Wenn ich ein Nachtsichtgerät getragen hätte, wären sie misstrauisch geworden.
Ich hatte auch keinen Dienstausweis dabei. Nur die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P226. Aber die war so verbreitet, dass nicht jeder, der das Ding zu Gesicht bekam, gleich auf einen Cop schloss.
Oder einen G-man, wie mich.
Ich rannte um mein Leben, denn die Killer würden kein Erbarmen kennen.
Und gleichzeitig arbeitete es in meinem Hirn fieberhaft.
Wer hatte diese Mörder ausgesandt?
Ich lief in geduckter Haltung, dann erreichte ich endlich die Abzweigung. Das war meine Rettung. Die Kerle folgten mir.
Ich hörte ihre Schritte und ihre Stimmen.
Sie waren davon überzeugt, mich zur Stecke bringen zu können. Und sie hatten allen Grund für ihre Zuversicht. Sie waren in der Überzahl und hatten die bessere Ausrüstung. Und sie kannten sich hervorragend in dem unterirdischen Labyrinth aus Subway-Tunneln und Abwasserkanälen aus, das man im Verlauf der letzten 140 Jahre in den Boden der Riesenstadt New York City hineingegraben hatte.
Wie die Gänge eines Maulwurfbaus durchzogen diese Katakomben den Erdboden, viele Meter unterhalb von Broadway und den schicken Läden der 5th Avenue.
Und ein großer Teil dieses Maulwurfbaus war mehr oder minder vergessen. Stillgelegte U-Bahnschächte, Abflusskanäle, deren Funktion längst und lange von anderen Leitungen übernommen worden waren. Manche von ihnen wurden zu reißenden Flüssen, wenn es regnete.
'Mole People' - Maulwurfsmenschen - nannte man die Menschen, die in diesen Gewölben zwischen verrußtem Beton, morschen Schwellen von Subway-Gleisen und Ratten ihr Dasein fristeten.
Auf etwa 5000 schätzte die Stadtverwaltung ihre Zahl - was eigentlich nur bedeuten konnte, dass sie weitaus größer sein musste. Ausgestoßene, Obdachlose und Gescheiterte waren hier zu finden. Manchmal auch psychisch Kranke, die die Welt 'da oben' ausgespuckt hatte.
Welche Gründe es im Einzelfall auch immer dafür geben mochte, in diesen unterirdischen Betongewölben zu hausen, nichtsdestotrotz sie waren Menschen.
Und es hatte niemand das Recht, sie einfach über den Haufen zu schießen, so wie es vor wenigen Augenblicken mit Sid und Brett geschehen war - den beiden Männern, mit denen ich am Feuer gesessen hatte.
Ich holte Atem, drehte mich vorsichtig um. Die Luft war feucht. Von irgendwoher war ein kratzender Laut zu hören.
Ratten.
Ich drehte mich kurz herum.
Jeden Augenblick mussten meine Verfolger auftauchen.
Vor mir lag tiefschwarze Dunkelheit, in der man nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Ich holte die Taschenlampe aus der Parka-Tasche. Kein Modell, das hier unten irgendjemanden neidisch gemacht hätte.
Das konnte nämlich lebensgefährlich sein.
Ich lief weiter und stolperte über die dicken Schwellen zwischen den Gleisen.
Ich versuchte mich an der Betonwand zu orientieren, denn ich wusste, dass hier irgendwo das zu finden war, wonach ich suchte.
Etwas, das mein Leben retten konnte.
Ich tastete die Wand entlang. Die P226 hatte ich wieder in die Taschen des fleckigen Parkas gesteckt, den ich für meine Underground-Mission trug. Mit der Waffe konnte ich jetzt ohnehin kaum etwas ausrichten.
Und dann hatte ich es gefunden!
In einer Nische befand sich der Zugang zu einem Abflusskanal, der dafür sorgen sollte, dass die Subway nicht unter Wasser stand, wenn es über der Erde schüttete.
Ich rollte den Betondeckel zur Seite, stieg hinunter. Die Röhre, in der ich mich befand, war gerade groß genug für mich. Vorsichtig rutschte ich den Deckel wieder an seinen Ort. Dann stieg ich an den rostigen Sprossen hinab.
Von oben hörte ich die Schritte der Verfolger.
Einer schien zu glauben, mich gesehen zu haben und ballerte im Tunnel herum.
Ich stieg weiter hinab.
Sid und Brett hatten mir diesen Fluchtweg gezeigt. Für sie war ich einer der ihren gewesen und so hatten sie mich und meinen Kollegen Milo Tucker in dieses Geheimnis eingeweiht.
Oft genug durchstreiften Jugendbanden die Katakomben New Yorks. Die waren dann für gewöhnlich einfach nur auf Konfrontation aus und machten Jagd auf die 'Mole People'. Und da konnte so ein Fluchtweg sehr wichtig sein.
Ich hatte keine Ahnung, wo Milo jetzt war.
Zusammen mit Crazy Joe, einem anderen Bewohner dieser Untergrund-Stadt, war er aufgebrochen, um einen Mann zu finden, den hier alle den Tunnel King nannten und der uns möglicherweise wichtige Informationen liefern konnte.
Ich hoffte nur, dass Milo und Crazy Joe der Killer-Bande nicht geradewegs in die Arme gelaufen waren...
Ich erreichte das Ende des röhrenförmigen Abflusses. Er mündeten in einen großen Kanal. Ich stand bis zu den Knien im schlammigem Wasser. Aus der Dunkelheit heraus kam ein heimtückischer Schlag. Ich sah ihn erst im letzten Moment, versuchte noch auszuweichen, aber es war zu spät.
Ein Gewehrkolben erwischte mich in der Seite. Hart kam ich gegen die Betonwand. Während der Lichtkegel meiner Taschenlampe herumwirbelte, sah ich schlaglichtartig ein halbes Dutzend Waffenmündungen, die direkt auf mich zeigten.
Und die maskierten Gesichter...
Mit den Nachtsichtgeräten wirkten sie wie Aliens.
Ritsch! Ratsch!
Jemand hatte eine Pumpgun durchgeladen und rammte mir die Mündung in den Bauch.
"Wenn du auch nur zu atmen wagst, du Bastard, bist du nur noch 'n blutiger Fleck an der Wand!" zischte mir einer entgegen. Seine Stimme war leise und sehr heiser. Er kicherte und fuhr fort: "DEN Fluchtweg kannten wir auch..."
"Worauf wartest du?", meinte ein anderer. "Mach das Schwein alle..."
2
Einige Wochen waren Milo und ich schon im Undercover-Einsatz bei den 'Mole-People'. Es dauerte eine Weile, bis man das Vertrauen der scheuen Bewohner dieses städtischen Höhlensystems erringen konnte.
Sobald einer von ihnen auch nur ahnte, dass wir Special Agents des FBI waren, hätten wir keinen von ihnen je wiedergesehen.
Sie misstrauten jedem, auch denen, die ihnen helfen wollten. Und ihre Erfahrungen mit Cops und Behörden waren nicht gerade so, dass sie jedem Polizisten oder Streetworker gleich ihr Herz ausschütteten. Das Problem der Tunnelmenschen, wie man sie auch nannte, war erst in letzter etwas stärker ins Bewusstsein der Behörden gerückt.
Wir vom FBI kümmerten uns um die 'Mole People', seit eine mysteriöse Mordserie unter diesen Menschen die Homicide Squads mehrerer New Yorker Polizeireviere zum Rotieren gebracht hatte.
Das Leben in den Katakomben war außerordentlich hart. Neben der Kälte im