Hannah von Bredow. Reiner Möckelmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner Möckelmann
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806237443
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einer knapp einen Meter achtzig großen Mutter von acht Kindern.

      Hannah von Bredow verzagte nicht und bemühte sich mit allen Mitteln um Aufklärung. Erschwerend kam für sie aber hinzu, dass „alle Briefe, die ich Ihnen je geschrieben habe, in den Händen der Zollfahndungsstellen sind,“ schrieb sie Jessen Ende November 1937. Mit den abgefangenen und abgeschriebenen Briefen verband Hannah die Sorge, dass diese Jessen auch devisenrechtlich und politisch im Rahmen des Scheidungsprozesses belasten könnten.

      Mit Hilfe ihres Bruders Otto und ihres Rechtsanwalts Walther von Simson gelang es Hannah von Bredow immerhin, beim Oberfinanzpräsidenten die haltlosen Vorwürfe wegen Devisenvergehen auch mit eigenen unkonventionellen Mitteln aufzuklären: Ihre Brüder hatten sie nämlich darin bestärkt, „dass nur mit Marktweibergebrüll heutzutage durchzukommen sei, nicht aber mit einem einzigen Zeichen des sich Unterordnens.“

      Politische Unterordnung kam für Hannah von Bredow ohnehin nicht in Frage. Besorgt war sie aber, als sie erfuhr, dass Abschriften ihrer Briefe an Jessen auch dem Chef der Potsdamer Gestapo und zweitem Vorsitzenden im Volksgerichtshof, Wilhelm Graf von Wedel, vorlagen und er beabsichtigte, Hannah in Haft zu nehmen. Bruder Gottfried von Bismarck, Parteigenosse von Wedel, musste intervenieren und tat dies erfolgreich. Dennoch ließ Wedel im Januar 1938 Hannah von Bredows Pass einziehen. Gottfried empfahl ihr daraufhin dringlich, Sydney Jessen bis zum Abschluss des Scheidungsprozesses nicht mehr zu sehen. Hannah schlug den brüderlichen Rat aus und traf Jessen noch verschiedentlich vor Ende des Prozesses, der Anfang Oktober 1938 mit einem Schuldspruch gegen ihn endete. Kurz vor Weihnachten wurde die Scheidung wirksam. Den Jahreswechsel feierte der Geschiedene zusammen mit Hannah von Bredow und ihren acht Kindern in Potsdam.

      Jessens aus dem Briefwechsel mit Hannah von Bredow ersichtliche ‚politische Unzuverlässigkeit‘ bestimmte das negative Scheidungsurteil wohl auch unabhängig von den Scheidungsgründen seiner Frau Helene. Seine früh geäußerte Distanz zum NS-Regime beantworteten dessen Erfüllungsgehilfen bereits im Jahre 1934 mit Jessens Ausschluss aus dem Vorstand der Laufener Winzergenossenschaft und einer bäuerlichen Berufsvereinigung in der Markgrafschaft Baden. Gegenüber weiteren Schikanen sicherte er sich ab 1934 durch Teilnahme an Reserveübungen ab. Diese erleichterten ihm nach seiner Scheidung die Einstellung in der Nachrichtenabteilung der Seekriegsleitung in Berlin Anfang 1939.

      Angesichts der räumlichen Nähe verzeichnet Hannah von Bredow in ihrem Tagebuch für das Jahr 1939 nahezu wöchentlich Treffen mit Sydney Jessen. Wenig zur Freude der Familie Bismarck-Bredow wohnte Sydney Jessen, als er in Berlin auf Wohnungssuche war, in den ersten Monaten sogar bei Hannah, die im Tagebuch vermerkt: „Mutter täglich ärgerlicher, dass Sydney in unserem Haus wohnt. Kein Trost für sie, dass er sich im Haus nicht wohl fühlt. Auf jeden Fall muss er bedauert werden.“ Das Mitleid für den unter unwürdigen und erniedrigenden Umständen geschiedenen Freund hatte aber Grenzen: Zur Frage ihres Bruders Gottfried, ob sie Sydney Jessen nicht heiraten wolle, vermerkt sie: „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll.“

      Ein dauerhaftes Zusammenleben mit Sydney Jessen oder gar eine Ehe mit ihm kam für Hannah von Bredow allein ihrer Kinder wegen nicht in Frage. Die drei älteren Töchter, die Ende der 1930er-Jahre bereits über oder knapp unter 20 Jahre alt waren, lehnten es strikt ab, Jessen eine Vaterrolle zuzugestehen. Hannah hatte besonders mit ihrer Ältesten, Marguerite, erhebliche Schwierigkeiten und wollte Jessen nicht in ihre Erziehungsprobleme hineinziehen. Auch hatte sie seit dem Tod ihres Mannes Leopold den großen Haushalt, unterstützt zwar durch reichliches Personal, mehr als fünf Jahre ohne männlichen Vorstand bewältigt.

      Nicht zuletzt galt es für Hannah von Bredow, Vorbehalte gegen Jessen auch im weiteren Familien- und Bekanntenkreis zu berücksichtigen. So schreibt sie schon früh, Ende des Jahres 1934, ins Tagebuch, dass sie einer Einladung Jessens nach Laufen gern nachgekommen wäre: „Wie aber soll man das machen? Schade. Ich habe so wenig gute Freunde, und gerade dieser wird mir von den dümmsten Leuten verübelt, weil er bürgerlich ist. – Komische Welt.“

      Hannah von Bredows Nähe zu Sydney Jessen, die sie in Form regelmäßiger Briefe und gelegentlicher Besuche seit dem Jahre 1925 hergestellt hatte, hielt sie in keiner Weise davon ab, die von ihr erwarteten gesellschaftlichen Aktivitäten und familiären Pflichten wahrzunehmen und zu erfüllen. Auch nach dem frühen Tod von Ehemann Leopold im Oktober 1933 verzichtete sie nicht auf ein reges Gesellschaftsleben. Gern nahm sie Einladungen zu Frühstücks-, Mittags- und Abendveranstaltungen von Verwandten und Freunden, von Vertretern aus Diplomatie, Politik und Wirtschaft wahr und lud ihrerseits zum Tee und zu Essen ein.

      Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre versäumte Hannah von Bredow darüber hinaus wenige der von Wilhelm Furtwängler, Otto Klemperer oder Bruno Walter dirigierten Konzerte der Berliner Philharmoniker und erlebte das Theater von Max Reinhardt und Gustav Gründgens. Reisen zur Mutter nach Friedrichsruh oder zu den Brüdern kamen hinzu. Ein streng eingehaltener Tagesablauf ließ ihr genügend Zeit für ihre Kinder und deren Sorgen. Selbst nach Abendeinladungen beschloss sie den Tag am Schreibtisch und erledigte die anfallenden Rechnungen, häuslichen Angelegenheiten, Listen, Krankenkassen- und Steuersachen.

      Die Seelenverwandtschaft mit Sydney Jessen, sichtbar in ihren bis in die Morgenstunden geschriebenen regelmäßigen Briefen, beruhigte und kräftigte Hannah von Bredow. Beim Schreiben über Gespräche mit Familienangehörigen, Freunden und Bekannten, über jüngst gelesene Zeitungsartikel und Bücher, über Theateraufführungen, Konzerte und Vorträge, erinnerte sie sich nicht nur an die Geschehnisse eines Tages oder eine Woche. Aus der Reflexion der Ereignisse und ihrer Gedanken gewann sie Selbstvergewisserung. Belastendes oder traurige Erlebnisse in Worte zu fassen, war für sie eine Art Selbsthilfe, um Seele und Körper zu stärken.3

      In depressiven Phasen konnte sie die Lust an der puren Beschreibung von Situationen oder die treffsichere Benennung von Details aus gesellschaftlichen Dialogen von Grübelei ablenken. Im schriftlichen Dialog mit dem verständnisvollen und einfühlsamen Sydney Jessen vermochte sie die Intensität ihrer Empfindungen sowie aufkommende Ängste zu zähmen. Der über vier Jahrzehnte geführte ununterbrochene Dialog erlaubte ihr trotz häuslicher Beanspruchung und wiederholter ernsthafter Erkrankungen die für sie besonders belastendenden zwölf Jahre des „Tausendjährigen Reichs“ weitgehend unbeschadet zu überstehen.

      Wie wichtig Hannah von Bredow ihre Brieffreundschaft mit Sydney Jessen war, äußert sie schon nach wenigen Jahren der Bekanntschaft im Jahre 1931 in Form einer Bitte an ihn: „Es wäre netter denn je von Ihnen, wenn Sie mir, so oft es Ihre Arbeitslast gestattet, schreiben würden. Es ist ungeheuer wohltuend, mit jemand reden zu können, wenn man alles, was man sieht und hört, verschlucken muss.“ Zu ihren eigenen Briefen erklärt sie Jessen zu dessen 39. Geburtstag am 24. April 1931, sie werde sich, „was Briefeschreiben anbelangt, nicht bessern“, sondern habe die Absicht, „Sie weiter – auch einseitig – mit Episteln von allzu großer Länge zu ‚erfreuen‘“.

      Den Umfang ihrer Briefe nennt Hannah von Bredow „kleinere Heftchen, denn Briefe sind die vielen Bogen wohl kaum mehr.“ Mit Beginn der NS-Zeit gewinnt der Schriftwechsel erheblich an Bedeutung, und Hannah schreibt Jessen im April 1933: „Wenn Sie nur ahnten, was für eine Erleichterung darin liegt, mit Ihnen korrespondieren zu können, wenn’s auch das Reden nimmermehr ersetzt.“ Zweieinhalb Jahre später bekennt sie ihm, „was für eine Hilfe es ist, an jemand, der noch denken kann, schreiben zu können, und zwar so schreiben zu können, dass man sich – bis auf gewisse Gestapohemmungen – nicht jedes Wort auf seine Möglichkeit hin, verstanden zu werden, überlegen muss. Dass ich mir unter solchen Umständen beneidenswert vorkomme, brauche ich nicht zu betonen.“

      Hannah von Bredow verfasste die große Zahl ihrer umfangreichen Briefe an Sydney Jessen, die sie bisweilen mit seitenlangen Dialogen in Englisch und Französisch anreicherte, in einer eleganten, anregenden Sprache und in einem plastischen, oft erheiternden Stil, selbst bei Anweisungen an ihren Vertrauten: „Was ich Ihnen erzählen werde, ist derartig erstaunlich, dass ich’s Ihnen nicht vorenthalten mag, aber ich bitte Sie, diesen Brief zu all den anderen im W.C. oder wo sonst zu vernichten. Nicht im Meer, denn das speit sie bekanntlich aus.“

      Im demselben Brief ermahnt Hannah von Bredow ihren Briefpartner Jessen im August 1933: „Sie haben doch meine sämtlichen Elaborate vernichtet, hoffe ich. Erstens