Der Kontakt zu Konstantin von Neurath, der von ihr auch „der Schwabe“ genannt wurde, blieb bis zum Ende von dessen Ministerzeit im Februar 1938 bestehen. Bereits im Frühjahr 1935 aber, als Joachim von Ribbentrop, der ehemalige Importeur von Spirituosen, in dem nach ihm benannten Büro unter Umgehung des Auswärtigen Amts Hitler in außenpolitischen Fragen direkt zuarbeitete, schreibt Hannah an Jessen bedauernd: „Der Schwabe hat den besten Moment zum Absprung verpasst, jetzt macht der Sektlieferant alle Geschäfte direkt und behauptet, dass sein ‚cru‘ der einzig Trinkbare sei.“
Später als in den übrigen Ministerien wurde die Leitung des Auswärtigen Amts im Februar 1938 mit Ribbentrop ganz auf nationalsozialistischen Kurs gebracht. Bereits früh lernte Hannah von Bredow dagegen maßgebliche Personen der „Bewegung“ dank ihrer Brüder Otto und Gottfried von Bismarck kennen und einzuschätzen.
Die Nationalsozialisten früh im Blick
„Heute ist Hitler 43 Jahre alt – ob er in einem Jahr schon Reichspräsident oder Kanzler ist? Eins von beiden sicher.“
(Tagebuch Hannah von Bredow, Mittwoch, 20. April 1932)
Hannah von Bredow war die älteste von fünf Geschwistern. Schwester Goedela war drei Jahre jünger als sie und unpolitisch; die Brüder Otto, Gottfried und Albrecht waren vier, acht und elf Jahre jünger. Alle Brüder hatten Jura studiert. Während Albrecht ohne Abschluss blieb und sich überwiegend in Italien im Handel von Antiquitäten und als Innenarchitekt betätigte, gingen die Brüder Gottfried und Otto den Weg in die Politik bzw. die Diplomatie.
Otto Fürst von Bismarck hatte sein Reichstagsmandat für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im Jahre 1927 mit dem Eintritt in die Diplomatie und anschließenden Tätigkeiten an den deutschen Botschaften in Stockholm, London und Rom niedergelegt. Gottfried Graf von Bismarck-Schönhausen unternahm nach dem Juraexamen Studienreisen, arbeitete für Wirtschaftsverbände und bewirtschaftete bis zum Machtantritt Hitlers drei Jahre lang das von ihm geerbte Familiengut im pommerschen Reinfeld.
Die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck hatten ebenso Vorbehalte gegen das parlamentarische System der Weimarer Republik wie die von ihnen favorisierte nationalkonservative DNVP, obwohl diese zeitweilig auch zu Regierungstätigkeit bereit war. Nach seinem Rückzug aus dem Reichstag erlebte Otto im Mai 1928 große Verluste seiner Partei in den Wahlen zum 4. Reichstag. Die NSDAP Hitlers blieb zwar noch Splitterpartei, wurde gut zwei Jahre darauf, nach den Septemberwahlen 1930 zum 5. Reichstag, aber bereits zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten. Der Stimmenanteil der DNVP halbierte sich in diesen Wahlen, sodass sie ihrerseits Splitterpartei wurde, während die NSDAP zur Massenbewegung aufstieg.
In Aufmärschen, Reden und Schriften vermittelte die politisch unverbrauchte NS-Bewegung den Deutschen in der Zeit des Übergangs der Republik vom parlamentarischen zum autoritären Regime Durchsetzungskraft und Dynamik. Sie versprach den Kampf gegen den Bolschewismus sowie die Überwindung der außen- und innenpolitischen Niederlage von 1918. Nachdem der Parteiführer der DNVP, Alfred Hugenberg, im Oktober 1931 in Bad Harzburg mit Hitler bei einer Veranstaltung der „nationalen Opposition“ zusammengetroffen war, erschien es auch Otto und Gottfried von Bismarck an der Zeit, Hitlers Ansichten genauer kennenzulernen.
Am 11. Januar 1932 luden die Bismarck-Brüder den NS-Führer Adolf Hitler, den SA-Führer und späteren Polizeipräsidenten von Potsdam, Wilhelm von Wedel, sowie den damaligen deutschen Botschafter in London, Konstantin von Neurath, mit Begleitung zum Frühstück in ein Extrazimmer des Berliner Hotels Kaiserhof. Otto von Bismarcks Frau Ann-Mari begleitete ihren Mann und schwärmte nach dem Treffen von Hitler. Gottfried von Bismarck berichtete seiner Schwester Hannah von Bredow, dass Hitler „siegessicherer denn je gewesen sei“. Er habe ihm angekündigt, dass es zwar „nicht angenehm“ sei, „Brüning den Hals umzudrehen, aber das Land geht vor.“ Auch habe Hitler eine Rücknahme seiner Gegenkandidatur zu Hindenburg bei der im März anstehenden Wahl zum Reichspräsidenten strikt abgelehnt.
Nach Gottfrieds Aussage schätzte Hitler die Rolle des Militärs gering ein und stellte fest: „Sie haben keine Resonanz beim Volk und niemand will sie haben. Schleicher ist ein geriebener Gauner, weiter nichts.“ Gottfried zeigte sich enttäuscht, dass seine Schwester Hannah nicht an dem Gespräch teilgenommen hatte, „allein schon des Gedächtnisses wegen“. Der ältere Bruder Otto dagegen, der Hannahs offene Sprache fürchtete, hatte sie aus fadenscheinigen Gründen von der Teilnahme abgehalten.
In Unkenntnis der Hintergründe war nicht nur Bruder Gottfried, sondern auch Mutter Marguerite enttäuscht darüber, dass Hannah nicht an dem Hitler-Treffen teilgenommen hatte. Sie schrieb Hannah später wenig schmeichelhaft: „Ich kann absolut nicht begreifen, warum Du damals z.B. nicht mit Hitler im Kaiserhof gefrühstückt hast, das wäre doch eine Gelegenheit gewesen. Es macht doch gar nichts, dass Ann Mari z.B. so viel jünger und hübscher ist wie Du – ich habe mir nämlich überlegt, ob das der Grund für Deine Zurückhaltung ist.“
Diese abwegige Annahme ihrer Mutter bewertet Hannah von Bredow am 29. Januar 1932 gegenüber Jessen: „Der Brief meiner Mutter ist so charakteristisch. Ich hatte ihr geschrieben, dass ich von Göring-Goebbels nichts hielte, Hitler nicht beurteilen könnte. Das verursacht ihr eine schlaflose Nacht.“ Allein aus Neugier hätte Hannah ihre Brüder zum Treffen mit Hitler, über den sie sich sehr wohl ein Urteil gebildet hatte, gern begleitet. Bereits am 12. Dezember 1930 stellte sie im Tagebuch ernüchtert, aber auch besorgt fest: „Die Menschen reden immer: Hitler oder Kommunismus. Hitler, dieser miese, aufgeregte, hysterische, weibische Trommler, ist Prolet und Kommunist mit nationalem Einschlag. Wenn er nur nicht Diktator wird. Dann wird Deutschland ein Irrenhaus. O. + G. machen bestimmt mit.“ Otto und Gottfried von Bismarck machten in der Tat mit.
Im Brief vom 29. Januar 1932 berichtet Hannah von Bredow ihrem Vertrauten Jessen von einem bevorstehenden Fest, zu dem die preußische Kronprinzessin Cecilie eingeladen hatte: „Ich werde hingehen und mir die Sache ansehen; mich beunruhigt am meisten die absolute Intimität, die Ihre Kaiserliche Hoheit mit Marius’ Partei hat.“ Marius’ Partei war die NSDAP und deren Führer Adolf Hitler. Hannah hatte Hitler den Namen des römischen Diktators Gaius Marius verliehen, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert mit Gewalt die Macht von Sulla übernommen hatte und dem im anschließenden Terror viele Aristokraten zum Opfer fielen.
Im Hause Hohenzollern hatte sich bislang nur Prinz August-Wilhelm, von Hannah „Auwi“ genannt, als glühender Verehrer der Nationalsozialisten gezeigt. Hannahs Bemerkung spielt zweifellos darauf an, dass Kronprinz Friedrich Wilhelm im Januar 1932 Adolf Hitler in seinem Potsdamer Schloss Cecilienhof empfing. Der Kronprinz schlug Hitler eine Lösung zur Stabilisierung der politischen Lage vor, welche ihn selbst als Reichspräsidenten und Hitler als „seinen“ Kanzler vorsah. Kurz darauf publizierte der Prinz zum zweiten Wahlgang um die Reichspräsidentschaft im April 1932, in dem Hitler gegen Hindenburg antrat, in der Schlesischen Zeitung einen weithin wahrgenommenen Wahlaufruf zugunsten Hitlers: Der Thronfolger stellte sich öffentlichkeitswirksam hinter den NSDAPFührer und gegen den früheren Feldmarschall.1
Die Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ hätte dem Kronprinzen eigentlich verdeutlichen können, dass das Führerprinzip mit der Institution der Erbmonarchie unvereinbar war.2 Friedrich Wilhelm ließ sich vermutlich von den Avancen, die Hitler den Hohenzollern machte, und dem Kapitel seiner Kampfschrift über „Die monarchistische Idee“ blenden. Darin stellt Hitler fest, dass „der Wert und die Bedeutung der monarchischen Idee nicht in der Person des Monarchen selber liegen, außer der Himmel entschließt sich, die Krone einem genialen Helden wie Friedrich dem Großen oder einem weisen Charakter wie Wilhelm I. auf die Schläfen zu drücken.“3
Dass sich selbst der preußische Hofadel, die Familie Hohenzollern, in Gestalt von „Auwis“ Sohn Prinz Alexander Ferdinand, von Hitler einwickeln ließ, schildert Hannah von Bredow ihrem Briefpartner Jessen im September 1932. Sie gibt ein Gespräch wieder, in dem der Prinz ihr erklärt hatte: „Das einzig störende Element