Dafür aber hielt er in Minsk nicht Rast. Als er auf den Markt kam, sah er ein so großes und schönes Schloß, wie er es nirgends unterwegs getroffen hatte. Die Hofleute in prächtigen Gewändern, ein halbes Regiment zwar nur zu Fuß, denn zum Wahlreichstag durfte man nicht bewaffnet kommen, aber so schmuck, daß auch der König von Schweden keine schmuckere Garde haben konnte. Eine Menge vergoldeter Wagen mit Matten und Decken, um die Gasthäuser unterwegs zu belegen, Wagen mit Speiseschränken und Mundvorräten, zudem eine fast ganz ausländische Dienerschaft, so daß kaum einer im ganzen Haufen eine verständliche Sprache sprach.
Endlich bemerkte Sagloba unter der Dienerschaft einen polnisch Gekleideten. Er ließ also Halt machen und steckte schon, einer guten Rast sicher, einen Fuß aus seinem Korbwagen und sagte:
»Wem gehört das schöne Herrenhaus, wie es auch der König nicht schöner haben kann?«
»Wem kann es gehören,« antwortete der Diener, »wenn nicht unserem Herrn, dem Fürst-Stallmeister von Litauen.«
»Wem?« wiederholte Sagloba.
»Seid Ihr taub? Dem Fürsten Boguslaw Radziwill, der zum Reichstag fährt und, so Gott will, nach der Wahl gewählt sein wird.«
Sagloba zog schnell den Fuß in den Wagen zurück.
»Weiter!« schrie er dem Kutscher zu, »hier haben wir nichts zu suchen.«
Und er reiste weiter, am ganzen Körper vor Entrüstung bebend.
»Großer Gott!« sprach er, »unerforschlich sind deine Wege, und wenn du diesem Verräter nicht mit einem Blick den Nacken spaltest, so hast du gewiß verborgene Absichten damit, die der Verstand nicht fassen kann, obgleich, die Dinge menschlich betrachtet, einem solchen aufgeblähten Fant eine gehörige Strafe ziemt. Aber es steht schlecht in dieser herrlichen Republik, wenn solche Schächer ohne Ehre und Gewissen nicht bloß ungestraft umherlaufen, sondern auch in Sicherheit und voller Macht umherreisen — bah, sogar hohe Ämter bekleiden. O gewiß, wir gehen zugrunde, denn in welchem Lande, in welchem anderen Staate könnten solche Dinge geschehen! Er war ein guter König, der Johann Kasimir, aber er verzieh zu viel und gewöhnte die Bösen daran, auf Straflosigkeit und Sicherheit zu pochen; aber es ist nicht allein seine Schuld; auch in der Nation ist das bürgerliche Gewissen und das Gefühl für Tugend ganz und gar verschwunden. Pfui, pfui! — er ein Reichsbote! In seine nichtswürdigen Hände legen die Bürger die Unversehrtheit und die Sicherheit des Vaterlandes, in dieselben Hände, mit welchen er es zerrissen und in schwedische Ketten geschmiedet hat! Wir gehen zugrunde, es kann nicht anders sein. Sie werden ihn gar noch zum König machen ... nun ja, bei einem solchen Volke ist alles möglich. Er — Abgesandter! Bei Gott, sagt nicht das Gesetz ausdrücklich, daß derjenige nicht Reichsbote sein kann, der in einem fremden Lande ein Amt innehat, und er ist doch bei seinem Onkel, dem Kurfürsten von Preußen, Generalstatthalter! Aha, wartet nur — ich habe dich! Wozu sind die Wahlprüfungen da? Wenn ich nicht in den Saal hineintreten und nur als Zuhörer auf die Galerie darf, obgleich ich diesen Gegenstand nicht bespreche, so will ich mich gleich in einen Hammel verwandeln, und mein Kutscher soll der Schlächter sein! Es werden sich schon welche finden unter den Reichsboten, die mich unterstützen werden. Ich weiß nicht, Verräter, ob ich mit dir, dem Mächtigen, fertig werde, und ob ich dich aus dem Reichstag werde entfernen können; — aber daß dir das zur Wahl nicht nützlich sein wird, das ist gewiß, und Michael, der Arme, muß auf mich warten, denn das wird eine Tat zum Besten des öffentlichen Wohles sein.«
So überlegte Sagloba und gab sich das Versprechen, diese Wahlprüfung ernst in die Hand zu nehmen und unter den Boten im geheimen dafür zu werben. Aus diesem Grunde fuhr er schon eiliger von Minsk nach Warschau, da er fürchtete, zur Eröffnung des Wahltags zu spät zu kommen. Er kam aber noch ziemlich früh. Die Zahl der Reichsboten und der Fremden war so groß, daß man weder in Warschau, noch in der Vorstadt Praga, noch in der Nähe der Stadt ein Gasthaus finden konnte; man konnte sich auch schwer bei jemand unterbringen, denn fast alle Zimmer waren bereits besetzt. Die erste Nacht verbrachte Sagloba im Laden bei Fuker, und das ging noch ziemlich glatt ab; aber am anderen Morgen, nachdem er sich in seinem Korbwagen ganz ernüchtert hatte, wußte er selbst nicht, was er beginnen sollte.
»Gott, o Gott,« sagte er und verfiel in schlechte Laune, indem er sich in der Krakauer Vorstadt, durch die er gerade fuhr, umsah, »hier sind die Ruinen des Kasanowskischen Palastes. Undankbare Stadt, mit dem eigenen Blut und mit Mühsal mußte ich sie dem Feinde entreißen, und nun geizt sie mir ein Winkelchen für mein graues Haupt.«
Die Stadt aber geizte durchaus nicht um den Winkel für sein graues Haupt, sie besaß ihn einfach nicht. Indessen leuchtete Sagloba ein glücklicher Stern, denn kaum war er in die Nähe des Palastes der Koniezpolskis gekommen, als eine Stimme von seitwärts den Kutscher anrief: »Halt!«
Der Knecht hielt die Pferde an; da trat ein unbekannter Edelmann mit strahlendem Gesicht an den Wagen heran und rief:
»Herr Sagloba, erkennt Ihr mich nicht?«
Sagloba sah einen Mann von etwa dreißig Jahren vor sich, mit einer Husarenmütze aus Luchsfell, die mit Federn geschmückt war, ein unzweifelhaftes Abzeichen des Heeresdienstes, auf dem Kopfe, und in einen mohnfarbenen Überrock und ein dunkelrotes Wams mit goldenem Gürtel gekleidet. Das Gesicht des Unbekannten war von ungewöhnlicher Schönheit, seine Gesichtsfarbe blaß, hier und da vom Sturm gebräunt; er hatte blaue, schmachtende, nachdenkliche Augen und außerordentlich regelmäßige, für einen Mann fast zu schöne Gesichtszüge. Trotz der polnischen Kleidung trug er langes Haar und einen nach ausländischer Art gestutzten Bart. Er trat an den Wagen heran, öffnete weit die Arme, und obwohl Sagloba sich nicht gleich seiner erinnern konnte, neigte er sich doch vor und umhalste ihn.
Sie umarmten sich herzlich, von Zeit zu Zeit hielt der eine den anderen ein wenig zurück, um ihn genauer zu betrachten; endlich sagte Sagloba:
»Verzeiht, aber ich kann mich nicht erinnern ...«
»Haßling-Ketling.«
»Ums Himmels willen! Das Gesicht war mir bekannt, aber die Kleidung hat Euch ganz verändert; früher sah ich Euch immer im Reiterkollett. So kleidet Ihr Euch schon polnisch?«
»Weil ich diese Republik, die mich Heimatlosen, als ich noch ein Knabe war, an ihre Brust genommen und reichlich versorgt hat, zu meiner Mutter gemacht habe und eine andere Mutter nicht mehr will. Wißt Ihr, daß ich nach dem Kriege das Heimatsrecht erhalten habe?«
»Ei, da bringt Ihr mir eine liebe Neuigkeit. So ist es Euch gut gegangen?«
»Ja, hierin sowohl wie auch in anderer Hinsicht, denn in Kurland, an der äußersten Grenze der Smudz, fand ich einen Mann, einen Namensvetter von mir, der mich adoptiert hat, der mich in sein Wappen aufnahm und mich mit Vermögen beschenkt hat. Er wohnt in Swienta in Kurland; aber auch hier hat er ein Besitztum, Schkudi, das er mir überlassen hat.«
»Segne es dir Gott! So hast du also das Kriegshandwerk aufgegeben?«
»Wenn etwas vorkommt, so stelle ich mich unbedingt wieder. Darum habe ich auch das Gütchen in Pacht gegeben und warte hier auf eine Gelegenheit.«
»Das nenne ich Rittertum! Ganz wie ich, als ich jung war, obgleich ich auch jetzt noch Mark in den Beinen habe. Was machst du hier in Warschau?«
»Ich bin Reichsbote.«
»Bei den Wunden des Heilands, so bist du mit Leib und Seele Pole!«
Der junge Ritter lächelte; »ja, auch mit der Seele.«
»Bist du verheiratet?«
Ketling seufzte: »Nein.«
»Das allein fehlt dir. Halt, warte mal! Ob du wohl noch die alte Neigung zu Fräulein Billewitsch in der Erinnerung hast?«
»Da Ihr doch darum wißt, obwohl ich glaubte, es sei nur mein Geheimnis, so will ich Euch sagen, daß mir nie eine andere Neigung ...«
»Schlagt Euch das aus dem Sinne! Sie wird in kurzer Zeit der Welt einen kleinen