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Es war Nachmittag, als wir gerade die Abfahrt Clearfield mitten in Pennsylvania passierten und uns ein Anruf des Field Office erreichte.
Unser Kollege Max Carter aus dem Innendienst der Fahndungsabteilung war am Apparat. Da wir die Freisprechanlage eingeschaltet hatten, konnten wir beide mithören.
„Clement wurde tot aufgefunden!“, berichtete Max. „Man hat ihn in einem leeren Müllcontainer auf dem Firmengelände eines stillgelegten Chemieunternehmens gefunden. Glück für uns, dass sich gerade heute eine Entsorgungsfirma daran machte, die Abfälle einzusammeln und abzutransportieren, sonst hätte es noch ein Jahr dauern können, bis die Leiche gefunden worden wäre.“
„Dann ist Clement aufgeflogen“, stellte ich fest.
„Ja, das müssen wir annehmen“, bestätigte Max meine Befürchtung. „Ich nehme an, dass jemand ihm dabei auf die Schliche gekommen ist, als er die Teilnehmerliste an uns übergeben wollte.“
„Ich bezweifle inzwischen, dass er das jemals ernsthaft vorhatte!“, sagte Milo. „Es könnte genauso gut etwas anderes dahinter stecken.“
„Jedenfalls solltet ihr auf der Hut sein. Es kann sein, dass es bei der Ermordung von Clement gar nicht um euch ging – aber falls doch, könnte es sein, dass die andere Seite reinen Tisch machen will und ihr auch ins Visier geratet.“
„Warten wir es ab. Was ist mit dem Porsche 991 Turbo?“, fragte ich.
„Die State Police von Ohio hat einen Wagen dieses Typs gestoppt und die Papiere des Halters überprüft. Er war mehr als zwanzig Jahre zu alt, um Robert Dawn sein zu können. Definitiv.“
„Wo fand diese Kontrolle statt?“
„An einer Tankstelle an der Interstate 90, bei Painesville am Lake Erie, kurz vor Cleveland.“
„Das könnte von der Strecke her passen“, sagte Milo. „Dann wäre er weiter nördlich gestartet und würde dann in Cleveland auf unsere Strecke stoßen“, stellte Milo fest.
„Milo? Hast du nicht mitgekriegt, was ich gerade gesagt habe?“, fragte Max. „Der Mann war 67 Jahre alt. Zumindest nach den Angaben in seiner Fahrlizenz.“
„Gehörte ihm selbst der Wagen?“, fragte ich.
„Nein, der Wagen gehörte einem Bekannten. Aber die Kollegen haben dort angerufen und der Besitzer hat bestätigt, dass der Mann den Wagen mit Erlaubnis fuhr...“
„Mit Schminke und den Künsten eines Maskenbildners lässt sich eine Menge machen“, stellte Milo fest.
„Jetzt übertreib dein Misstrauen nicht“, riet Max ihm. „Der Mann schied definitiv aus. Aber wenn der nächste Porsche 911 Turbo euren Weg kreuzt und ich erfahre davon, dann werde ich es euch wissen lassen.“
Die Verbindung wurde beendet.
„Fang ich jetzt schon an, Gespenster zu sehen?“, fragte Milo.
„Mir kommt die Anzahl der Sportwagen, die uns auf der Interstate begegnen auch plötzlich unverhältnismäßig zahlreich vor!“, stellte ich fest.
Wir hatten uns an die beiden Ferraris drangehängt und ich sorgte immer dafür, dass der Abstand zu ihnen nicht zu groß wurde. Irgendeinen Maßstab brauchte man schließlich.
Plötzlich zog der Porsche mit den beiden jungen Kerlen an uns vorbei, der an der letzten Maut-Station von der Highway Patrol gestoppt worden war.
Überraschenderweise überholte er uns rechts auf dem Standstreifen. Ich schätzte Fahrer und Beifahrer auf maximal Mitte zwanzig.
„Irgendwelche Millionärssöhne, denen Daddy die Teilnahme an diesem Rennen zum Abschluss in Harvard oder Yale geschenkt hat“, kommentierte Milo die provozierenden Gesten der beiden. „Und jetzt fühlen sie sich groß, weil sie 500 PS unter der Haube haben!“
„So etwas nimmt man gelassen“, erwiderte ich.
Aber die beiden schienen aus irgendeinem Grund etwas gegen uns zu haben. Vielleicht machten sie uns aus irgendeinem Grund dafür verantwortlich, dass sie der Highway Patrol in die Arme gelaufen waren. Jedenfalls trat der Porschefahrer jetzt voll auf das Gaspedal. Zwischen drei und vier Sekunden brauchte ein Sportwagen dieser Klasse, um auf die Höchstzahl an Umdrehungen zu kommen. Er rauschte an uns vorbei, machte förmlich einen Satz. Dann schwenkte er nach links, setzte sich vor uns und bremste.
Ich trat notgedrungen in die Eisen, riss das Lenkrad herum und konnte nicht verhindern, dass der Sportwagen hinten etwas ausbrach. Er rutschte rechts an dem Porsche vorbei, der längst wieder gestartet war und jetzt auf die Überholspur ging.
Ein herannahender Mercedes musste ebenfalls stark abbremsen, blieb aber in der Spur.
„Hey, was war das denn!“, stieß Milo hervor.
„Ich nehme an, das hat der Kerl, von dem ich das GPS-Gerät bekommen habe gemeint, als er sagte, dass keine Regeln gelten würden!“
„Heften wir uns an seine Fersen!“, verlangte Milo.
„Du vergisst, dass der Einsatz unseres Rotlichts nicht in Frage kommt, Milo!“
Ich brachte den Sportwagen wieder in die Spur und beschleunigte. Der Motor heulte auf. Ein tiefes Brummen erfüllte den Innenraum.
Ich ging auf die Überholspur und zog an einem Van und einem Zwanzigtonner vorbei.
Der Porsche hatte unterdessen schon einen Vorsprung von ein paar hundert Metern.
Er war ebenfalls auf die rechte Spur gezogen und schickte sich gerade an, einen der beiden Ferraris zu überholen.
Es war der Gelbe.
Der Porsche schnitt ihm den Weg ab, sodass der gelbe Ferrari nach rechts ausweichen musste. Er geriet auf den Standstreifen, nahm einen Begrenzungspfahl mit, der sich unter dem Wagen verkeilte. Funken sprühten. Der gelbe Ferrari rutschte die an dieser Stelle mit einer Neigung von fast zwanzig Grad recht steile Böschung hinunter und landete im hohen Gras einer Wiese und schleuderte dabei einmal herum.
„Was sind das für Typen in dem Porsche?“, fragte Milo kopfschüttelnd. „Die müssen ja mit einer Killermentalität an dieses Rennen herangegangen sein!“
„Wahrscheinlich braucht man die, um hier gewinnen zu können!“, sagte ich.
Milo aktivierte den TFT-Bildschirm unseres Bordrechners.
Er gab das Kennzeichen ein und startete eine Halterabfrage. „Die Vermutung von den Millionärssöhnchen war gar nicht so falsch“, sagte er nach ein paar Augenblicken, in denen die Abfrage beantwortet wurde. „Der Halter des Wagens ist ein gewisser James Barrymore.“
„Sagt mir nichts.“
„Jedenfalls ist er mit 57 Jahren entschieden älter, als die beiden Milchbubis, die mit seinem Wagen durch die Gegend fahren.“ Über eine kurze Internetrecherche bekam Milo dann noch mehr heraus. „Sieh an, doch kein Millionär!“, stellte Milo dann fest. „James Barrymore ist Richter am Supreme Court und gilt dort als Verfechter erzkonservativer Werte. Er hat zwei Söhne, 22 und 24 Jahre.“
„Na, in dem Fall bezweifle ich, dass ihr Vater von der Teilnahme seiner Söhne am Northern Cannonball weiß“, erwiderte ich.
„Das kann man ja ändern“, meinte Milo und rief unser Field Office in New York an.
In der Zwischenzeit hatte der Porsche auch den roten Ferrari erreicht. Er drängte ihn zur Seite, aber der Ferrari-Fahrer wolle nicht klein