Skrzetuski wußte, daß Sagloba seit einiger Zeit die Gewohnheit hatte, sich in allem auf ihn als Augenzeugen zu berufen; er zwinkerte daher nicht einmal mit dem Auge, sondern begann wieder von Wolodyjowski. Sagloba versank in Schweigen und sann tief über etwas nach; endlich, nach dem Abendessen, kam er in bessere Laune und sprach zu den Genossen:
»Ich will euch etwas sagen, was nicht so leicht jeder mit seinem Verstande trifft. Ich habe zu Gott die Hoffnung, daß Michael leichter aus diesem Unglück hervorgehen wird, als es uns anfangs schien.«
»Gebe Gott, aber woher kommt Euch das in den Sinn?« sagte Kmiziz.
»Hm, da bedarf's des scharfen Witzes, der ein Erbteil der Natur ist, und großer Erfahrung, wie ihr sie in euren Jahren nicht haben könnt, und genauer Kenntnis von Michaels Wesen. Jeder Mensch hat eine andere Natur. Den einen trifft das Unglück gerade so wie der Stein das Wasser, um in Gleichnissen zu reden. Das Wasser fließt scheinbar glatt und ruhig weiter, während auf seinem Grunde der Stein liegt und seinen Lauf hemmt. Du, Johann, kannst zu diesen gezählt werden, denen es oftmals schlecht in der Welt geht, denn in ihnen lebt der Schmerz und die Erinnerung fort. Ein anderer wieder nimmt ein Unglück ähnlich auf, als ob du ihm mit der Faust eins in den Nacken versetztest. Es betäubte ihn im Augenblick, dann kommt er zu sich, und wenn die Beule geheilt ist, ist's auch vergessen. O, eine solche Natur ist die bessere in dieser unglücksreichen Welt!«
Die Ritter hörten aufmerksam den weisen Worten Saglobas zu, und er sah es gern, daß sie mit solcher Teilnahme aufhorchten, und sprach weiter:
»Ich habe Michael durch und durch kennen gelernt, und Gott ist mein Zeuge: ich will ihm nichts Böses nachsagen; aber mir will scheinen, als täte es ihm mehr um die Heirat als um dieses Mädchen leid. Es will nichts sagen, daß ihn die Verzweiflung furchtbar gepackt hat, denn es ist ein furchtbares Unglück, besonders für ihn. In ihm steckt keine Habgier, kein Ehrgeiz, keine Selbstsucht; er ging von seinem Eigentum weg, ließ seinen Besitz, mahnte nicht um seinen Sold; aber für alle Mühsale, für alle seine Verdienste erhoffte er von Gott und von der Republik nichts als eine Gattin. Er hatte sich's so in seinem Herzen zurechtgelegt, daß ihm ein solcher Bissen gehören müsse; schon sollte er ihn zum Munde führen, da — als hätte es ihm der Wind weggeweht. Was Wunder, daß ihn die Verzweiflung gepackt hat? Ich sage nicht, daß ihm das Mädchen nicht leid tue, aber, so wahr ich Gott liebe, ihn schmerzt mehr, daß er nun wieder unvermählt bleiben muß.«
»Gebe Gott!« wiederholte Skrzetuski.
»Wartet! Mögen nur erst jene Herzenswunden sich schließen und mit neuer Haut bedecken, und wir wollen sehen, ob ihm die alte Lust nicht wiederkehrt. Nur darin liegt eine Gefahr, daß er jetzt unter dem Druck der Verzweiflung etwas tue oder beschließe, was ihn nachher gereuen könnte; aber was geschehen sollte, ist schon geschehen, denn im Unglück faßt man schnell Entschlüsse. Mein Bursche nimmt schon die Kleider aus dem Schrein und ordnet sie: ich sage das also nicht, weil ich etwa nicht Lust hätte, zu reisen, ich wollte euch nur trösten.«
»Und wieder wirst du, Vater, dem Michael ein Balsam sein,« sagte Skrzetuski.
»Wie ich es auch dir gewesen bin — denkst du noch? Wenn ich ihn nur bald fände, denn ich fürchte, daß er sich irgendwo in der Wüstenei oder in der fernen Steppe, an die er von Jugend auf gewöhnt ist, versteckt. Ihr, Herr Kmiziz, habt mich wegen meines Alters verspottet: ich sage Euch, wenn je ein Sendbote einen Brief so schnell fortgebracht hat, wie ich jetzt fortkommen werde, so heißt mich, wenn ich wiederkehre, Charpie zupfen, Erbsen lesen, oder gebt mir die Spindel. Mich sollen weder Unbequemlichkeiten hindern, noch soll mich fremde Gastfreundschaft in Versuchung führen, oder Essen und Trinken in meiner Eile hemmen. Solch einen Flug habt Ihr noch nicht gesehen; ich halte es auch nicht aus, hier zu sitzen, gerade als wenn jemand unter der Bank steckte und mich forttriebe. Ich habe auch schon befohlen, mein Reisehemd mit Ziegentalg einzuschmieren, um die Insekten davon abzuhalten.«
Herr Sagloba reiste doch nicht so schnell, wie er es sich und den Freunden versprochen hatte. Je mehr er sich Warschau näherte, desto langsamer kam er vorwärts. Es war die Zeit, in welcher König Johann Kasimir, der große Politiker und Heerführer, nachdem er die Feuerbrände außerhalb gelöscht und die Republik gleichsam aus der Sturmflut gerettet hatte, auf die Regierung verzichtete. Alles hatte er in Geduld getragen, alles überstanden, all den Streichen hatte er kühn die Brust entgegengestellt, welche von dem auswärtigen Feinde kamen; als er aber dann innere Reformen anstrebte und statt der erwarteten Hilfe von der Nation nichts als Widerstand und Undank erfuhr, da nahm er freiwillig von dem geheiligten Haupte die Krone, die ihm eine unerträgliche Last geworden war.
Die Kreistage und die Generalversammlungen hatten bereits stattgefunden, und der Fürst-Primas Praschmowski hatte den Wahlreichstag auf den 5. November angesetzt.
Groß waren die Anstrengungen der verschiedenen Kandidaten, groß der Wettstreit der mannigfachen Parteien, und obgleich erst die Königswahl die Entscheidung bringen sollte, begriff doch jeder die außerordentliche Wichtigkeit des Wahlreichstages. Und so zogen die Sendboten nach Warschau zu Wagen und zu Pferde mit Gesinde und Knechten, so zogen die Senatoren mit prächtigem Gefolge. Auf den Wegen war es eng, die Wirtshäuser besetzt, und die Auffindung eines Nachtquartiers war mit Mühe und Zeitverlust verbunden. Zwar räumte man Herrn Sagloba mit Rücksicht auf sein Alter leicht einen Platz ein, aber sein außerordentlicher Ruf brachte häufig wiederum einen Verlust an Zeit mit sich. Es kam wohl vor, daß er an einem Gasthof vorfuhr, in dem die Menschen wie die Heringe zusammengepfercht waren. Da kam die Herrschaft, die es samt dem Gefolge bewohnte, aus Neugier heraus, um zu sehen, wer vorgefahren sei, und wenn sie den Greis mit weißem Bart und Haupthaar erblickten, sagten sie beim Anblick solcher Würde:
»Wir bitten den Herrn, mit uns aufs Zimmer zu kommen und einen Imbiß zu nehmen.«
Herr Sagloba war kein Grobian und sagte nicht Nein, denn er wußte, daß die Bekanntschaft mit ihm jedem angenehm sein würde. Wenn also der Wirt, nachdem er ihn über die Schwelle geführt, sagte: »Wen habe ich die Ehre ...« — so stemmte er die Hände in die Seiten und sagte, der Wirkung seiner Worte sicher, nur: »Sagloba sum. Ich bin Sagloba.«
Und es kam kaum vor, daß diesen Worten nicht eine große Freude folgte, ein Schwenken der Arme: Diesen Tag zähle ich zu den glücklichsten meines Lebens, und ein lautes Rufen der Genossen oder der Hofleute: »Schaut her, das ist die Zierde, gloria et decus der gesamten Ritterschaft der Republik«, und alles lief herbei, um Herrn Sagloba zu bewundern, und die Jüngeren kamen und küßten die Schöße seines Reisemantels. Und dann schleppte man von den Wagen die Tönnchen und die Anker herbei, und dann folgte ein Festgelage, das bisweilen tagelang dauerte.
Allenthalben glaubte man, er reise als Abgesandter zum Reichstag, und als er sagte, daß dies nicht der Fall sei, war das Erstaunen ein allgemeines. Aber er erklärte dann, er habe sein Mandat an Herrn Domaschewski abgetreten, damit auch die Jüngeren an den öffentlichen Angelegenheiten teilnähmen. Manchen sagte er auch die wahre Ursache seiner Reise, andere wiederum fertigte er, wenn sie ihn fragten, mit den Worten ab:
»Seht, von Kindheit auf bin ich den Krieg gewohnt, und so wollte ich auf meine alten Tage mit dem Doroschenko einen Gang machen.«
Nach solchen Worten bewunderte man ihn noch mehr. Er wurde auch für niemand minder teuer darum, weil er nicht als Abgesandter reiste, denn man wußte, daß unter den Neutralen sich Männer befanden, die mehr vermochten als die Landboten selber. Überdies gedachte jeder Senator, auch der hervorragendste, dessen, daß in wenigen Monaten die Wahl stattfinde, und daß dann jedes Wort eines Mannes, der einen solchen Ruf in der Ritterschaft habe, ein unschätzbares Gewicht haben würde.
Und man umarmte Herrn Sagloba und zog den Hut vor ihm, hoch und niedrig. Herr Podlaski bewirtete ihn drei Tage, die Herren Paz, die er in Kaluschin traf, trugen ihn auf den Händen.
Mancher ließ ihm auch im geheimen bedeutende Geschenke in seinen Korbwagen hineinlegen,