Der Chrysler war über eine holprige Straße gefahren.
Nun hielt er.
Alfredo Sevardo stellte den Motor ab. Er drehte sich mit einem eisigen Grinsen um. „Pech für dich, mein Junge. Die Rückfahrt werden wir ohne dich machen.“
Mel Kowalski überlegte fieberhaft, wie er sich selbst aus dieser tödlichen Klemme heraushelfen konnte. Der Chrysler war an drei Seiten von einem Steinbruch umgeben, dessen schroffe Wände steil dem Himmel ragten.
Niemand würde die kaltblütige Hinrichtung miterleben.
Das war eine Situation, wie Mel Kowalski sie bevorzugt hatte, wenn er einen Auftrag erledigte.
Doch diesmal war er nicht der Killer, sondern das Opfer!
Eine brennende Wut stieg in ihm hoch. Er hasste Sergio Patana, der so leichtfertig das Todesurteil gesprochen hatte. Sein Inneres bäumte sieh gegen dieses schmähliche Ende auf. Er flehte den Himmel und die Hölle an, ihm die Möglichkeit zu bieten, Patana für das an ihm begangene Verbrechen mit aller Härte zu bestrafen.
Bingo Celentano, der die ganze Zeit mit seiner Walther auf Kowalski gezielt hatte, wies mit dem Kinn nun auf die Tür. „Mach sie auf und steig aus, Mel.“
Kowalski versuchte sich mit den Soldati zu arrangieren. Er bot ihnen einen Haufen Geld. Geld, das er ihnen zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgenommen hätte, doch Sevardo und Celentano waren nicht bestechlich.
„Trag dein Schicksal wie ein Mann“, sagte Sevardo hart. „Steig aus, Mel. Es gibt keinen mehr, der noch etwas für dich tun könnte.“
Doch! Einen gibt es noch!, dachte Kowalski aufgeregt. Ich selbst bin das. Noch bin ich nicht geschlagen. Noch hat mir keine von euren verfluchten Kugeln das Leben genommen. Noch besitze ich meinen Hass und den Willen, Rache zu nehmen, und weder ihr, noch sonst jemand wird mich davon abhalten können.
Er tat so, als würde er sich in sein Schicksal ergeben, als hätte er die Ausweglosigkeit seiner Lage erkannt und würde endgültig resignieren.
Es gelang ihm, durch Gestik und Mimik die Soldati zu täuschen.
Er machte auf sie einen geknickten, erledigten Eindruck, als er müde nach dem Türgriff langte. Er seufzte schwer. Vorne öffnete Alfredo den Wagenschlag. In dem Augenblick, wo der Soldato seinen Fuß auf den Boden setzte, handelte Mel Kowalski.
Er zuckte herum.
Die lädierte Schulter schmerzte sofort höllisch, doch er biss die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz. Wenn das Leben in Gefahr ist, verliert die schlimmste Qual ihre Bedeutung.
Aus der Drehung heraus schlug er zu. Seine Handkante traf Bingo Celentano. Der Soldato röchelte und sackte zur Seite. Er verlor augenblicklich die Besinnung. Die Walther entfiel seiner Hand. Kowalski ergriff sie, stieß die Tür auf und ließ sich nach draußen fallen. Alles in allem ging es so schnell, dass Alfredo Sevardo kaum mit dem Denken mitkam.
Jetzt stieß er einen wütenden Fluch aus.
Seine Hand zuckte zur Waffe, doch zu spät.
Mel Kowalski rollte über den Boden und feuerte kurz hintereinander zweimal.
Sevardo schrie getroffen. Die zweite Kugel hob ihn aus. Er kippte nach hinten und landete mit dem Kreuz auf der Motorhaube des Chrysler. Von dort glitt er langsam nach unten. Ein dünner Blutfaden sickerte aus seinem Mund. Seine Beine knickten ein. Er fiel um ... tot.
Mel Kowalski erhob sich. Ein triumphierendes Grinsen lag auf seinem Gesicht. „Ihr Idioten! Dachtet ihr wirklich, mit Mel Kowalski fertig werden zu können?“
Bingo Celentano regte sich im Fond. Kowalski begab sich zu ihm. Der Soldato riss erschrocken die Augen auf, als er in die Mündung seiner eigenen Kanone blickte. „Komm raus, Bingo!“, sagte der Killer frostig.
Der Mafioso glotzte verstört. „Dio mio, Mel, du wirst doch nicht ...“
„Raus aus der Blechschleuder!“, bellte Kowalski ungehalten.
Celentano quälte sich zitternd aus dem Wagen. Er massierte seinen schmerzenden Hals und hob dann langsam die Hände. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er schwitzte so stark, dass Kowalski es riechen konnte.
„W-wo ist Alfredo?“, stammelte Bingo Celentano.
„Den musste ich umlegen“, antwortete Kowalski mit einem höhnischen Grinsen.
Celentano gluckste: „Hör zu, Mel, das Ganze war nicht meine Idee. Du weißt, wie‘s in der Organisation zugeht. Sergio Patana erteilt einen Befehl, und wir müssen ihn ausführen. Egal, ob uns die Sache unter die Nase geht oder nicht. Patana ist der Boss. Was er anschafft, hat zu geschehen, Mel, das weißt du doch! Du hast ja selbst lange Zeit von ihm Befehle entgegengenommen. Ich hätte unmöglich nein sagen können. Patana wäre wütend geworden und hätte mich noch in derselben Stunde umlegen lassen. Ich war gezwungen, zu gehorchen, Mel, das verstehst du doch, oder?“
Kowalski zeigte die Zähne. „Mann, mir kommen gleich die Tränen. Verdammt noch mal, tu jetzt nicht so, als wär‘s dir lieber gewesen, wenn Patana jemand anders damit beauftragt hätte. Du warst sicherlich ganz versessen darauf, mal wieder unter Beweis zu stellen, was du auf dem Kasten hast. Und woran kann man sich besser messen als an Mel Kowalski, he? Nun, du siehst, dass du nicht mal halb so gut bist wie ich. Alfredo musste das inzwischen auch einsehen!“
Celentanos Miene wurde weinerlich. „Mel, ich flehe dich an, gib mir noch eine Chance.“
„Hättest du mir eine gegeben?“
„Mel. bitte!“
Kowalski zielte auf Bingo. Der Soldato wurde mit dieser enormen Nervenbelastung nicht mehr fertig. Er stieß einen heiseren Schrei aus, der von den Steinbruchwänden als zitterndes Echo zurückkam, wirbelte gleichzeitig herum und fing zu rennen an, ohne zu wissen, wohin er laufen sollte.
Kowalski schenkte ihm fünf Schritte.
Dann schoss er ihn eiskalt in den Rücken!
24
Roberto Tardelli traf in Baltimore ein. Der Zeitdruck, der ihn zu größter Eile anspornte, würde erst zu Ende sein, wenn Mel Kowalski auf Nummer Sicher war. Roberto hastete durch das Flughafengebäude des Friendship Airport und erspähte ein Taxi.
Einige Menschen, die ihm im Weg waren, beiseite schiebend, erreichte er die elektronisch gesteuerte Glastür. Im Augenblick gab es nur noch dieses eine Taxi. Alle anderen waren bereits abgefahren. Roberto eilte darauf zu.
Von rechts schob sich ein dicker, schwitzender Mann auf dasselbe Fahrzeug zu. Er hatte ein knallrotes Gesicht und schnaufte fürchterlich. Links und rechts schleppte er voluminöse Koffer, die beinahe auf dem Boden schleiften.
Der Mann war um zwei Schritte schneller beim Wagen als Roberto. Er stellte umständlich die Koffer ab, holte ein Taschentuch aus dem Jackett und wischte sich die Schweißperlen ab.
Als er dann nach dem Türgriff fassen wollte, hatte Roberto diesen bereits in seiner Hand. Der CC-Agent öffnete den Wagenschlag und schwang sich an dem Dicken vorbei ins Taxi. Das war normalerweise nicht