählung unter Quirinius fand erst ein Jahrzehnt nach Herodes’ Tod statt. Außerdem bezog sich die Registrierung nicht auf das ganze römische Reich, sondern war auf Syrien und Judäa beschränkt.

      Drittens. Lukas datiert in Apg 5,36–37 Theudas falsch und begeht einen groben historischen Schnitzer, indem er Judas zeitlich nach Theudas auftreten lässt.33

      Viertens. Eine Hungersnot »auf dem ganzen Erdkreis« – so Apg 11,28 – hat nicht stattgefunden.34 Diese Nachricht befindet sich auch in krassem Widerspruch zur Apostelgeschichte selbst. Denn im unmittelbaren Kontext, Apg 11,29–30, steht, dass die Gemeinde Antiochiens – trotz der weltweiten Hungersnot – Hilfe nach Jerusalem schicken konnte.

      f) Lukas berichtet von fünf Jerusalemreisen des Christen Paulus35, während die Briefe nur drei belegen36 und keine weitere zulassen: Paulus schließt mit einem Schwur37 eine Reise zwischen dem Kephas- und Konferenzbesuch aus, und eine zusätzliche Reise zwischen der Konferenz und der zur Ablieferung der Kollekte ist aus organisatorischen und finanziellen Gründen unwahrscheinlich. Die Schulexegese streicht die zweite der von Lukas genannten Reisen, bleibt aber eine Begründung dafür schuldig, wie die vierte Paulusreise – der Abstecher nach Jerusalem während der Einsammlung der Kollekte – zustande kam.

      g) Die Darstellung des Lukas leiten oft theologische Ziele. Er beschreibt das Christentum als politisch ungefährliche Religion, die sich