Der hölzerner Engel. Gisela Garnschröder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisela Garnschröder
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967525854
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Augenbrauen, was ihr einen etwas hochmütigen Ausdruck verlieh.

      »Was haben Sie denn hier zu suchen?«, fuhr sie die beiden an.

      »Das würden wir ganz gern mit dem Aufsicht habenden Lehrer besprechen. Oder können Sie uns den Weg ins Rektorat zeigen?«, knurrte Josef Tann sie an.

      Ein vernichtender Blick aus stahlblauen Augen traf ihn.

      »Ich habe hier die Aufsicht! Was kann ich für Sie tun?«

      Das Grinsen in Alfons Weiß´ Gesicht wurde breiter. Tann zeigte seinen Ausweis und stellte fest, dass ihr Gesichtsausdruck von ablehnend auf überrascht wechselte.

      »Wir hätten da ein paar Fragen bezüglich Susanne Gressmer. Ich bin Kommissar Tann und das ist mein Kollege Kommissar Weiß«, erklärte er und lächelte freundlich.

      »Im Moment ist es schlecht, aber in zehn Minuten ist die Pause zu Ende, dann können Sie mich im Lehrerzimmer erreichen. Ach, übrigens ich heiße Brant, Cäcilia Brant«, antwortete sie knapp und schickte die Schüler fort. Dann wandte sie sich erneut an die Beamten: »Ich bin Sportlehrerin und kannte Susanne nur flüchtig. Ein nettes Mädchen und sehr sportlich. Eine traurige Geschichte. Der Klassenlehrer, Oberstudienrat Klausen, dürfte Ihnen sicher mehr erzählen können.«

      Es klingelte und die Schüler strömten zum Eingang. Die Beamten folgten Cäcilia Brant, die mit schnellen Schritten zum Lehrerzimmer vorauseilte. Tann stellte fest, dass sie fast einen Kopf kleiner war als er. Sie war zierlich und schlank.

      »Strammer Po, oder?«, meinte Alfons Weiß grinsend.

      »Quatsch, nicht!«, murmelte Tann und dachte, dass die Jeans von Cäcilia Brant verdammt eng saß.

      Er war von Lehrerinnen nicht gerade begeistert. Seine Schulzeit war ihm noch in leidvoller Erinnerung. Er war damals elf gewesen und seine Klassenlehrerin eine magere Person mit Nickelbrille und Dutt. Sie zog ihn immer an den Ohren, wenn er nicht aufgepasst hatte. Bei ihr hatte er die Erste und einzige Sechs seines Lebens bekommen. Sein Vater hatte ihm dafür eine Ohrfeige verpasst und einen Monat lang das Taschengeld gestrichen. Dabei hatte er die Aufgabe einer Personenbeschreibung nur deshalb so genau genommen, damit seine Lehrerin sich sofort wieder erkannte. Sie war zutiefst empört über seine wenig schmeichelhaften Ausdrücke und beschwerte sich beim Rektor. Er bekam ein Ungenügend und musste drei Stunden Nachsitzen.

      Der Rektor war an diesem Tag nicht im Dienst und wurde durch Oberstudienrat Udo Klausen vertreten. Klausen war ein schlanker, hochgewachsener Mann. Er war fast ebenso groß wie Josef Tann, der über ein Meter neunzig maß. Sein dunkles, dichtes, an den Schläfen leicht ergrautes Haar war lockig und eine Spur zu lang. Sie saßen in der Besucherecke neben dem Lehrerzimmer.

      »Ein schreckliches Unglück. Für uns alle unfassbar«, sagte Klausen. Man sah ihm die Betroffenheit an. Da die Beamten ihn nicht unterbrachen, fuhr er fort: »Susanne Gressmer war eine hervorragende Schülerin. Als Klassenlehrer, ich unterrichte Englisch und Mathematik, kannte ich sie ein wenig. Es ist mir völlig unverständlich, dass dieses Mädchen einen Suizid begangen hat. Haben Sie schon herausbekommen, was die Ursache war?«

      »Deshalb sind wir hier. Wir dachten, Ihnen sei vielleicht etwas aufgefallen«, antwortete Tann.

      »Mir? Was soll mir aufgefallen sein? Am Morgen vor dem Unfall war sie in der Schule. Sie wirkte wie immer. Vielleicht können Ihnen die Mitschüler etwas berichten. Susanne hatte viele Freunde. Sie war sehr beliebt.« Klausen erhob sich und zeigte zum Fenster: »Sehen Sie dort die Sitzgruppe unter dem Vordach?«

      Tann war neben ihn getreten: »Drüben am Zaun?«, erkundigte er sich.

      »Ja! Dort ist der Treffpunkt der zwölften Klasse. Am besten, Sie warten bis zur nächsten Pause. Ich werde Sie hinführen.«

      »Danke, Herr Klausen, das wird nicht nötig sein. Wir kommen schon zurecht«, versicherte Alfons Weiß.

      Sie verabschiedeten sich und gingen zu ihrem Wagen.

      »Irgendwas an diesem Klausen gefällt mir nicht«, sagte Josef Tann, als sie im Wagen saßen.

      Alfons Weiß hatte gerade sein Frühstücksbrot hervorgeholt und biss ein Stück von seiner Stulle ab. Auf seinen Knien stand eine Brotdose mit verschiedenen belegten Brotsorten, einem gekochten Ei und Gurkenscheiben.

      »Ist halt ein Pauker. Wie die ebenso sind«, antwortete Weiß mit vollen Backen kauend und schüttete sich Kaffee aus seiner Thermoskanne in einen Becher.

      »Man, was deine Frau dir zum Frühstück einpackt, unverschämt viel! Du wirst noch kugelrund«, lästerte Tann und holte eine Flasche Mineralwasser aus seiner Tasche.

      Weiß lachte und verschluckte sich prompt. Nachdem ihm sein Kollege hilfreich auf den Rücken geklopft hatte, meinte er prustend:

      »Du bist doch bloß neidisch. Solltest auch heiraten, täte dir wirklich gut. Die kleine Sportlehrerin, wäre das nicht was für dich?«

      »Lehrerin? Niemals! Außerdem ist die höchstens zweiundzwanzig«, entrüstete sich Josef Tann.

      »Sieht aber gut aus«, grinste Weiß.

      Die Befragung der Schüler brachte wie erwartet keine neuen Erkenntnisse. Selbst Veronika Brauer, die beste Freundin von Susanne, konnte keinerlei Hinweise geben.

      Die Beerdigung von Susanne Gressmer war vier Tage später. Ihre gesamte Klasse und das Lehrerkollegium nahmen daran teil. Die Beisetzung fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Die Kirche konnte die Trauergäste kaum fassen. Oberstudienrat Klausen hielt eine bewegende Trauerrede. Er endete mit den Worten: »Verzeih Susanne, dass wir dich allein ließen, als du uns brauchtest.«

      Seine Frau Sybille war stolz auf ihren Mann, der wie immer die richtigen Worte gefunden hatte.

      Es war ein milder Frühlingstag Anfang April. Josef Tann hatte seinen freien Tag. Er hatte sein Fahrrad gereinigt und überholt und machte seine erste Tour. Er wählte eine gut ausgeschilderte Route und benutzte nur geteerte Wirtschafts- oder gut ausgebaute Radwege. Auf den Feldern herrschte emsige Betriebsamkeit. Die Bauern nutzten das gute Wetter zur Feldbestellung. Die ersten Kiebitze waren bereits zurück und ließen ihr munteres »Kiwitt, Kiwitt« erschallen. Josef Tann war auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er liebte die erwachende Natur im Frühjahr. Er fuhr gemütlich. Das Gebrumm der Traktoren störte ihn nicht. In Rheda nutzte er den Weg durch die Feuchtwiesen um das Schloss und fuhr dann weiter in Richtung Stromberg. Kurze Zeit später befand er sich auf einer Autobahnbrücke. Er dachte an Susanne Gressmer, die sich vor einigen Wochen von einer anderen Brücke hinunter gestürzt hatte. Er war etwas außer Atem, stellte sein Rad ab und schaute hinunter. Es war nicht viel Verkehr. Richtig voll würde es wohl erst wieder gegen zwölf Uhr sein, jetzt war es gerade zehn Uhr dreißig.

      Am anderen Ende der Brücke sah Tann einen Rennradfahrer heraufkommen, der sich beim Näherkommen als Radfahrerin entpuppte. Sie fuhr genau auf ihn zu.

      »Na, so was! Ein Polizist mit dem Fahrrad und ohne Helm! Das ist aber kein gutes Beispiel für die Jugend!«, ertönte eine helle Stimme.

      Dann erkannte er Cäcilia Brant.

      »Außer Ihnen sehe ich hier keine kleinen Kinder«, knurrte Josef Tann.

      Sie hielt direkt vor ihm an und streckte ihm lachend die Hand zur Begrüßung entgegen. Er ergriff sie und fragte überrascht:

      »Was treibt Sie denn schon so früh in die Natur? Keinen Unterricht heute?«

      Sie riss ihren Fahrradhelm vom Kopf und eine dunkelrote Flut von Haaren ergoss sich über ihre Schultern. Sie beugte sich nach vorn, sodass die dunkle Masse fast bis zu ihren Knien reichte, schüttelte sich, warf den Kopf zurück und strich mit der linken Hand das Haar aus der Stirn. Josef Tann hatte ihr fasziniert zugeschaut. Als sie es bemerkte, meinte sie schulterzuckend, ohne auf seine Frage einzugehen:

      »Unter dem Helm werden die Haare so erdrückt, ich hasse es!«

      Er grinste: »Lassen Sie ihn doch weg!«

      »Also wirklich! Ich mache keine