Einer der ehemaligen Weggefährten Mostafas ist der Mundharmonikaspieler. Der Mann mit den dunklen Knopfaugen und einem Hut auf dem Kopf, wie ihn Komödianten tragen. Und tatsächlich. Er führt ein Restaurant, doch sein Herz schlägt für das Varieté. Seine Gäste mit einem Tanz zu beglücken, das Essen heranschweben zu lassen, als jongliere er mit zwanzig Schüsseln und Tellern gleichzeitig, über die Lautsprecheranlage des Restaurants Mundharmonikaklänge in das Kichererbsen-Mus seiner Gäste blasend – das genau ist seine Welt. Mir lässt es den Mund offenstehen. Erstarrt von der Erkenntnis, dass es hier alles gibt. Alles an Charakteren, Wesenszügen, Träumen – wie überall auf der Welt. Irgendwie sind wir alle anders und dann eben auch wieder gleich. Mit Mostafa vollführt der Knopfaugenträger ein Tänzchen zur Musik, welches den beiden gestandenen Männern die Tränen in die Augen treibt. Ich heule beinahe mit, aus Ergriffenheit, dem Leben gegenüber.
Kulissenwechsel. Wir mit Mostafa im Wohnzimmer seines Schwagers. Die Szene: Ein großer saalähnlicher Raum. Der Boden, ein einziges Meer weichen Teppichs. Unterbrochen nur von kleinen goldglänzenden Tischchen am Rand. Darauf das Obst, viel Obst.
Jedem sein eigenes Tellerchen und Schneidbesteck. Ein opulenter Sessel bildet jeweils ein Paar mit einem der funkelnden grazilen Obsttische. Der Rest ist Raum. Raum, sich zu begegnen und sich aus dem Weg zu gehen. Wie Ali, dem Sohn des Hauses, mit seiner Mutter. Er habe Flausen im Kopf, sagt sie. Sie verstehe die Jugend nicht, sagt er. Irgendwie beruhigend, es ist auch hier wie überall. Ali ist Computerspezialist. Er verhilft uns zu minimalem Internet. Eine Unglaublichkeit im Iran. Flüssiges Internet nennt man hier den Vorgang, wenn man einzelne Kilobits von einem Rechner zum nächsten trägt. Schnelligkeit wird überbewertet und Volumen erst recht.
Und dann ist ja auch noch Hochzeit. Afrouz, Alis Schwester, ist aus dem Süden angereist. Englischlehrerin ist sie von Beruf. Nur unterrichten kann sie nicht. Verheiratet zu sein bedeutet oft, seinen Job an den Nagel zu hängen. Afrouz leidet darunter, dass zur Ehre ihres Mannes zählt, für seine Frau zu sorgen. Ginge sie arbeiten, hieße das, er schafft nicht genügend Geld heran. Was einer Schmach für die männliche Familienehre gleiche, sagt sie. Vielleicht höhlt ja aber doch der stete Tropfen den Stein? All die jungen Frauen, denen ich begegne und die sich das Gleiche wünschen. Ein Leben für die Familie. Was jedoch nicht heißen kann, sich selbst in seinem eigenen Bedürfnis nach Entfaltung mit dem Tag der Hochzeit an der Wohnungstür abzugeben. Ausgebildet sind diese Frauen mit Hochschulstudien in exzellenter Güte. Und dann?
Fragen für heute beiseite! Denn jetzt ist Hochzeit in Isfahan! Heiraten im Iran geht so: Gestartet wird mit dem Abend der Frauen. Ganz ohne Männer trifft sich der engste Kreis der Familie, beschenkt die Braut, isst Gebackenes und Süßes, trinkt reichlich Tee, schwatzt, lacht und vergnügt sich am Gefühl der Vorfreude. Hochzeit ist am nächsten Tag. Unsere Nacht wird genutzt, um mein Gesicht in ein Schminkgemälde zu verwandeln. Für persische Verhältnisse reicht es einfach mal nicht aus, ein wenig Kajalstiftblau in die Nähe der Augen zu bringen. Afrouz zaubert, so dass ich mich am Ende der Nacht tatsächlich nicht mehr wiedererkenne.
Ein fremdes Gesicht steht mir am Spiegel gegenüber. Und in einem Reiseoutdoorlook zu einer persischen Hochzeit? Undenkbar. Im geliehenen Glitzeranzug steht Sten neben der Person, die ich einmal war, nur jetzt gerade nicht wiedererkenne. Und weiter mit der Tradition. Hochzeit heißt, stundenlang auf die Abfahrt zu warten. Sollte es nicht 17 Uhr losgehen? Und warum sitzen wir jetzt, um 20 Uhr noch immer beim Tee in der Wohnung? Afruz und ihre Mutter sind noch lange nicht fertig. Mein Kleid hingegen hat bereits eine Menge frischer Falten angesetzt. Irgendwann geht es los. Was bedeutet, dass wir mit ungefähr dreihundert anderen Gästen gemeinsam ein Hotel betreten. Links die Frauen. Rechts die Männer. Dabei meine ich nicht das Laufen am Eingang, sondern die Säle. Das offizielle Feiern findet getrennt voneinander statt. Männer in dem einen Raum und Frauen in einem anderen. Selbst für Braut und Bräutigam gilt die Regel. Nun also ich inmitten von ausgelassenen, herzlichen Frauen, die ich nicht verstehe. Macht aber irgendwie nichts. Wir tanzen einfach miteinander, machen hunderte von Jeder-Mit-Jedem-Fotos, setzen uns zum Essen und springen augenblicklich wieder auf, um eine Polonaise in Bewegung zu bringen. Wir haben Spaß, die Zeit verfliegt und die Männer scheinen vergessen zu sein. Sten geht es nicht ganz so wie mir. Auch er ist umringt von Männern, die er nicht versteht. Doch getanzt und gelacht wird bei ihnen nicht. Am Tisch sitzen und Tee trinken ist an der gesitteten Männerfront das Motto des Abends. Bis es Sten reicht und er auf alle Vorschriften pfeift. Mit neiderfülltem Blick steht er plötzlich vor mir. Hui, ein Mann im Frauensaal. Hier sei es so lustig und ausgelassen. Das ganze Gegenteil von der Männergesellschaft, beklagte er sich. Ich bleibe jetzt einfach hier, beschließt er kurz entschlossen. Den Männern ist es öffentlich nicht erlaubt, fremde Frauen, so fröhlich und teilweise ohne Kopfbedeckung zu sehen. Soweit also zum Grund, warum in verschiedenen Sälen gefeiert wird. Doch Sten ist wie der Korken in einer Sektflasche. Nach ihm schleicht sich Mostafa heran, der ebenso wenig Lust darauf hat, ausschließlich unter den Männern das Fest zu verbringen. Zwei Leute sind zwar noch kein Schwarm. Doch sie genügen, um mehr und mehr Männer zur bunten und lustigen Feier der Frauen herüber schwappen zu lassen. Im Griff hat die formale Ordnung niemand mehr. Und was die Hotelleitung zu all dem gemixten Spaß sagt, weiß ich nicht. Doch um Mitternacht ist einfach mal Schluss. Wie jetzt, denke ich. War es das jetzt? Von einundzwanzig bis vierundzwanzig Uhr? War das die ganze Hochzeit? Doch was sage ich. Nichts als der leise Beginn einer rauschenden Nacht war das Entry im Hotel.
Zu Hause, im neuen Reich des jungen Paars, steigt die eigentliche Party. Die Eltern des Bräutigams waren für den Kauf der Wohnung zuständig. Die Eltern der Braut für sämtliches Interieur. Vor weit geöffneten Schranktüren finden wir uns wieder. Ein Brauch zu zeigen, was Tassen und Töpfe zu bieten haben. Klappern gehört auch hier zum Geschäft. Traditionelle Familien bevorzugen es noch heute, den Partner für die Kinder in der eigenen Großfamilie zu finden. So bleiben Hab und Gut im eigenen Haus und man lässt sich nicht umständlich mit Fremden ein. Von super konservativ bis hypermodern, im Iran gibt es alles. Von der arrangierten Ehe bis zum Frei-Verlieben ist alles dabei. Ich stehe da, staunend und beobachtend, versuche zu ergründen, wie es den Menschen im Einzelnen geht. Unser Paar des Abends betritt nun also die eigene Wohnung. Von Weihrauchschwaden für das große Glück begleitet, ziehen sämtliche Gäste im großen Konvoi vorbei an den geöffneten Schränken. Selbst die Anzahl der Löffel wird von den älteren Damen erfasst. Und wie es im rosafarbenen Schlafgemach aussieht, weiß ich nun auch. Doch das, was mich fast umhaut, ist das riesenhaft große Wohnzimmer, einem Tanzsaal gleich. Wir kommen auf unsere Kosten, während der Saal den Härtetest mit einem “Nicht zu überbieten“ besteht. Privat ist privat. Und hier wird getanzt, dass es kracht, was in der Öffentlichkeit in keinem Fall möglich wäre.
Wieder eine Tradition, die mich staunen lässt. Die Gold- und Geld-Geschenke eines jeden werden vor allen geöffnet und kundgetan. Der Schenker kommt daraufhin nach vorn und wird von allen johlend umtanzt. Wie liebe ich es, einzutauchen in Bräuche und Sitten, den unsrigen so unähnlich und um so spannender, ihnen beizuwohnen. Ich schwebe, ich fliege, ich drehe mich in dieser Nacht. Vor Glück, auf der unglaublichsten Reise meines Lebens zu sein.
Mit dem Isfahan aus der Zeit des Medicus hat unser Erleben heute wohl nur noch wenig zu tun. Und doch schlägt das Herz der Jahrhunderte alten Traditionen an jeder Ecke der unglaublichen Stadt. Die Kupferschmiede, Goldhändler, singenden Männer an den Brückenpfeilern des Zayandeh Rud Flusses, sie alle verkörpern für mich die tief verwurzelte feingliedrige Kultur der Perser. Neugier,