Jenny von Westphalen und Karl Marx heirateten am 19. Juni 1843, einem Montag, in Kreuznach. Eine strahlende Braut gab ihr Ja-Wort in einem grünen Kleid, mit einem harmonierenden rosafarbenen Bouquet. Jennys Mutter und Bruder Edgar, die Trauzeugen und einige Bekannte verfolgten die Zeremonie. Aus Karls Familie war niemand gekommen, aber Mutter Henriette hatte bereits am 28. Januar 1843 vor einem Notar in Trier ihr Einverständnis zu der Heirat gegeben. Der Oberbürgermeister von Kreuznach, Franz Buss, nahm die standesamtliche Zeremonie vor. Nach der beiderseitigen Bejahung, einander heiraten zu wollen, „erklärte ich im Namen des Gesetzes, dass Carl Marx und Johanna Bertha Julie Jenny von Westphalen – miteinander verehelicht sind.“21 Die Heiratsurkunde wurde von Dr. Carl Engelmann, dem Notariatskandidaten Heinrich Balthasar Christian Clemens, dem Rentner Elias Mayer, Gastwirt Valentin Keller und Mutter Caroline von Westphalen unterschrieben. Mit der zivilrechtlichen Trauung war Jenny von Westphalen nunmehr Frau Marx. Innerhalb von Minuten war sie aus ihrem adligen Geburtsstand in den bürgerlichen Stand gewechselt, ein revolutionärer Schritt. Einen weiteren revolutionären Schritt ging sie nicht, indem sie auf den kirchlichen Segen verzichtete. Ob aus Rücksicht auf ihre nächste Umgebung, aus Tradition oder aus echtem Glauben, bleibt dahingestellt. Karl versagte sich ihrem Wunsche nicht. In der Pauluskirche (oder in der inzwischen abgerissenen Wilhelmskirche22) versprachen sich Frau Marx und Dr. Marx vor einem Pfarrer und den Trauzeugen Valentin Keller und Friedrich Gothier in guten wie in schlechten Zeiten zusammenzustehen und sich ewig treu zu sein. „No. 20 Der Carl Marx, Doctor der Wissenschaft, wohnhaft in Trier, evangelischer Konfession 25 Jahre Sohn des Heinrich Marx und der Henriette Presburg und Julie Jänni von Westphalen, wohnhaft in Salzwedel, evangelischer Konfession 29 Jahre Tochter des Ludwig von Westphalen und der Katharina Häubel sind am 19. Juni 1843 kirchlich getraut worden“23, lautete der Eintrag von Pfarrer Superintendent Johann Wilhelm Schneegans in das Kirchenbuch. Damit war die Ehe auch vor Gott gültig.
In der „Kreuznacher Zeitung“ Nr. 96 war am 20. Juni 1843 und in der „Trier’schen Zeitung“ Nr. 166 am 22. Juni zu lesen:
„Ihre heute vollzogene Verbindung
Zeigen an
Dr. Marx
Jenny Marx geb. von Westphalen
Kreuznach, den 19. Juni 1843.“24
Jetzt waren alle, auch die letzten Zweifler, darüber informiert, dass Fräulein von Westphalen Frau Marx geworden war; ein Schritt, den nur aufgeklärte Geister gut heißen konnten. Heute hätte sich Jenny vielleicht Frau von Westphalen-Marx und Karl vielleicht Herr von Westphalen genannt.
Was sich die Frischgetrauten zur Vermählung schenkten, ist nicht bekannt, aber die Geschenke der Mutter. 20 Jahre später erwähnte Jenny bei Bertha Markheim: „Der Herzog von Argyle ist ein naher Verwandter meiner Vorfahren, und als ich mich verheiratete, gab mir mein Herzens-Mütterchen viel prachtvolles Silberzeug mit, das von Schottland stammte und das Argylesche Wappen auf sich hatte“25 – traditionelle Gaben der Mutter an die Tochter am Tage der Vermählung. über das Schicksal dieser Kostbarkeiten meinte sie zu Frau Markheim lapidar: „Silber und Wappen sind natürlich längst bei all´ den Ausweisungen, Wanderungen und Emigrationen ‚from the blue bed to the brown’´ flöten gegangen, und das bischen, was ich aus dem Schiffbruch gerettet, schwankt auch stets zwischen Tod und Leben und ist meistens in den Händen des ‚Onkels‘.“26
Nach der zivilen und kirchlichen Zeremonie ging das junge Ehepaar auf Hochzeitsreise. Jenny in ihren Erinnerungen: „Wir reisten von Kreuznach über die Ebernburg nach der Rheinpfalz und kehrten über Baden-Baden nach Kreuznach zurück.“27 Verliebt genossen Jenny und Karl die bezaubernde Landschaft, stiegen in schönen Herbergen ab und freuten sich über das ungestörte Zusammensein bei Tag und Nacht. Frau Jenny Marx war nach sieben langen Jahren restlos glücklich und entspannt. Die Momente nervöser Anspannung gehörten der Vergangenheit an, die Ruhe und Gelassenheit ihres Mannes übertrugen sich auch auf sie. Die Flitterwochen finanzierte entweder Marx, der für seine Beiträge in den „Deutschen Jahrbüchern“ mit 500 Talern entlohnt worden sein soll, oder Jenny mit einer kleinen Erbschaft des im Mai verstorbenen Verwandten Friedrich Perthes.
Jennys Glück war vollkommen, als sie Gewissheit hatte, dass das erste Kind unterwegs war. Sie war froh, in ihrem Alter noch so problemlos schwanger geworden zu sein. Nach ihrer Berechnung würde das Kind im April oder Mai des folgenden Jahres auf die Welt kommen, wo, das wusste sie noch nicht. Sie genoss die Zeit, ließ sich von ihrem Ehemann und der Mutter verwöhnen. Die junge Ehefrau las philosophische Werke und zeigte sich „sehr eingeweiht in die neue Philosophie“, wie Arnold Ruge anerkannte. Auch der Mann war emsig am Lesen und Exzerpieren und soll 20.000 Seiten für die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ durchgelesen haben. Er hatte sich zur Mitarbeit entschieden, obwohl inzwischen klar war, dass das Projekt „beide Nationen geistig durch ein eigenes Organ zu befreunden“ in deutschen Landen nicht realisiert werden konnte. Man visierte das grenznahe Straßburg an, entschied sich dann aber kurzfristig für Paris, das für Marx „die alte Hochschule der Philosophie … und die neue Hauptstadt der neuen Welt“28 war. Mit Zustimmung seiner frisch Angetrauten verpflichtete sich Marx im Oktober 1843 in der französischen Metropole zu sein. Jenny wäre zwar lieber bis zur Geburt des ersten Kindes in der Nähe der Mutter geblieben, aber das hätte eine Trennung von Karl bedeutet. Die Jungvermählten blieben bis Oktober in Kreuznach, bevor sie in ihr neues Leben aufbrachen, und auch die Mutter kehrte nach Trier zurück und bezog in vertrauter Umgebung in der Brückergasse Nr. 625B eine Wohnung.
In der Familie Westphalen und bei den adligen Anverwandten Florencourt, Veltheim, Krosigk, Asseburg und Röder war ein heiß diskutiertes Thema, was die Ex-Baronesse an der Seite dieses unberechenbaren Mannes erwarten würde. Franziska, die frömmelnde, unverheiratete Schwester in Berlin, meinte zu dem inzwischen nach Liegnitz versetzten Vize-Regierungspräsidenten Ferdinand: „Sie erscheinen mir unendlich beklagenswerth …, der Dr. Marx u. Jenny in ihrer Verblendung u. Abhängigkeit von Grundsätzen, … u. in Folge davon sie, fürchte ich, heimathlos wie Flüchtlinge von Ort zu Ort, von Land zu Land zu ziehen genöthigt sein werden.“29 Franziska ahnte nicht, wie prophetisch ihre Prognose war; zutreffend war auch ihre Befürchtung, die sich für sie aus einem nicht mehr erhaltenen Brief ergab: „welchem Geschäft er sich dort zu widmen beabsichtigt, schreibt sie mir nicht … Wenn nur nicht wieder das Unternehmen einen abenteuerlichen Grund hat …“30 Die Verbindung hätte im Familienkreis akzeptiert werden können, wenn Dr. Marx wenigstens eine Beamtenstelle in der preußischen Verwaltung angestrebt hätte. Aber Karl Marx ging konsequent einen anderen Weg und an seiner Seite, unbeeindruckt von dem Gerede der in ihren Augen bigotten Verwandtschaft, die junge Ehefrau.
Jenny Marx hat, wie Engels später an ihrem