Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski). Henryk Sienkiewicz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henryk Sienkiewicz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113643
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noch hat Herr Sobieski, der Hetman, gesagt: »Hätte wenigstens Wolodyjowski noch diesen einen Sturm mitgedient, und wäre er dann in ein beliebiges Kloster gegangen, Gott hätte darum nicht gezürnt; im Gegenteil, ein solcher Mensch hätte ein um so größeres Verdienst.« Aber es nimmt mich nicht wunder, daß du die eigene Beruhigung dem Glücke des Vaterlandes vorziehst: »zuerst die Barmherzigkeit, dann ich.««

      Eine lange Pause trat ein; nur die Bartenden Michaels strebten in die Höhe und fingen an, sich schnell und leicht zu bewegen.

      »Das Gelübde hast du noch nicht geleistet?« fragte endlich Sagloba, »und kannst jeden Augenblick austreten?«

      »Noch bin ich nicht Mönch; ich habe auf die Gnade Gottes gewartet und darauf, daß alle irdischen Schmerzgedanken meine Seele verlassen. Aber seine Gnade ist über mir, der Friede kehrt ins Herz, — ich kann hinaus, aber ich will nicht mehr, denn der Termin kommt heran, an dem ich mit reinem Gewissen und frei von irdischer Begehrlichkeit das Gelübde werde leisten können.«

      »Ich will dich nicht davon abbringen, im Gegenteil, ich lobe deinen Entschluß, obwohl ich mich erinnere, daß, als Skrzetuski zu jener Zeit die Absicht hatte, Mönch zu werden, er doch so lange damit zögerte, bis das Vaterland von der Überflutung der Feinde frei sein würde. Aber handle, wie du willst, wahrlich, ich werde dich nicht davon abbringen, denn ich selbst empfand seinerzeit den Beruf zum Klosterleben in mir. Vor fünfzig Jahren begann ich sogar schon das Noviziat — ein Schelm, wenn ich lüge. Nun, Gott hat es anders gelenkt ... Nur das eine sage ich dir, Michael: jetzt mußt du mit mir hinaus, sei es auch nur auf wenige Tage.«

      »Warum soll ich austreten? Laßt mich in Frieden!« sagte Wolodyjowski.

      Sagloba hob den Zipfel seines Oberrockes an die Augen und begann zu schluchzen.

      »Für mich,« sprach er in abgerissenen Worten, »bitte ich nicht um Rettung, obwohl mich Fürst Boguslaw Radziwill mit seiner Rache verfolgt und Mörder für mich dingt, und ich alter Mann niemanden habe, der mich verteidige und schütze ... ich dachte, du würdest ... doch nein, nicht doch; ich werde dich immer lieben, wenn du mich auch nicht kennen wolltest. Bete nur für meine Seele, denn ich werde Boguslaws Händen nicht entrinnen. Treffe mich, was mich treffen soll! Aber dein anderer Freund, der jeden Bissen Brot mit dir geteilt, liegt im Sterben; er will dich durchaus noch sehen. Er will ohne dich nicht sterben, denn er hat dir Bekenntnisse zu machen, von welchen der Friede seiner Seele abhängt.«

      Michael, der schon die Mitteilung von der Gefahr Saglobas mit großer Teilnahme angehört hatte, sprang jetzt auf, faßte Sagloba bei den Armen und fragte:

      »Skrzetuski?«

      »Nicht Skrzetuski, — Ketling.«

      »Um Gottes willen, was ist ihm geschehen?«

      »Bei meiner Verteidigung hat ihn ein Schuß von den Leuten des Fürsten Boguslaw getroffen, und ich weiß nicht, ob er noch einen Tag leben wird. Um deinetwillen, Michael, sind wir beide in eine solche Lage gekommen, denn wir sind nur darum nach Warschau geeilt, um dir einen Trost zu ersinnen. Komme wenigstens auf zwei Tage heraus und tröste einen Sterbenden. Du kommst später wieder zurück und wirst Mönch. Ich habe vom Primas an den Prior einen Auftrag gebracht, daß man dir keine Hindernisse in den Weg lege. Eile nur, denn jeder Augenblick ist teuer.«

      »So wahr ich lebe,« sagte Wolodyjowski, »was höre ich! Hindernisse kann man mir hier nicht bereiten, denn ich bin gleichsam nur zur Rekollektion hier ... So wahr ich lebe, die Bitte eines Sterbenden ist eine heilige Sache, ich muß sie erfüllen.«

      »Es wäre auch eine Todsünde anders!« rief Sagloba.

      »So ist es! Immer und ewig dieser Verräter Boguslaw! Aber wenn ich Ketling nicht räche, so will ich nie hierher zurückkehren! Ich will sie schon finden, diese Höflinge, diese Häscher und will ihnen die Köpfe schon zurechtsetzen. Großer Gott, schon kommen todeswürdige Gedanken über mich, memento mori ... Wartet nur, bis ich die alten Kleider angelegt habe, denn im Habit ist es nicht erlaubt, in die Welt hinauszugehen.«

      »Hier sind Kleider,« rief Sagloba und griff nach dem Bündel, das bisher neben ihm auf der Bank gelegen hatte. »Ich habe alles vorgesehen, alles vorbereitet; hier sind Stiefel, hier ein Rapier, hier ein Wams ...«

      »Kommt in die Zelle!« sagte der kleine Ritter eilig.

      Und sie gingen. Als sie wieder erschienen, trippelte nicht mehr ein weißer Mönch neben Herrn Sagloba, sondern ein Offizier in gelben Kanonenstiefeln, ein Rapier an der Seite und das weiße Degengehänge über der Schulter. Sagloba blinzelte mit dem Auge und verzog seine Lippen zu einem Lächeln beim Anblick des Bruder Pförtners, der mit sichtlicher Kränkung in den Zügen beiden das Tor öffnete.

      Unweit des Klosters wartete der Korbwagen Saglobas mit zwei Knechten. Der eine saß auf dem Bock und hielt die Zügel des schönen Viergespanns, das Wolodyjowski sogleich mit dem Auge eines Kenners musterte; der andere stand neben dem Korbe mit einer schimmeligen Flasche in der einen und zwei Gläschen in der anderen Hand.

      »Nach Mokotow ist's ein Stück Wegs,« sagte Sagloba, »und an Ketlings Lager wartet schweres Leid. Stärke dich, Michael, damit du die Kraft habest, alles zu ertragen, denn du bist sehr heruntergekommen.«

      Bei diesen Worten nahm Sagloba die Flasche dem Burschen aus der Hand und füllte beide Gläschen mit altem Ausbruch, so alt, daß er förmlich dick war.

      »Ein würdiges Getränk,« sagte er, setzte die Flasche auf die Erde und nahm die Gläschen; »auf Ketlings Wohl!«

      »Auf sein Wohl!« wiederholte Wolodyjowski; »eilen wir!«

      Und sie gossen den Wein mit einem Zuge hinunter.

      »Eilen wir!« wiederholte Sagloba; »gieß ein, Bursche! Auf Skrzetuskis Wohl! — Eilen wir!« Wieder tranken sie in einem Zuge, denn es war wirklich Eile notwendig.

      »Steigen wir ein!« rief Wolodyjowski.

      »Und auf mein Wohl wirst du nicht trinken?« fragte Sagloba mit klagender Stimme.

      »Nur schnell, nur schnell!«

      Sie tranken schnell aus, Sagloba auf einen Zug, obwohl etwa ein halbes Quart im Glase war, dann rief er, ohne sich den Schnurrbart zu wischen:

      »Ich wäre undankbar, wenn ich nicht deine Gesundheit trinken wollte. Gieß ein, Bursche!«

      »Ich danke,« erwiderte Bruder Georg.

      Der Boden der Flasche wurde sichtbar. Sagloba ergriff sie am Halse und schlug sie in kleine Stücke, denn der Anblick leerer Trinkgefäße war ihm peinlich. Dann stiegen sie ein und fuhren schnell davon.

      Das edle Getränk erfüllte ihre Adern alsbald mit wohliger Wärme, und die Herzen mit Mut. Bruder Georgs Wangen überzogen sich mit leichtem Rot, und der Blick gewann die alte Frische wieder.

      Unwillkürlich griff er mit der Hand ein über das andere Mal an seinen Schnurrbart und richtete ihn in die Höhe, so daß die Enden bis an die Augen heranreichten. Dann begann er sich in der Gegend mit großer Neugier umzusehen, als ob er sie zum ersten Male sähe.

      Plötzlich schlug sich Sagloba mit den Händen auf die Knie und rief mir nichts, dir nichts, aus:

      »Hoc! Ich glaube, wenn Ketling dich erblickt, so wird er wieder gesund, hoc, hoc!«

      Dabei umarmte er Michael und drückte ihn mit voller Kraft an sich. Wolodyjowski wollte ihm nichts schuldig bleiben, und so umarmten sie sich aufs herzlichste. Eine Zeitlang fuhren sie in vollkommenem Schweigen dahin. Schon zeigten sich die Häuschen der Vorstadt an beiden Seiten des Weges. Vor diesen Häuschen herrschte lebhaftes Treiben, nach der einen und nach der anderen Seite zogen die Bürger, die Dienerschaft in verschiedenen Farben, Soldaten und Adel oft in schmucker Tracht.

      »Zum Wahlreichstag ist eine große Zahl des Adels zusammengekommen,« sagte Sagloba, »denn wenn auch so mancher nicht zum Reichsboten gewählt ist, so will er doch dabei sein, hören und sehen. Die Häuser, die Gasthöfe, alles ist so besetzt,