„Er weiß nichts!“, zeterte Clement.
„Aber es stimmt, dass er sich nicht einfach so aus Freude an seinem Wagen für das Rennen gemeldet hat!“
„Ja“, keuchte Clement. „Was willst du machen? Das Rennen vielleicht absagen?“
„Nein. Das ist eines von den Dingen, die unter keinen Umständen passieren werden“, erklärte Ray. „Wir regeln das auf unsere Weise.“ Ray atmete tief durch. Sein Mund verzog sich dabei. Er richtete die Waffe jetzt auf Clements Kopf und feuerte zweimal kurz hintereinander. Wie rote Drachenzungen leckte das Mündungsfeuer aus der vorderen Öffnung des Schalldämpfers heraus. Ein Geräusch, das wie zwei kurz hintereinander ausgeführte Schläge mit einer zusammengerollten Zeitung klang, ertönte. Auf Clements Stirn hatten sich zwei kleine rote Löcher dicht nebeneinander gebildet. Er sackte in sich zusammen und eine Blutlache begann sich auf den Asphalt vor der dritten Werkshalle zu ergießen.
12
Um zum Battery Park zu fahren, benutzten Milo und ich einen unscheinbaren Chevrolet aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft. Schließlich hätte die Gegenseite den Weg des Wagens mit Hilfe des GPS-Gerätes jederzeit verfolgen können und außerdem wollten wir unseren Spezialisten noch die Gelegenheit geben, vielleicht doch noch das eine oder andere über das Innenleben des Apparates herauszufinden.
Wir waren pünktlich am angegebenen Ferry Terminal, von wo aus die Touristenfähren nach Liberty Island im regelmäßigen Takt aufbrachen.
Es war ein freundlicher, sonniger Tag. Aus Richtung des Atlantiks wehte ein kräftiger, kühler Wind, der das Wasser kräuselte.
Milo blickte durch eines der Münzfernrohre und warf einen Blick zur Freiheitsstatue, die sich auf Liberty Island erhob und ihre Fackel in die Höhe reckte.
Es wurde zwei Uhr, aber Clement tauchte nicht auf.
Wir warteten eine halbe Stunde, ohne dass er eintraf. Ich rief die Nummer des Prepaid Handys zurück, mit dem er mich immer angerufen hatte. Es meldete sich lediglich eine lapidare Ansage. Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.
„Wenn du mich fragst, ist das kein gutes Zeichen, Jesse“, lautete Milos Kommentar.
Auch am folgenden Tag hörten wir nichts von Clement. Offen ermitteln konnten wir in der Sache nicht. Dann wäre die ganze Operation, durch die wir Robert Dawn fassen wollten, in Gefahr geraten. Es wäre einfach aufgefallen, wenn sich plötzlich FBI-Agenten in seinem Club ‚Rolling Bones’ in der Avenue B getummelt hätten.
„Möglich, dass diesem Clement der Boden einfach zu heiß wurde und er sich aus dem Staub gemacht hat“, lautete Clives Vermutung, als wir uns später in Mr McKees Büro zur Besprechung trafen.
„Jedenfalls war der Club ‚Rolling Bones’ gestern Abend geschlossen“, stellte Orry fest. „Und ich bin gespannt, ob er je wieder aufmacht...“
„Die Frage ist einfach, ob wir die ganze Aktion jetzt abbrechen“, meinte Mr McKee.
„Und uns damit die Chance entgehen lassen, Robert Dawn endlich das Handwerk zu legen?“, fragte ich und schüttelte den Kopf. „Ich bin für das Rennen als Fahrer gemeldet, jetzt ziehen wir das Ganze auch durch.“
„Je nachdem, was unserem Informanten zugestoßen ist, könnte sich Ihr Risiko dadurch sehr erhöhen, Jesse!“, gab Mr McKee zu bedenken. „Angenommen, jemand hat aus Clement alles über seine Zusammenarbeit mit dem FBI herausgequetscht. Dann ist dabei auch Ihr Name gefallen!“
„Aber das Risiko nehme ich auf mich“, entschied ich und wandte mich an Milo. „Es sei denn, mein Beifahrer ist nicht mehr dabei!“
Am Abend bekam ich die Startzeit auf den GPS-Empfänger. Ab 12 Uhr Mittags am Tag darauf durfte ich mit dem Sportwagen den 75. Längengrad überschreiten.
Dieser Längengrad durchschnitt die Staaten New York und New Jersey etwa auf einer Linie Ottawa-Philadelphia. Milo und ich hatten uns natürlich längst mit Hilfe des im Wagen installierten Navigationssystems eine Route nach Seattle angeben lassen. Wir fuhren zunächst über den Lincoln Tunnel nach Jersey City und von dort aus weiter Richtung Newark, wo wir auf die Interstate 80 Richtung Pennsylvania wechselten. Kurz vor Stroudeburg an der Grenze zwischen Pennsylvania und New Jersey verlief der 75. Längengrad, unsere Startlinie.
Da man auf einem Interstate Highway nicht einfach stehen bleiben darf, verbrachten wir die letzten anderthalb Stunden auf einem Parkplatz, der sich etwa ein Meilen östlich von Stroudeburg befand.
Wir stiegen aus, um uns noch mal kurz die Beine zu vertreten.
Gleich mehrere Sportwagen, die von ihren technischen Daten her für eine Teilnahme am Northern Cannonball geeignet gewesen wären, befanden sich auf dem Parkplatz. Zwei Ferraris – einer ein rot und einer in gelb - , ein Lamborghini, ein Maserati und ein Porsche 911 Turbo.
Allerdings sah der Fahrer von letzterem vollkommen anders aus, als die Fahndungsfotos, die von Robert Dawn existierten. Da die letzten Fotos, die wir von dem Killer hatten, von einer Verhaftung stammten, die ihn in einem Alter von 22 erwischt hatte, besaßen wir Aufnahmen, die unser Zeichner Agent Prewitt künstlich hatte altern lassen.
Robert Dawn war jetzt dreiundvierzig Jahre alt.
Der Kerl im Porsche allerdings nicht. Selbst eine Theatermaske hätte ihn so nicht verändern können. Er hatte rotes Haar, Sommersprossen, war keine dreißig und vor allem einen ganzen Kopf kleiner als die Unterlagen es von Robert Dawn behaupteten.
„Jetzt sag’ nur noch einer, dass dieses Sportwagentreffen unweit des 75. Längengrades reiner Zufall ist, Jesse!“, meldete sich Milo zu Wort.
Ich grinste. „Wahrscheinlich sieht es an einem guten Dutzend anderen Highway-Parkplätzen in der Nähe der Startlinie ebenso aus!“
Da ja nicht an einem bestimmten Ort, sondern an einem Längengrad gestartet wurde, gab es auch andere Routen die ebenso günstig sein konnten. Aber spätestens