Das »gute Leben« ist oft genug auch ein Leben, das wir uns gegen Widerstände erarbeiten müssen. Oder nach einem Unglück neu finden müssen. Deshalb steht dieses Kapitel über das Scheitern nicht am Ende, sondern recht weit vorn in diesem Buch. So schlimm Scheitern und Versagen sein können, so sehr können sie uns helfen, Weisheit zu lernen:
Misserfolge verhelfen zu klarerer Perspektive: Es ist tatsächlich nicht alles möglich und nicht alles haben wir selbst in der Hand.
Eigenes Scheitern kann uns verständnisvoller für unsere Mitmenschen und ihre Misserfolge machen. Zumindest, wenn man in erfolgreichen Zeiten die schlechten Zeiten nicht vergisst.
Selbst Weisheit schützt nicht vor Misserfolg. Sie hilft uns aber, all die Einflüsse besser zu verstehen und einzuordnen, die zum Scheitern geführt haben.
Nach einem Misserfolg kann man oft klüger und weiser wieder aufstehen und etwas Neues beginnen.
Ohne Scheitern kein Erfolg?
Irgendwie ist das mit dem Scheitern eine zwiespältige Sache. Zumindest das, was wir darüber denken. In einer Studie hat man Deutsche zum Thema Scheitern von Unternehmen befragt. Vielleicht war es zu erwarten, aber Deutsche gehen gern auf Nummer sicher: 42 Prozent der Befragten fanden, dass man kein Unternehmen gründen sollte, wenn das Risiko des Scheiterns besteht. Da fragt man sich allerdings, ob man dann überhaupt ein Unternehmen gründen sollte: Wo ist die hundertprozentige Geschäftsidee, mit der man nicht scheitern kann?
Seltsam ist dann etwas anderes: Auch wenn ein Großteil der Befragten eher kein Vertrauen mehr zu einem gescheiterten Unternehmer hätte, denken fast 80 Prozent der Befragten aber doch, dass Scheitern und Misserfolg auch etwas Positives haben kann. Scheitern kann dazu helfen, innezuhalten und über sich und den zurückgelegten Weg nachzudenken. Was doch nach einer guten Möglichkeit klingt, weiser zu werden.
Was ich hier grob zusammengefasst habe, ist als Studie »Gute Fehler, schlechte Fehler« grafisch sehr schön übersichtlich aufbereitet im Internet zu finden:
https://www.uni-hohenheim.de/uploads/media/2015_Kuckertz_et_al_Gute_Fehler_15-08-24.pdf
Viele Wege führen zum Misserfolg
Wie auch immer Sie Scheitern persönlich oder im Bekanntenkreis erleben – jeder Mensch wünscht sich, dass er auch nach Misserfolgen von seinen Mitmenschen freundlich und wohlwollend angesehen und behandelt wird. Was natürlich nicht immer so ist. Das Scheitern einer Unternehmung (oder auch eines Studiums, einer Ehe oder was auch immer) macht den Erfolglosen in den Augen vieler Menschen zum Versager. Es fällt uns oft schwer, zwischen dem Menschen und dem, was ihm mehr oder weniger widerfährt, zu trennen. Wir neigen dazu, Glück und Unglück mit der Persönlichkeit eines Menschen zu verknüpfen. Nicht umsonst kennen wir das Glückskind und den Pechvogel – als wären Glück beziehungsweise Unglück mit diesem Menschen direkt verbunden. Sozusagen als Persönlichkeitsmerkmal. Dabei gibt es doch ganz verschiedene Arten von Misserfolg und Scheitern:
Berufliches Scheitern kann viele Gründe haben – vom Niedergang einer bestimmten Branche bis zu Burn-out.
Beziehungen scheitern oft aus Gründen, die wir nicht wirklich durchschauen.
Wirklich dramatisch wird es, wenn ein ganzer Lebensentwurf scheitert: ein Glaube, den man verliert, ein Todesfall, der die geplante Zukunft mit einem Mal auslöscht, ein Studium, in dem man Semester für Semester weniger Sinn sieht.
Die Gründe können vielfältig sein:
Man hat falsche Entscheidungen getroffen.
Man hätte mehr Information gebraucht.
Oder man hatte einfach nur Pech.
Doch wenn wir ehrlich sind: Ist es nicht die Möglichkeit des Scheiterns, die den Erfolg erst so großartig macht? Ein »Erfolg«, der von vornherein gesichert ist – ist das überhaupt ein Erfolg? Wohl kaum. Die Freude und die Begeisterung über den Erfolg einer Sache empfinden wir zuerst vielleicht nicht vorrangig deshalb, weil eine Sache geglückt ist. Oft genug sind wir einfach erst mal froh darüber, dass etwas nicht schiefgegangen ist. Denn wir können planen und arbeiten so viel und so gut wir können, letztendlich müssen wir aber auch einsehen, dass vieles nicht in unserer Hand liegt.
Als meine Frau ihre Prüfung zur Sommelière (eine Weinbegleiterin in Restaurants oder Weinverkauf) ablegte, wurde es uns bei den Anforderungen schon mulmig zumute. Alles, was die Kandidaten bei der schriftlichen Prüfung nicht wussten, wurde in der mündlichen Prüfung noch mal gefragt – ohne dass einem gesagt wurde, was man in der schriftlichen Prüfung nicht gewusst oder falsch gemacht hatte. Ich hatte jedenfalls vorher noch nie von einer Prüfung gehört, in der man 100 Prozent wissen muss, um überhaupt zu bestehen. Noch entmutigender wurde es, als ein junger Prüfling vor uns aus der Tür trat und alle fragten: »Hast du bestanden?« – »Nein!« – »Warum nicht?« – »Ich hab den Hauch Vanille im Wein nicht erkannt!« An der Prüfung zu scheitern war sozusagen fast schon mehr als nur eine Möglichkeit. Als meine Frau dann mit Bravour bestand, war hinterher der Freudentanz im Park umso ausgelassener. Auch eine Seite im Spiel von Erfolg und Misserfolg: Je geringer die Aussichten sind, desto mehr zählt der Erfolg!Unberechenbar: Erfolg ist auch Glückssache
Wenn Sie die Listen über das Scheitern und die Gründe dafür noch einmal durchgehen, wird Ihnen vielleicht auffallen, dass Sie sehr vieles davon gar nicht in der Hand haben. Und wenn wir dem libanesischen Philosophen Nassim Nicholas Taleb Glauben schenken, ist Letzteres ein Hauptgrund für Misserfolge oder auch Erfolge: Pech oder eben Glück, oder mit Talebs Worten »unvorhergesehene Ereignisse«. Sicher wünschen wir uns, das Leben um uns herum kontrollieren und beeinflussen zu können. Aber sosehr wir es uns auch wünschen mögen: Das ist nicht der Fall.
»Marktforschung« hin oder her – Sie werden nie ganz sicher wissen, ob gerade Ihr Geschäftsmodell auch so viele Kunden anzieht, wie Sie vermuten. Sie werden nie ganz sicher wissen, ob Ihre Partnerschaft wirklich ein Leben lang halten wird. Von dem Maß an Kontrolle, das wir über Tod und Krankheit haben (oder eben nicht haben), ganz zu schweigen.
Es wäre schön, wenn wir das Leben unter Kontrolle hätten. Aber das haben wir nicht. Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir eher damit, auf das zu reagieren, was uns so alltäglich passiert:
Jemand nimmt Ihnen die Vorfahrt und Sie bremsen.
Im Supermarkt ist Ihr Lieblingsbrot ausverkauft und Sie müssen sich ein anderes aussuchen.
Ihr Arbeitgeber genehmigt Ihnen den Urlaub nicht zu dem Zeitpunkt, den Sie eigentlich geplant hatten.
Ein Stau lässt Sie nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen.
Sie stellen ein tolles Video auf YouTube und kaum jemand klickt es an.
Mit Freunden nehmen Sie in einer berauschten Nacht ein eher peinliches Video auf und stellen es aus Jux auf YouTube – und die »Klicks« gehen schnell durch die Decke.
Sie waren immer brav und fleißig und trotzdem verlieren Sie Ihren Job.
Es gibt jede Menge Beispiele, die deutlich machen, wie wenig wir unser Leben in der Hand haben und wie viel uns einfach nur widerfährt. Scheitern und Misserfolg sind also viel weniger, als wir meist annehmen, persönlich verursacht. Und bis auf wenige Ausnahmen sind