„Was können Sie uns sagen, Dr. Claus?“, fragte Clive.
„Im Wesentlichen das, was auch schon am Tatort erkennbar war. Der Mann hat mehrere Kugeln in Arme und Beine bekommen, ehe er von den tödlichen Schüssen getroffen wurde.“
„Er sollte also leiden“, vermutete Clive.
„Oder es wollte jemand etwas aus ihm herausquetschen“, setzte Dr. Claus den Akzent etwas anders. „Die Kugeln sind im ballistischen Labor. Die Tests werden wohl etwas länger brauchen als die Obduktion. Den schriftlichen Bericht haben Sie in zwei, drei Stunden. Je nachdem wie schnell unsere Schreibkraft den diktierten Bericht in den Computer getippt hat.“
„Schicken Sie mir eine Datei per Email ins Field Office, Dr. Claus.“
„Ja, in Ordnung.“
„Um auf den schriftlichen Bericht zu warten, haben wir nämlich keine Zeit.“
Clive beendete das Gespräch. Mell Horster kam unterdessen aus dem Bad. „Zumindest zeitweise muss hier eine Frau gelebt haben“, erklärte er. „Jedenfalls gibt es entsprechende Utensilien im Bad.“
„Eine Freundin, Lebensgefährtin, irgendetwas in der Art“, vermutete Clive.
„In den Kleiderschränken fanden sich jedoch keine Frauensachen“, ergänzte Sam Folder, der sich dort bereits umgesehen hatte. „Scheint also eine etwas lockere Beziehung gewesen zu sein.“
Etwas später suchte Clive den Schichtführer des privaten Security Service auf, der in dem Gebäude für die Sicherheit zu sorgen hatte.
Er hieß Damian McCorley und war sehr stolz darauf, dass der Sicherheitsstandard auf höchstem Niveau sei.
„Wir haben in allen Korridoren, im Foyer und in der Tiefgarage eine komplette Videoüberwachung. Außerdem elektronische Schlösser, die sofort Alarm auslösen, wenn sich jemand unsachgemäß an ihnen zu schaffen macht.“
„Mister Clement wurde ja auch nicht in seinem Penthouse ermordet“, erinnerte Clive sein Gegenüber, weil er das Gefühl hatte, dass McCorley sich irgendwie unter dem Zwang sah, sich rechtfertigen zu müssen. „Für uns wäre es einfach schon eine Hilfe, wenn wir wüssten, wann genau Mister Clement zum letzten Mal das Haus verlassen hat.“
„Das ist leicht feststellbar“, erklärte McCorley. „Na ja, leicht ... Man muss ein bisschen Zeit mitbringen, um sich hier die Videosequenzen anzusehen.“
„Dann kommen Sie wahrscheinlich auch gar nicht dazu, das gesamte Videomaterial anzusehen“, stellte Clive Caravaggio fest.“
„Nein, dafür haben nicht das Personal“, gab McCorley zu. „Und ich gebe gerne zu, dass das der Schwachpunkt in unserem System ist.“
Es war immer dasselbe. Die inflationär verwendeten Kameras zeichneten Unmengen von Bildmaterial auf, aber das Personal, das diese Kameras eigentlich live überwachen sollte, war in den seltensten Fällen aufgestockt worden. Das Ergebnis war, dass die allgegenwärtigen Kameras in der Praxis kaum dazu beitrugen, ein Verbrechen zu verhindern, sondern nur, es anschließend aufzuklären.
So auch in diesem Fall.
Nach einer ziemlich langwierigen Suche im aufgezeichneten Wust der Videodaten, fand McCorley schließlich jene Sequenz, die das FBI interessierte.
Eine Kamera in der Tiefgarage hatte aufgezeichnet, wie Clement seinen Wagen bestieg. Wenige Augenblicke danach setzte sich ein Mann zu ihm in den Wagen. Von dem, was danach geschah, war nicht viel zu sehen, da sich das Wageninnere im Schatten befand und daher nicht richtig ausgeleuchtet wurde.
„Wenn Sie mich fragen, dann war das ein guter Bekannter“, glaubte McCorley.
„War dieser Mann schon einmal hier im Gebäude?“
„Mir ist er nie aufgefallen.“
„Vielleicht stoßen wir auf ihn, wenn wir sämtliche Videodaten durchsuchen.“
„Das kann lange dauern.“
„Ich weiß, deswegen möchte ich, dass unsere Spezialisten an der Federal Plaza das übernehmen. Stellen Sie uns bitte einen geeigneten Datenträger zur Verfügung. Falls das nicht möglich ist, wird jemand kommen, um die Daten aufzuzeichnen.“
„In Ordnung. Dann sollten Sie letzteres veranlassen“, erklärte McCorley.
Clive ließ die Sequenz mit dem Mann, der zu Clement in den Wagen stieg noch einmal zurückspulen. Es kam ihm seltsam vor, dass dieser Fremde Handschuh trug, obwohl es dazu nun wirklich nicht kalt genug war.
Tatsache blieb, dass Alexander Jason Clement später nicht wieder in seine Wohnung zurückgekehrt war.
„Ich brauche einen Ausdruck, der das Gesicht dieses Mannes gut wiedergibt“, erklärte Clive.
„Das lässt sich machen“, versicherte McCorley.
„Wer immer der Kerl auch sein mag, er wird eine Menge Fragen zu beantworten haben.“
16
Es hatte stark zu regnen begonnen, als wir die Grenze nach Ohio überschritten - wir blieben auf der Interstate 80, die an Cleveland und dem Erie See in Richtung Westen vorbeiführte. 209 Meilen durch Ohio lagen vor uns.
Bei Oak Harbour, kurz vor Toledo hielten wir an einer Tankstelle. Wir waren ziemlich schnell vorangekommen. Unterwegs waren uns immer wieder Sportwagen der unterschiedlichsten Fabrikate begegnet, bei denen ich mich jedes Mal fragte, ob es Teilnehmer des Northern Cannonball waren. Die Wahrscheinlichkeit war hoch.
„Wenn wir so weitermachen, stellen wir vielleicht noch einen Rekord auf“, meinte Milo. „Mal ehrlich, du solltest nicht vergessen, was unser Hauptziel bei diesem Einsatz ist: Robert Dawn zu fassen.“
„Das vergesse ich nicht.“
Ich stieg aus und tankte.
Milo vertrat sich etwas die Beine.
„Soll ich dich für eine Weile ablösen?“
„Danke, aber das ist nicht nötig.“
Er zuckte mit den Schultern. „Hauptsache, du schläfst am Steuer nicht ein!“
Milo besorgte uns ein paar Snacks und bezahlte den Tank.
Wir wollten gerade weiterfahren, da brauste ein Porsche an die Zapfsäulen heran.
„Sieh an, ein 911 Turbo“, murmelte Milo zwischen den Zähnen hindurch. Der Fahrer stieg aus. Er war grauhaarig und wirkte wie Anfang sechzig. Es handelte